Digital Detox im Advent. Vierte Übung.
25. Dezember 2024
Hallo, ich bin’s
„Ich bin eine Telefonmann“, sagte mir vorgestern mein Onkel am Telefon. Er schreibe keine Weihnachtskarten und auch keine SMS.
Zehn Apps für Kurznachrichten und Kommunikation habe ich auf meinem Mobile installiert. Vor zwanzig Jahren gab es gerade eine einzige SMS-Funktion auf dem Mobiltelefon. Alles lief über einen Kanal. Ich finde, dass es einfacher war, weil heute muss ich mir jedesmal überlegen, wem ich auf welchem Kanal schreiben muss, damit ich ihn überhaupt erreiche. Das braucht Zeit, die ich für anderes nutzen könnte.
Zudem frage ich mich ernsthaft, ob das wirklich ein Fortschritt ist. Denn ich habe das Gefühl, dass ich mit dem Zehnfingersystem schneller schreibe, als mit Textassistent und Zweidaumensystem. Gerade wenn es schnell gehen muss oder in etwas ausführlicheren Schreiben ist die Schreibfehlerquote relativ hoch, Mundart Rechtschreibung ist dem Programm sowieso unbekannt. So braucht es manchmal gefühlt eine kleine Ewigkeit, um eine simple Frage zu stellen. Und bis ich dann Minuten später die Antwort erhalte … Zum Sterben, wenn man ein Treffen ausmachen will.
Jedes Kind lernt von früh auf, zu sprechen und zu hören. Wie einfach dieses Kommunikationsmittel doch ist. Ich hole Luft und los geht es, ohne Flatrate oder 5G. Trotzdem telefonieren wir heute viel weniger als früher. Emotionen entnehmen wir nicht mehr dem Tonfall der Stimme, sondern einem Emoji. Ist das nicht ein evolutiver Rückschritt: Wir verlernen miteinander zu sprechen und kommunizieren neu per Finger? Nichtmal einen Buchstaben müssen diese mehr formen, nur noch tippen. Was geht da nur verloren?
Ich werde in Zukunft öfters zum Telefon greifen und mir die Zeit nehmen, die Menschen anzurufen, mit ihnen zu sprechen und ihnen zuhören. Vielleicht muss ich mir dann Dinge anhören, die ich eigentlich nicht hören will. Aber so schenke ich doch den Leuten am anderen Ende des Drahtes persönlichere Zeit und Anteilnahme, als mit einem Massenweihnachtsgruss per Messenger. Vielleicht erfahre ich auch etwas, das in einem SMS nie zur Sprache kommen würde. Telefonieren ist daher in einem gewissen Sinn ebenfalls alles andere als schnell und simpel. Man muss sich mit einem lebendigen Gegenüber auseinandersetzen. Dafür bin ich diesem Gegenüber doch etwas näher, als per Textnachricht. Die natürliche Spracherkennung übrigens, lässt uns auch praktisch immer sicher sein, dass die Person auf der anderen Seite die richtige und echt ist, und wir keiner Fake-Nachricht aufsitzen. Also Hörer in die Hand, die Nummer von jemandem wählen, bei dem man sich schon lange wieder einmal melden wollte und dann: „Hallo, ich bin’s.“