Bezirkslehrerin, Frauenrechtlerin und Pazifistin Anny Peter
Pionierin aus dem Niederamt – eine Biografie
Anny Peter (1882–1958) blieb zahlreichen Absolventinnen und Absolventen der Bezirksschule Schönenwerd als markante Lehrerin in Erinnerung. In der Christkatholischen Kirche war sie eine landesweit bekannte Figur und besonders mit dem Bildungshaus Berghüsli verbunden. Nach Anny Peters Tod 1958 engagierte sich vor allem die aus Olten stammende Journalistin Rosmarie Kull-Schlappner (1921–1997) für die Würdigung ihres Wirkens. Doch im Lauf von mehr als einem halben Jahrhundert ist ihr Bild verblasst.
Aus regionaler und kantonaler Sicht ist es ein Glücksfall, dass sich eine Masterarbeit von 2015 an der Theologischen Fakultät der Universität Bern mit dem damals noch unerforschten Nachlass von Anny Peter befasst hat. Und vor allem, dass die Autorin Aline Berger nach Abschluss ihrer Ausbildung noch während sechs Jahren weiter zu dem Thema geforscht hat. Reiches Material zu Anny Peter fand sie nicht nur in Archiven von Bern und Zürich, sondern auch in Schönenwerd und Olten. Dazu holte sie wertvolle mündliche Auskünfte ein, auch bei seither verstorbenen Personen. Daraus entsteht das Bild einer tatkräftigen, christlich motivierten Frau, die lokal verankert und dabei kantonal, schweizweit, ja international vernetzt war.
Start im christkatholischen Milieu
Anny Peter kam 1882 in Olten als viertes Kind ihrer Eltern zur Welt. Da der Vater, ein Bahnangestellter, noch vor ihrer Geburt starb, musste die Mutter die vier Kinder als Putzfrau und Haushaltshilfe allein durchbringen – in einer Zeit ohne AHV und Sozialhilfe. Nachhaltige Unterstützung erfuhren Mutter und Tochter in der christkatholischen Kirchgemeinde Olten. So vermittelte der damalige Oltner Pfarrer Emil Meier für Anny nach der Schulzeit eine Tätigkeit als Hauserzieherin in Deutschland – daraus wurden sechs prägende Jahre. Danach riet er ihr zum Eintritt ins Lehrerseminar Solothurn. Sie erwarb das Primar- und das Bezirkslehrerpatent und fand ab 1911 ihre Lebensstelle an der Bezirksschule Schönenwerd.
Dort bewegte sich Anny Peter in einer christkatholisch und freisinnig geprägten Schule und Gemeinde. Sie wohnte im «Asyl», einem direkt neben dem Bezirksschulhaus gelegenen ehemaligen Chorherrenhaus im Besitz der Gemeinde. Dort nahm sie, die unverheiratet und kinderlos blieb, die zwei Kinder ihrer früh verstorbenen älteren Schwester auf. 1922 eröffnete sie im Haus einen Kinderhort. Das «Asyl» war ein Ort, wo Schülerinnen, Frauen und Eltern Rat und Hilfe erhielten. Respekt für Peters Wirken in Schönenwerd spricht aus den im Buch zitierten Äusserungen ihrer ehemaligen Schüler Anna Huber (1899–2009) und Fritz Widmer (1924–2015).
Sozial und pazifistisch engagiert
1919/20 kam Anny Peter während eines Studienurlaubs an der Universität Zürich in Kontakt mit dem reformierten Theologen Leonhard Ragaz und seiner Frau Clara Ragaz-Nadig, die das Zentrum der internationalen pazifistischen Bewegung des religiösen Sozialismus bildeten. Aline Berger zeigt erstmals, dass Anny Peter zum inneren Kreis um das Ehepaar Ragaz gehörte: Ab 1921 war sie Mitglied der Redaktionskommission von Ragaz’ Zeitschrift «Neue Wege», und sie beteiligte sich an dessen Arbeiterbildungswerk in Zürich.
In öffentlichen Vorträgen äusserte sich Anny Peter wiederholt kritisch zu Aspekten der Fabrikarbeit bei Bally. Das war mutig, weil mit Eduard und Iwan Bally die obersten Chefs des Schuhimperiums gleichzeitig auch Präsidenten der Schönenwerder Bezirksschulpflege waren. Ob dies zu Konflikten führte, bleibt im Buch offen.
Aline Berger fand aber einen Beleg, dass sich Anny Peter 1925 beim Erziehungsdepartement Solothurn wegen «antimilitaristischer Reden in der Schule» rechtfertigen musste. Pikant: Erziehungsdirektor war damals der freisinnige Parteipräsident, Regierungs- und Ständerat Robert Schöpfer – mit dessen Ehefrau Ida Schöpfer-Bargetzi Anny Peter eng befreundet war. Sie war oft im Hause Schöpfer zu Gast und diskutierte am Familientisch über politische Themen. Der Erziehungsdirektor kannte also die Überzeugungen der Bezirkslehrerin Peter bestens.
Zwischen Freisinn und Sozialismus
Hier der freisinnige Parteiführer und Oberst Schöpfer, dort der antimilitaristische religiöse Sozialist Ragaz: In diesem extremen Spannungsfeld bewegte sich Anny Peter über Jahrzehnte hinweg. Ihre Herkunft war das Milieu des sozial engagierten Flügels des Solothurner Freisinns, gleichzeitig neigten ihre Überzeugungen stark den sozialdemokratischen Positionen zu.
Anny Peter stand für das Frauenstimmrecht und die volle Gleichberechtigung der Frauen ein. Konkret forderte sie die Verlängerung der Schulbildung der Mädchen. Ihre geistige Heimat war die Christkatholische Kirche. Als Zentralpräsidentin des Verbands Christkatholischer Frauenvereine der Schweiz von 1920 bis 1948, als Gründerin und Leiterin des christkatholischen Ferien- und Bildungshauses Berghüsli in Heiligenschwendi und als Initiantin und Präsidentin der internationalen Liga altkatholischer Frauenverbände war sie eine dominierende christkatholische Persönlichkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Fragen aus feministischer Sicht
Das Buch von Aline Berger bringt viele neue Erkenntnisse zum Leben und Wirken von Anny Peter. Die 1990 geborene Autorin, reformierte Pfarrerin in Rüti bei Büren und Kappelen BE, schildert den Weg Anny Peters mit Empathie und befragt deren Haltung kritisch aus feministischer Sicht. Besonders verdienstvoll ist, dass das Buch fünf Vorträge Anny Peters aus der Zeit von 1924 bis 1945 im Original wiedergibt. Das ermöglicht einen unmittelbaren Eindruck von ihrem Denken.
Es spricht für diese spannende Biografie, dass sie beim Leser eine Reihe weiterer Fragen zu Anny Peter auslöst. In manchen Punkten hätte das Buch an Einordnung in die solothurnischen Verhältnisse gewonnen, wenn die Autorin die während ihrer Arbeit erschienene Solothurner Kantonsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2018) beigezogen hätte.
Umgekehrt ist es heute zu bedauern, dass Anny Peter in dieser topaktuellen Kantonsgeschichte gar nicht vorkommt. Die Arbeit von Aline Berger lässt keinen Zweifel, dass ihr darin ein prominenter Platz gebührte. Das gut lesbare und reich dokumentierte Buch ist seit Ende 2023 im Buchhandel erhältlich. Der Druck wurde unter anderem von der Bürgergemeinde Schönenwerd finanziell unterstützt.
Christian von Arx
Beitragsbild:
Im Garten des Ferien- und Bildungshauses Berghüsli: Anny Peter (auf der Bank sitzend, im dunklen Kleid) mit Teilnehmerinnen der christkatholischen Töchter- und Leiterinnenwoche 1948.

Aline Berger;
Anny Peter (1882–1958). Christkatholische Frauenrechtlerin, Pazifistin und Pädagogin. Theologischer Verlag Zürich, 2023. 363 Seiten mit 27 Abbildungen, Paperback. 36 Franken.
Die Buchautorin Aline Berger ist reformierte Pfarrerin im Berner Seeland.