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Christkatholisch? Christkatholisch!

Hands Together

Geschichte eines «frommen» Begriffs – Teil 1

Oft geschieht es, dass Gäste aus den Niederlanden oder aus Deutschland fragen: «Warum heisst ihr denn ‹christkatholisch› und nicht ‹altkatholisch›? Ist das eine andere Kirche?» Im Rahmen des Zusammenschlusses der «alt- katholischen» Kirchen – der sog. Utrechter Union – fällt die Schweizerische Sprachregelung «christkatholisch» markant ins Auge.

Während ansonsten von der «altkatholischen Kirche» die Rede ist, hat sich der Schweizerische Verein freisinniger Katholiken spätestens ab der Delegiertenversammlung vom 14. Juni 1874 in Bern unter dem Leitwort «christkatholisch» zur Kirchwerdung gesammelt. Was ist das also für ein spezielles Adjektiv, das sich aus zentralen Eigenschaftsworten der kirchlichen Tradition – christlich und katholisch – zusammensetzt? Ein Blick in die Sprachgeschichte kann bei der Klärung helfen.

«Christkatholisch» – eine Art Leitwort

Im deutschen Sprachraum findet sich diese Wortbildung erst relativ spät. Zwar fertigt ein hochgelehrter Mönch aus St. Gallen, Notker Balbulus (um 840–912), deutsche Übersetzungen für zahlreiche biblische Worte an, doch die Komposition von «christlich» und «katholisch» findet sich bei ihm nicht. Markant taucht der Begriff «christkatholisch» erst in der Kultur und der Theologie der Barockzeit auf. In dieser Zeit wird «christkatholisch» zu einer Art Leitwort für eine Form innerlicher, geistlich gestimmter und mit ruhigem, aber intensivem Erleben ausgestatteter Frömmigkeit innerhalb der katholischen Tradition. Spricht man in dieser Zeit von der «christkatholischen Religion», so ist die wahre und wesentliche Form der einen Kirche Christi gemeint. In diesem Sinne wird Melchior Lussy (1529–1606), Landammann von Nidwalden, durch die Sieben Katholischen Orte der alten Eidgenossenschaft im Jahr 1562 zur 3. Sitzungsperiode des Reformkonzils nach Trient entsandt: Er solle sich auf die Reformen nur insofern einlassen, als dass sie der «wahren alten christkatholischen Religion dienlich» seien. Also meint «christkatholisch» in der Schweizer Kultur des 17. Jahrhunderts die richtige und mustergültige Form des katholischen Glaubens.

Wir finden während der Barockzeit in der Schweiz und in ganz Europa eine grosse Sehnsucht nach tiefgehendem Glaubensleben und tröstlicher Erfahrung der göttlichen Gnade. In der katholischen Kultur ist der Barock auch die Zeit der Gegenreformation, also des Versuchs, die kirchliche Tradition zu reinigen und zu vitalisieren, um sie zur Auseinandersetzung mit den kraftvollen Bewegungen der Reformation überhaupt fähig zu machen. So beschäftigt sich die gegenreformatorische Kultur nachhaltig mit den Schriften des Bischofs Augustinus von Hippo (354–430), der für die Theologie der Reformation, insbesondere für Martin Luther selbst (1483–1546), von höchster Bedeutung war.

Christ-Catholische Unterrichtungen

Und genau in dieser Barockzeit finden wir einer Reihe von kleineren Erbauungsschriften, die das Adjektiv «christkatholisch» nutzen. Aus diesem Kreis vielgestaltiger Literatur ragt ein geistliches Werk aus der Feder eines Prämonstratenser-Chorherren, Leonhard Goffiné (1648–1719), hervor. Goffiné, in ­Broich am Niederrhein als Kind einer ursprünglich wal­lonischen Familie geboren, trat 1666 in das Prämonstratenser-Kloster Steinfeld ein, das gerade in dieser Zeit von der zarten, gefühlsbetonten Mystik des Ordensheiligen Hermann Joseph (um 1160–1241) geprägt war. Goffinés Schriften sind von dessen tröstender, zusprechender Spiritualität nachhaltig geprägt. Da Pater Goffiné ab 1680 als Seelsorger im Münsterland (Clarholz und Coesfeld) und in der Pfalz (Niederehe) tätig war, kam er mit den schweren Nöten des einfachen Volkes in direkten Kontakt. Gerade diese Regionen waren vom Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) auf das Härteste gezeichnet.

Viele Orte waren immer noch verlassen. Durch das jahrzehntelange Morden und Wüten blieb die Bevölkerung traumatisiert, verroht und entwurzelt. Goffiné reagierte auf diese Situation und verfasste von 1681–1690 seine «Christ-Catholische Unterrichtungen von allen Sonn- und Feyr-Tagen des gantzen Jahres». Dieser 1690 in Mainz erstmals gedruckte Band, der eine kurze Auslegung der Bibeltexte beinhaltet, welche von der Leseordnung für die jeweiligen Sonntage bzw. Kirchenfeste vorgesehen waren, sollte mit ca. 130 Auflagen sowie mit zahlreichen Übersetzungen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eines der erfolgreichsten Werke der Weltliteratur werden. Mit ihm begann auch die weitflächige Verbreitung des Begriffs «christkatholisch».

Wie die Titel anderer Werke aus der Feder von Pater Goffiné (z.B. «Trostbuch in Trübsalen» und «Seelen-Licht“) anzeigen, geht es ihm auch in seiner «Christkatholischen Handpostille» – wie sie später vereinfachend genannt wird – vor allem um eine nachvollziehbare, den ganzen Menschen mit all seinen Gefühlen einbeziehende Frömmigkeitsschule. Die grundsätzliche Milde und das Bemühen um das Wesentliche unterscheidet die Handpostille (später auch «Hauspostille“) wohltuend von anderen Flugschriften, Pamphleten und apologetischen Büchern ihrer Zeit. Die «Christkatholische Handpostille» will in ihrer ursprünglichen Fassung keine theologische Streitschrift und kein konfessionelles Waffenarsenal sein.

Meister spiritueller Übungen

In der pädagogischen Tradition des Jesuiten Petrus Canisius (1521-1597), der für die katholische Glaubensunterweisung im deutschen Sprachraum von überragender Bedeutung war, suchte Goffiné die Wahrheiten und Inhalte des christlichen Glaubens nicht mit moralischem Druck zu vermitteln, sondern sie erlebbar zu machen, indem ihre Anziehungskraft betont wird. Im Gegensatz zu manchen späteren «Überarbeitungen» bzw. «Vermehrungen» seines Werkes im 19. Jahrhundert bewahrte sich Leonhard Goffiné eine dezidierte Orientierung an den Grundlinien der Frohen Botschaft Jesu. Wegen dieser Prägung stand Pater Goffiné zudem in dem Ruf, ein begnadeter «Meister spiritueller Übungen» zu sein.

Als Prämonstratenser lebte L. Goffiné nach der Augustinerregel, einer Sammlung von Anweisungen für das gemeinsame Leben von Klerikern oder Mönchen, die auf den Kirchenlehrer Augustinus von Hippo zurückgeht. In einem seiner kleineren Werke widmet Goffiné sich der Interpretation dieser Ordensregel: «Auslegung der Regel des Hl. Augustinus». Und aus dem Werk des Kirchenvaters Augustinus begründet Goffiné auch den Begriff «christ-catholisch», den er den Sprachgewohnheiten seiner Zeit folgend stets mit Bindestrich verwendet. In einer seiner berühmten Predigten spricht der heilige Augustinus von dem «homo christianus catholicus». Damit meint er den «Menschen, der christlich lebt und sich der allgemeinen Kirche zugehörig weiss». Oder wie in einer Zusammenziehung übersetzt wird: «der christkatholische Mensch».

Mit diesem «homo christianus catholicus» war einerseits das Grundlegende der «katholischen Tradition» hervorgehoben, zugleich aber wurde durch die Betonung der verbindenden, in der Taufe wurzelnden «Christlichkeit» die harte Frontstellung eines engen Konfessionalismus überwunden. In dieser Form findet sich die Rede vom «homo christianus catholicus» auch bei protestantischen Autoren – so z. B. bei Goffinés niedersächsischem Zeitgenossen, dem Kirchenoberen und Universalgelehrten Caspar Calvör (1650–1725). Als Konfessionsbezeichnung war der Begriff allerdings nicht gedacht. Er hatte sich im Wortfeld von Spiritualität, Bildung, Innerlichkeit und seelischer Unterweisung entfaltet. Auf diesem Wege konnte sich das Wort «christkatholisch» entsprechend seinen Wurzeln zunächst der kirchlich-dogmatischen Grenzziehung entziehen. Daher liess dieser geistliche Akzent der Wortbildung Goffinés bis zum Ende des letzten Jahrhunderts in manchen Gebieten des deutschen Sprachraums den Begriff «christkatholisch» als gleichbedeutend erscheinen mit «auf fromme, nicht exaltierte, elementare Weise katholisch“. So galt beispielsweise im deutschen Sprachraum diejenige Frömmigkeit, die in der «Nachfolge Christi» des Thomas von Kempen (1380–1471) kultiviert wurde, als ausgesprochen «christkatholisch».

Vital-fromm in katholischer Ausformung

Nach dem Tod Leonhard Goffinés drängte – verstärkt durch den enormen Erfolg seiner Handpostille – der Ausdruck «christkatholisch» immer stärker in den theologischen und kirchlichen Sprachgebrauch. Der Ausdruck «christkatholisch» scheint in dieser Zeit weitgehend als Synonym für «vital-fromm in katholischer Ausformung» genutzt worden zu sein. In gewisser Weise übernahm er sogar die Funktion eines randoffenen Leitbegriffs, der sich in die europaweiten Bemühungen des nachtridentinischen Katholizismus zur Förderung einer sowohl anspruchsvollen, wie auch anwendbaren Frömmigkeit einordnete. Vor allem die katholische Aufklärung nutzte in der Folge das Wort «christkatholisch» sehr häufig. Die Bedeutung war auch weiterhin nicht exakt definiert, sondern zeigte gewisse Unschärfen. Gerade das machte «christkatholisch» als eine Art sprachlicher Farbgebung interessant.

Mit dieser Begrifflichkeit konnte eine Form des Katholizismus angedeutet werden, die zum einen in vollständiger, umfassender Weise katholisch sei, zum anderen auf eine als «römisch-moralisch» empfundene Enge in der Kirche verzichtet, sowie die innere, individuelle Wirklichkeit betont. Zudem steht die Gestalt Jesu Christi und die persönliche Beziehung zu ihr ausdrücklich im Blickpunkt dieser Frömmigkeit. Diese von ihm selbst als mystisch bezeichnete Spiritualitätskultur förderte der bedeutende Theologe und Bischof Johann Michael Sailer (1751–1832) in seinem schriftlichen Werk, sowie in seiner seelsorglichen Tätigkeit. Sailer hatte nicht zuletzt durch viele Freundschaften einen grossen Einfluss auf die kirchliche Kultur in der Schweiz. Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774–1860), der Generalvikar des Bistums Konstanz, zu dem weite Teile der damaligen Schweiz gehörten, gehörte zu Sailers Freundeskreis. Er griff auf das Wort «christkatholisch» zurück, um seinen im Jahr 1812 erstmals erschienenen Sammelband geistlicher Texte zu qualifizieren: «Christkatholisches Gesang- und Andachtsbuch zum Gebrauche bey der öffentlichen Gottesverehrung im Bisthum Konstanz». Dieser Band fand in der gesamten Diözese, zu der auch weite Teile der Eidgenossenschaft gehörten, eine enorme Verbreitung und Rezeption. Damit war das Wort in der modernen Schweiz überaus erfolgreich angekommen.

Michael Bangert

Die Fortsetzung zu diesem Bericht finden Sie in der nächsten Ausgabe des «Christkatholisch».

Erwähnte historische Persönlichkeiten