Die Ankunft
Advent – alles Gute kommt von oben. Und was heisst dies für uns Menschen?
„Himmlische Heere jauchzen dir Ehre“ singen wir schon bald wieder an Weihnachten. Wir feiern das Kommen Gottes zu uns Menschen, auf unseren Planeten, in der Krippe im Betlehemer Stall. Ein Stern hat die Weisen aus dem Morgenland dorthin geführt. Wir stellen ihn uns meist wie auf alten Gemälden als Komet vor, der Astrophysiker Harald Lesch meint aber, es könnte eine Planetenkonstellation gewesen sein.
Es gibt Menschen, die behaupten, es geht bei den Himmelserscheinungen eigentlich um ein anderes Thema. Sie nehmen die Bibel wörtlich, wenn sie von Gott als Herr von „himmlischen Heeren“ redet, und nicht zufällig sei Gott in der Hebräischen Bibel ein Pluralwort. Die Heerscharen, die auf dem Weg zur Erde sind, das sind dann: die Ausserirdischen.
Könnte die Lichterscheinung dann nicht auch ein Ufo gewesen sein?
Was fasziniert, ist wohl die Möglichkeit, dass die biblischen Geschichten eine verborgene Wahrheit transportieren könnten, die voll in eine wissenschaftlich geprägte Zeit passen würde. Kein Sacrificium Intellectus wäre mehr nötig, um Glauben zu können. Die Geschichten wären auf eine gewisse Weise wahr, doch wurde ihr wahrer Kern dann von den Alten selbst nicht erkannt.
Auch die mythischen Riesen in Genesis 6, laut Bibel entstanden aus der Vereinigung von Göttersöhnen und Menschentöchtern, werden manchmal so, also als Kinder der Ausserirdischen, interpretiert. Und wenn wir jetzt Advent feiern, wessen Ankunft oder Wiederkunft feiern wir dann? Sind „sie“ es, auf die wir warten?
Was sich doch eher wie ein Irrweg von Hollywood anhört, ist von der Thematik her keine ganz neue Vorstellung. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts war der Glaube an eine Vielzahl bewohnter Welten so verbreitet, dass Thomas Paine in seinem Buch „The Age of Reason“ („Das Zeitalter der Vernunft“) sagen konnte: „Zu glauben, dass Gott eine Vielzahl von Welten erschaffen hat, die mindestens so zahlreich sind wie das, was wir Sterne nennen, macht den christlichen Glauben zugleich klein und lächerlich und zerstreut ihn im Geist wie Federn in der Luft.“
Nicht von Adam und Eva stammen wir dann ab, könnte man in diesem Kontext behaupten, sondern von „Ihnen“, den Ausserirdischen. Das mag eine wissenschaftliche anmutende Erklärung für viele seltsame Phänomene sein. Tatsächlich verschiebt es ja aber nur das Problem der Entstehung von Leben, zumal intelligenten, an einen anderen Ort. Denn wie sind dann die Ausserirdischen entstanden? Auf welchem Planeten wurden sie geboren?
Auch wenn also kaum dazu zu raten ist, solchen Behauptungen recht zu geben, sind ihre Fragen in gewisser Weise doch berechtigt. Wir leben in einem naturwissenschaftlich geprägten Zeitalter, und auch wenn sicherlich nicht alles wissenschaftlich ist, was so daher kommt oder genannt wird, ist es heutzutage schwierig, etwas für wirklich zu betrachten, was nicht auch wissenschaftlich nachgewiesen werden könnte.
Es wäre in diesem Fall faszinierend – wären denn die Ausserirdischen unsere Vorväter (spirituell oder gar genetisch) –, dass die schwierige Vorstellung von Transzendenz ganz in weltimmanenten Vorstellungen aufgelöst wird. „Gott“ oder was immer man sich darunter vorstellt, wäre wirklich und könnte tatsächlich nachgewiesen werden. Vorbei die Unsicherheit, das Glauben oder Meinen allein. „Gott“ könnte gewusst werden.
Tatsächlich haben Gott und Ausserirdische heute noch gemein, dass sie Glaubenssachen darstellen. Der berühmte Philosoph Immanuel Kant ist so weit gegangen, eine Wette anzubieten: «Wenn es möglich wäre durch irgend eine Erfahrung auszumachen, so möchte ich wohl alles das Meinige darauf verwetten, dass es wenigstens in irgend einem von den Planeten, die wir sehen, Einwohner gebe. Daher sage ich, ist es nicht bloss Meinung, sondern ein starker Glaube (auf dessen Richtigkeit ich schon viele Vorteile des Lebens wagen würde), dass es auch Bewohner anderer Welten gebe.»
Kant war offensichtlich zeitlebens von der Existenz Ausserirdischer überzeugt, und das Zitat findet sich an keiner geringeren Stelle als in der Kritik der Reinen Vernunft.
Allerdings dachten viele zu seiner Zeit schlicht, die Planeten unseres Sonnensystems, einschliesslich der Sonne, seien allesamt bewohnt. Zwei Prinzipien kamen dabei zum Tragen: Das kopernikanische Prinzip, dass die Planeten den himmlischen Sphären entrissen und zu erdgleichen Körpern erklärt hatte, führte zu der Annahme dass diese Planeten wie die Erde eben auch bewohnt seien. Das Prinzip der Fülle, dass je mehr Leben dem Schöpfer umso mehr zur Ehre gereichte, verstärkte dies noch.
Die Spekulationen über ausserirdisches Leben sind also alt, aber nicht so alt wie die Bibel. Die hat zwar eine Idee von Gott, aber nüchtern betrachtet wahrscheinlich kaum eine Vorstellung von Ausserirdischen, weil sie die irdische Welt noch gar nicht als einen Planeten unter vielen wahrgenommen hat. Wenn die biblischen Autoren von der „Erde“ sprechen, haben Sie den Erdboden, nicht den Planeten vor Augen, das dürfen wir nicht vergessen. Denken wir dagegen an „die Erde“, teilen wir sozusagen den Blick der Besatzung von Apollo 8. Diese zitierte an Heiligabend 1968 angesichts des Anblicks der Erde vom Mond aus das „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ aus der Genesis, was in unzähligen Ländern im Fernsehen übertragen wurde. So wurde in unserem kulturellen Gedächtnis der Bibelvers mit dem Planeten als Ganzes verknüpft.
Natürlich konnte man aber auch in biblischen Zeiten die unzähligen Sterne sehen, und sich fragen, was es mit diesen Lichtern auf sich hatte. Im nachbiblischen babylonischen Talmud gibt es dann auch eine Diskussion über einen Bibelvers aus dem Deboralied: «Vom Himmel her kämpften die Sterne, aus ihren Bahnen kämpften sie gegen Sisera. ….Verflucht Meros!, sprach der Bote des HERRN, Verflucht, verflucht seine Bewohner, denn sie sind dem HERRN nicht zu Hilfe gekommen, dem HERRN zu Hilfe bei den Helden!» (Richter 5: 20.23) Der Talmud fragt nun, wer war Meros? «Hierzu sagte [Rabbi] Ula…, ‘Manche sagen, es war ein bedeutender Mann, und manche sagen, es sei ein Stern, denn es heisst: Vom Himmel her kämpften die Sterne» (Babylonischer Talmud, Moed Katan 16a). Rabbi Ula war mit Astronomie vertraut, und so ist diese Interpretation zur Basis für die traditionell positive jüdische Einstellung zu ausserirdischem Leben geworden.
Wissenschaftlich betrachtet ist die Annahme ausserirdischen Lebens übrigens durchaus sinnvoll. Wo Wasser ist, da kann auch Leben sein, und dieser Annahme folgt auch die derzeitige Suche nach Exo-Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems, für die das gelten könnte. In unserem eigenen Sonnensystem könnte man wohl wenn, dann nur mikrobielles ausserirdisches Leben finden, keine höher entwickelten Lebensformen. Eismonde mit Ozeanen unter der Oberfläche sind dafür ein Ziel.
Wird es eines Tages so weit sein, dass ausserirdisches Leben entdeckt wird, und die Sensation perfekt? Was erwarten wir?
Ich denke, wir sollten unsere eigenen Quellen soweit ernst nehmen, dass wir die Vorstellung von Ausserirdischen nicht in die Adventszeit eintragen. Wenn sie dann kommen sollten (wenn sie nicht zu weit weg von uns leben), wäre das sicher ein Jahrtausendereignis, aber nicht vergleichbar mit der Ankunft oder Wiederkunft Christi. Transzendenz bleibt für mich eine entscheidende Kategorie, um Gott zu denken. Sonst wäre es eben nicht Gott. Und auch die zahlreichen unerklärlichen Himmelserscheinungen, die jetzt in einem Bericht des Pentagon untersucht worden sind, mögen dies sein: Himmelserscheinungen oder „unidentifizierbare Flugobjekte“, aber keine Raumschiffe. Der Katalog dieser Erscheinungen, der aufgestellt worden ist, konnte dann auch an einer Stelle korrigiert werden: Ein Fugobjekt wurde als Wetterballon identifziert, der aufgrund austretender Luft steil nach oben sauste. Was für mich wiederum die „Unerklärlichkeit“ dieser Phänomene doch sehr relativiert.
Vielleicht muss man etwas heisse Luft auch aus dem Thema lassen. Aber es bleibt spannend und ein Kontakt oder gar eine Ankunft von „Ihnen“ könnte unser Weltbild entscheidend ändern. Der christliche Glaube allerdings könnte damit leben, und sollte daher sich selbst treu bleiben, meine ich.
Andreas Losch
Zum Weiterlesen
Andreas Losch, Der gestirnte Himmel über uns, Kapitel 12 (Open Access).
https://www.tvz-verlag.ch/buch/1526-9783290185169/?page_id=1