Die brachiale Logik der Liebe
Frage: Warum ist der christliche Glaube so voller Gegensätze?
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Diese zufällig aufgeschnappten Worte aus einer nächtlichen Unterredung zwischen zwei Männern verbinden Ostern mit Weihnachten. Sie verklammern die österliche Fastenzeit, auf die Sie und ich zugehen, mit der vorweihnachtlichen Adventszeit, in der ich für Sie diese Gedanken niederschreibe.
Ein Merkmal des kirchlichen und des kirchenmusikalischen Alltags ist: Vorbereitungen für eine Festzeit finden nicht selten statt inmitten einer Phase, die zu der bevorstehenden Zeit in scharfem Kontrast steht. Was uns im Alltag Angst macht: Das Aufeinanderprallen von Freude und Leid, der Übergang von zärtlicher Freundschaft zu abweisender Kälte, das Nebeneinander von Nächstenliebe und jähem Zorn, scheint in Gottes Augen – zwar nicht zu einer Einheit zu verschmelzen, aber doch in einer Weise zusammenzugehören, die uns unverständlich ist, ja, unverständlich bleiben muss.
Diese Unverständlichkeit selbst ist im Grunde der Garant für die Göttlichkeit des Heilsplans. Würden die Gegensätze logisch aufgehen, wären sie nicht mehr göttlicher Natur. Wäre Jesus Christus menschlich oder göttlich, wäre er nicht Gottes Sohn. Erst indem er beides ist, ist er, was er ist. Wir können ihn sehen, aber nicht verstehen. So bleibt das Unverständliche nicht diffuses Geheimnis, sondern tritt uns klar vor Augen. Auf Heiligabend folgt alsbald Karfreitag. Das Kindlein, dessen Geburt wir lieblich gefeiert haben, wird brutal gefoltert. Gegeben hat Gott seinen eingeborenen Sohn in der Krippe und am Kreuz. Ein solches Paradox können wir schauen, aber nicht nach ihm greifen. Es schmerzt; und indem wir es sehen, entzieht es sich uns. All das für die Welt, also für uns.
Was hat das zu bedeuten? Es ist dies die brachiale Logik der Liebe. Sie herrscht, indem sie dient; sie lebt, indem sie leidet; unter Tränen erträgt sie Gelächter. Nur hier, wo die Geraden der Liebe und die der Geschichte sich messerscharf schneiden, kann der Blick in die Ewigkeit gelingen: Wo die Zeitläufte ihn verstellen, muss er sich schärfen. Hinter «Klima» und «Flucht» und «Terror», hinter Ausweglosigkeit und Verlust und Schmerz liegt die Hoffnung; nicht die sichtbare, sondern die Hoffnung hinter aller Hoffnung.
Dychotome Begriffe erst bilden das Ganze. Einzelne Wörter aber entfalten konträre Begriffe. Gegensätze stehen für die Wahrhaftigkeit der Wahrheit. Das ist das Faszinosum des Glaubens. Also hat Gott die Welt geliebt. Karfreitag ist der Fluchtpunkt von Krippe und Geburt. Dies ist präziser nirgends besungen als im Weihnachtslied Jochen Kleppers:
Du Kind, zu dieser heilgen Zeit
gedenken wir auch an dein Leid,
das wir zu dieser späten Nacht
durch unsere Schuld auf dich gebracht.
Die Welt ist heut voll Freudenhall.
Du aber liegst im armen Stall.
Dein Urteilsspruch ist längst gefällt,
das Kreuz ist dir schon aufgestellt.
Matthias Kissel
Schicken Sie Ihre theologische Frage bitte an: redaktion@christkatholisch.ch.