Die letzte Verkündigung Christi
Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz
Der eindrückliche Höhepunkt der Karfreitagsliturgie ist ohne Zweifel die Lesung der Passionsgeschichte. Dieser Bericht vom Leiden und Sterben Jesu Christi wird jeweils mit verteilten Rollen vorgetragen. Es ist ein eigentliches religiöses Drama, das sich hier vor der versammelten gottesdienstlichen Gemeinde entfaltet.
Liturgische und biblische Vielfalt
Der Passionsbericht, die Leidensgeschichte unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, findet sich in allen vier Evangelien. Es ist erfreulich, dass seit einiger Zeit nach unserer Leseordnung im Vierjahresturnus alle Passionsberichte gelesen werden, nachdem es jahrelange liturgische Tradition gewesen war, nur zwischen dem Matthäus- und dem Johannesevangelium zu wechseln. So zeigt sich nun die ganze Vielfalt der Botschaft des viergestaltigen Evangeliums. Gerade weil sich die Passionsgeschichte in allen Evangelien findet, wird auch der spezifische Charakter jeder dieser Schriften, die jeweiligen Prioritäten der Evangelisten und die unterschiedliche theologische Gewichtung deutlich erkennbar. Innerhalb der Leidensgeschichte Jesu nehmen die sogenannten «Sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz» eine besondere Stellung ein. Diese sieben letzten Worte Jesu am Kreuz haben in der christlichen Frömmigkeit immer eine bedeutende Rolle gespielt. Es sind Worte der Verkündigung Jesu, in denen er seinen Jüngern wichtige Anweisungen gibt und sein Leiden und Sterben selber deutet.
Gleichzeitig werden sie auch zum Massstab christlicher Lebens-, Leidens- und Sterbebewältigung. Zentrale Themen wie Vergebung, Verzweiflung angesichts der Gottesverlassenheit aber auch Vertrauen werden angesprochen. Trotz ihrer Kürze vermögen diese letzten Worte am Kreuz eine enorme Tiefe des Glaubens auszudrücken und auszuloten. Die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz finden sich über alle vier Evangelien verteilt, je drei stehen im Johannes bzw. Lukasevangelium, eines findet sich bei Matthäus und Markus. Immer wieder haben die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz auch zur künstlerischen Gestaltung eingeladen, wohl am bekanntesten ist die musikalische Umsetzung durch Joseph Haydn (Oratorium «Die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz»).
Vergebung und Vertrauen – die letzten Worte Jesu nach Lukas
Ein zentrales Thema des Lukasevangeliums stellt die Suche nach dem Verlorenen und die Vergebung dar. So ist etwa das wunderbare Gleichnis des verlorenen Sohnes eine der wichtigsten Textstellen im Evangelium nach Lukas. Auch in den letzten Jesusworten im Lukasevangelium zeigt sich noch einmal in aller Deutlichkeit die Bedeutung der Vergebung. So ruft der gekreuzigte Jesus aus «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.» (Lk 23,34) Noch am Kreuz vergibt Jesus den Menschen, die ihn quälen, foltern und hinrichten. Er bittet um Vergebung für die römischen Soldaten, die ihn ans Kreuz schlagen, für die jüdischen Autoritäten, die ihn ausgeliefert haben, und nicht zuletzt für alle Menschen, auch für uns, die Leid über andere Menschen bringen. Und damit in einer gewissen Weise auch immer wieder ihn, den unschuldigen Christus, ans Kreuz schlagen. Während die Adressaten dieser Vergebungsbitte also geradezu universal verstanden werden können, richtet sich ein zweites Wort Jesus an eine Person ganz konkret. Es richtet sich an einen mit Jesus zusammen gekreuzigten Mann, der sein eigenes Verbrechen eingesteht und bereut und gleichzeitig gegenüber einem zweiten Mitgekreuzigten die Unschuld Jesu beteuert. Auf seine Bitte hin «Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.» antwortet ihm Jesus: «Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.» (Lk 23,43) Es ist ein besonders berührendes Wort Jesu, wendet er sich doch hier in grösster Not noch einmal vergebend und tröstend einem anderen Menschen zu.
Im Lukas-Evangelium wird Jesus auch als der vorbildliche Beter dargestellt. Voller Vertrauen wendet er sich immer wieder an Gott, seinen Vater. Dieses tiefe Vertrauen und seine enge Bindung an Gott drückt sich auch in seinem letzten Wort im Lukasevangelium aus: «Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.»(Lk 23,46) Diese Worte aus Psalm 31 singt die gottesdienstliche Gemeinde in der Karfreitagsliturgie auch als Kehrvers des Zwischengesanges nach der Lesung des Gottesknechtsliedes aus dem Buch des Propheten Jesaja. Der lukanische Jesus erscheint in der Passionsgeschichte so als (Psalm-)Beter voller Gottvertrauen und Vergebungsbereitschaft. Sein Sterben wirkt im Lukasevangelium bei allem Leiden beinahe abgeklärt und ruhig, es erinnert schon fast an das Sterben des Sokrates wie es sein Schüler Platon schildert. Wie anders mutet da doch die Leidensgeschichte nach Markus und Matthäus an! Nur noch tiefste Verzweiflung und Gottverlassenheit?
Das letzte Wort Jesu nach Markus und Matthäus
Markus und Matthäus überliefern nur ein letztes Wort Jesu, es ist von allen letzten Worten des Erlösers am Kreuz das wohl dunkelste: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mt 27,46; Mk 15,34) Ist Jesus am Ende an Gott selbst verzweifelt? Stirbt Jesus in völliger Gottverlassenheit? Man könnte es sich so denken. Und doch ist dieser Ausruf vielleicht nicht so hoffnungslos, wie er auf den ersten Blick scheint. Das letzte Wort Jesu hier ist nämlich der erste Satz von Psalm 22. Dieser beginnt mit einer Schilderung tiefster Verlassenheit und Leiden, geht dann aber über in einen hoffnungsvollen Lobpreis Gottes. Vielleicht hat auch Jesus nach seinem Aufschrei diesen Psalm noch still weitergebetet. Auf jeden Fall eröffnet sich selbst bei diesem dunkelsten Jesuswort in der Leidensgeschichte eine Perspektive der Hoffnung auf Rettung und Erlösung. Und dieses letzte Wort vermag auch uns immer wieder zu trösten. Am Kreuz auf Golgatha stirbt keine entrückte und leidensunfähige Gottheit, sondern ein Mensch, der das grösste Dunkel und die tiefste Gottverlassenheit am eigenen Leib erlebt hat. In diesem gekreuzigten Jesus zeigt sich so die ganze Solidarität Gottes mit den Leidenden, den Opfern der Geschichte und den selbst an ihrem Glauben Verzweifelten.
Menschlichkeit und göttlicher Triumph – die letzten Worte Jesu nach Johannes
Die ganze Bandbreite menschlicher Erfahrung und göttlicher Zuwendung zeigt sich noch einmal in besonderer Weise bei Johannes. So stiftet Jesus zwischen seiner Mutter, Maria, und seinem Lieblingsjünger, die er beide unter dem Kreuz stehen sieht, eine neue «familiäre» Beziehung. Er ruft seiner Mutter zu: «Frau, siehe, dein Sohn» und seinem Lieblingsjünger: «Siehe deine Mutter» (Joh 19,26-27). Ganz menschlich ist es doch, im Sterben zu versuchen sein Erbe zu regeln und sein Haus zu bestellen. Im Stiften dieser neuen Beziehung zeigt sich etwas von dieser menschlichen Sorge um diejenigen, die zurückgelassen werden müssen. Die tiefe Menschlichkeit Jesu zeigt sich auch in seinem Wort: «Mich dürstet» (Joh 19,28). Mit diesem Wort wurden auch Vorstellungen abgewehrt, Jesu sei gar nicht richtig gestorben und habe gar nicht am Kreuz gelitten. Dagegen wird im Johannesevangelium die wahre Menschlichkeit Jesu betont. Er empfindet Schmerzen, Hunger und Durst wie jeder andere Mensch auch.
Das letzte Wort Jesu im Johannesevangelium aber ist ein Wort göttlichen Triumphes: «Es ist vollbracht.» (Joh 19,30).
Hier klingt bereits am Karfreitag die grosse Botschaft von Ostern an. Mit seinem Tod entmachtet Jesus den Tod ein für alle Mal. Das Kreuz, jenes grausame Hinrichtungswerkzeug der römischen Herren, es wird zum Hoffnungs- und Lebenszeichen der Welt. Im Satz «Es ist vollbracht» scheint schon dieser andere, österliche, Satz durch, der uns allen eine hoffnungsvolle Zukunft ohne Leiden und Tod erschliesst: «Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaft auferstanden!»
Thomas Zellmeyer