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Die Orgel: Sinnbild für die Ökumene

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Orgel im Rohbau

Besuch bei der Orgelbaufirma Goll und Konzert in der Christuskirche Luzern

Der Ökumenische Förderverein Luzern lud am 29. Oktober zu einem «Orgeltag» ein. Beim Besuch in der Orgelbaufirma Goll wollte man erfahren, wie eine Orgel gebaut wird und in der christkatholischen Christuskirche in Luzern plante man, mit dem Organisten Engelbert Glaser zu hören, in welchen Farben und Schwingungen die Königin der Instrumente erklingt. Der Förderverein will durch konkrete Massnahmen und Anlässe die ökumenische Arbeit in Praxis und Forschung voranbringen. Es ist eine Tatsache, dass wir bis heute noch immer uneins sind und Risse zwischen den Konfessionen nicht überwunden haben. So etwa können Protestanten, Römisch-Katholiken und Christkatholiken kein gemeinsames Abendmahl feiern. Wir hinken dem Auftrag Jesu hinterher, wenn mir ein römisch-katholischer Pfarrer vor einer Woche sagt, dass er einen ökumenischen Gottesdienst mit gemeinsamer Eucharistie nicht feiern dürfe. Er habe Angst, alle zum Abendmahl einzuladen, denn es gebe Anzeigen.

Die neue Dozentin für Dogmatik, Fundamentaltheologie sowie Liturgiewissenschaft und Leiterin des Ökumenischen Instituts der Universität Luzern, Prof. Dr. Nicola Ottiger, sagte in ihrer Ansprache am Orgeltag: «Die Orgel in der Vielfalt ihrer Klänge ist ein Symbol der Ökumene. Einerseits ist die Orgel ein Symbol für die Vielfalt unserer trennenden und verbindenden Meinungen. Andererseits ist sie ein Symbol unseres Ziels, dass wir alle eins werden mögen. Wenn wir gemeinsam die Orgel hören und gemeinsam Lieder singen, zu denen uns die Orgel begleitet, könnte man meinen, es gäbe gar keine Trennung mehr. Dies mag dazu ermutigen, sich weiter unerschrocken dafür einzusetzen, trennende Risse zu heilen, dass alle eins seien – UT UNUM SINT (Johannesevangelium 17, 11)».

«Schwierig ist das Orgelspielen nicht, nur ein bisschen kompliziert»

Orgelschülerin Amélie Zwiswiler, 10 Jahre alt

Der Orgelbaumeister und Geschäftsführer Simon Hebeisen begrüsste uns in der grossen Halle der Orgelbaufirma Goll in Luzern. Wir standen zwischen einer provisorisch aufgebauten grossen Orgel und hölzernen sowie metallenen Orgelpfeifen. Uns kam es vor, als seien wir selbst Orgelbestandteile. Wir waren gespannt, was alles auf uns zukommen würde. «Sie werden das Orgelspiel in Zukunft anders hören, wenn sie gesehen haben, wie eine Orgel gebaut wird», sagte uns Simon Hebeisen gleich zu Beginn. Vollgepackt mit vielerlei Fragen waren wir angereist. Der erfahrene Orgelbaumeister lud uns ein, zu fragen, wie uns der Schnabel gewachsen sei: Wie wird eine Orgel gebaut? Welche Arbeitsschritte sind notwendig? Aus welchen Materialien besteht sie? Wie werden die Register eingebaut? Wie wird sie zum Erklingen gebracht? Wie entstehen die verschiedenen Klangfarben?

Friedrich Haas und Friedrich Goll

In der Schweiz gibt es vier Orgelbaufirmen, die alle ihre spezielle Geschichte haben und deren Orgeln in der ganzen Schweiz und im Ausland zu sehen sind. Alle kann man äusserlich und vom Klang her voneinander unterscheiden: Kuhn in Männedorf, Metzler in Dietikon, Mathis in Luchsingen und Goll in Luzern. Simon Hebeisen führte uns zu den Wurzeln der Orgelbaufirma Goll, die für die Orgellandschaft Schweiz von besonderer Bedeutung sind. Zwei Namen stehen bis heute für die Arbeitsweise und die Philosophie der Orgelbaufirma: Friedrich Haas und Friedrich Goll. Friedrich Goll (1839-1911) kam aus dem württembergischen Bissingen an der Teck in die Schweiz. Er hatte das Orgelbauhandwerk bei seinem Bruder Christoph Ludwig Goll in Kirchheim unter Teck erlernt. Nach seinen Wanderjahren in Paris und England arbeitete er bei Friedrich Haas (1811-1886), einem der hervorragendsten Orgelbauer des 19. Jahrhunderts. Dank des noch erhaltenen Werkstatt-Tagebuchs von Friedrich Haas lässt sich vieles über die Arbeitsweise eines Orgelbauers sagen. Ganz in der Tradition eines alten Orgelbauers zog Haas von Ort zu Ort und bestimmte auf diese Weise seine Aufträge. Erst beim Bau der Orgel für die Hofkirche liess er sich in Luzern fest nieder. Wie sah solch eine Orgel aus? Für den Orgelbau und für Organisten ist die Orgel in der reformierten Kirche von Thalwil eine Art Pilgerstätte. Sie ist das einzige vollständig erhaltene Instrument der ursprünglich 23 Werke umfassenden Arbeiten von Friedrich Haas. Darüber hinaus ist sie mit ihrer kultivierten, farbig differenzierten Klangästhetik auch eines der raren authentischen Klangdokumente für die «romantische Orgel» in der Schweiz.

Orgel der Klosterkirche Engelberg bringt den Durchbruch

Vor etwas über 150 Jahren, im Jahr 1868, übernahm der damals 28-jährige Friedrich Goll die Werkstatt von Friedrich Haas in Luzern. Den Durchbruch schaffte er mit seinem Opus 12, der ersten grossen Orgel der Klosterkirche Engelberg mit ihren damals 50 Registern. Einem Kernanliegen ordnet die Firma bis heute alles unter: Die Instrumente müssen eine hohe Qualität aufweisen. Dies war auch das Fundament für den Ruf unter Orgelbauern und Auftraggebern. Es ermöglichte eine kontinuierliche Vergrösserung des Betriebes auf 70 Angestellte (um 1910).

«Sie werden das Orgelspiel in Zukunft anders hören, wenn sie gesehen haben, wie eine Orgel gebaut wird»

Orgelbaumeister Simon Hebeisen

Bis 1895 wurden mechanische Kegelladen gebaut. Gemäss Simon Hebeisen sei dies ein Konstruktionsprinzip im Orgelbau. Alle Pfeifen, die zu einem Register gehören, stehen auf einer gemeinsamen «Windlade». Eine Windlade sei das Herzstück jeder Orgel, auch bei anderen Techniken. Wir schauten sie uns genauer an – wahre Wunderwerke. Aus der Windlade beziehen die Pfeifen die nötige Luft. Wie viel Luft jede Pfeife erhält, wird hier koordiniert. Sie ist wie ein Sandwich zwischen Tasten und Pfeifen. Wie viel Luft und wie viel Ausgleich dies alles für ein Tutti benötigt, konnten wir nur erahnen, denn die grossen Pfeifen sind bis zu 5 Meter lang und die kleinsten 12 Millimeter. 1905 übernahmen die Söhne Karl und Paul das Geschäft. Sie führten es durch eine bewegte und krisengeschüttelte Zeit bis zum international gefeierten Bau der bis heute grössten Orgel der Schweiz in der Klosterkirche Engelberg. Deren Registerzahl wurde 1926 auf 135 erhöht.

Jede Orgel ein Unikat

Nach dem tragischen Unfalltod von Friedrich Goll (Enkel des Firmengründers) übernahmen Beat Grenacher und Jakob Schmidt 1972 die traditionsreiche Luzerner Orgelbaufirma. Während der letzten 45 Jahre haben bald 100 Instrumente die Luzerner Werkstatt verlassen: Jede Orgel ist ein Gesamtkunstwerk.

Orgelbaumeister Simon Hebeisen

Ein spannender Beruf

Die Firma Goll mit ihren heute 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern habe immer 1 bis 2 Lehrlinge, sagt uns der Orgelbaumeister. Der Beruf des Orgelbauers beinhaltet ein ganze Reihe von Berufen: Intonateur, Orgelpfeifenmacher, Schreiner, Elektriker, Akustiker, Organist und noch viele andere. Aus verschiedenen Holzarten, Metallen, Kunststoffen und Leder werden Einzelteile von Orgeln hergestellt. Lippenpfeifen, Zungenpfeifen, Zungenregister, auch Glockenregister und Pedalobertasten werden nach technischen Vorgaben gebaut und zusammengesetzt. Die Vorgaben können sich ändern, so wie etwa in den 1970er-Jahren bestimmt wurde, dass Elfenbein nicht mehr für die Tasten verwenden werden dürfe. Dies führe manchmal zu komischen Situationen. Bei der Restaurierung eines Instrumentes mit Baujahr 1910 muss an der Grenze bewiesen werden, dass der Elefant vor 1970 erlegt worden ist.

Die Orgel als ideales Erstinstrument: Dank der Aufsteck-Elemente

Die Organistin Daniela Achermann hatte vor über einem Jahr die Idee, in Sursee eine Orgelschule zu gründen. Simon Hebeisen sagt, dass Sie damit Kinder und Jugendliche für das Instrument Orgel gewinnen wollte, was er sehr unterstützt habe. Denn wie sollte ein 9-jähriges Mädchen mit ihren kurzen Beinen zu den Pedalen gelangen? Wenn Amélie, Maël und Layra in die Kirchen kommen, montieren sie zunächst Holzteile auf die Pedale, welche fast wie Schlittschuhe aussehen. Die Orgelbaufirma Goll entwickelte Aufsteck-Elemente. Eine Vorrichtung, die die lange Distanz von der Orgelbank zu den Pedaltasten überbrückt: Die angepassten Kinderpedal-Elemente werden auf die bestehende Pedalklaviatur gesteckt und schon können die kurzen Kinderbeine selbst die allertiefsten Pedaltöne erklingen lassen. Auch für das Einstudieren und Üben der Unabhängigkeit zwischen Händen und Füssen ist diese Entwicklung von entscheidender Bedeutung, sagt der Orgelbaufachmann, der auch an der Musikhochschule in Luzern unterrichtet. An den meisten Musikschulen müssen die Kinder zunächst einen mehrjährigen Klavierunterricht vorweisen, bis sie lernen dürfen, die Orgel zu spielen. Für Daniela Achermann hingegen ist die Orgel das ideale Erstinstrument. Drücke ich eine Taste, höre ich schon einen Ton, der so lange anhält, bis ich wieder loslasse. Noch gibt es kaum Lehrmittel, so dass die Orgellehrer dabei sind, neues Unterrichtsmaterial zusammenzustellen. Der grosse Reichtum an Klangfarben und die vielen Register bieten Möglichkeiten, die mit den anderen Musikinstrumenten kaum bestehen.

Die Klaviatur, in der Entstehung begrifffen

Mit Händen und Füssen auf Pedalen und Tastaturen

In einem Gespräch auf der Orgelempore in der St. Georgkirche in Sursee fragte die Journalistin Salome Erni die 10-jährige Amélie Zwiswiler, wie sie denn zurechtkomme. «Schwierig ist das Orgelspielen nicht», sagt sie, «nur ein bisschen kompliziert“. Spielt Amélie das lüpfige Rockstück «The Eye Of The Tiger», wird es einem fast schwindlig, wenn man sieht wie schnell ihre Füsse den Rhythmus übernehmen und ihre Hände auf zwei Manualen – Tastaturen – hin- und herfliegen. Amélie und die anderen Schüler und Schülerinnen üben zu Hause am Klavier und manchmal auch auf den Orgeln in den umliegenden Kirchen. So zeigte uns der Orgelbaumeister, welch viele Möglichkeiten eine Orgelbaufirma hat, um auf verschiedenste Anliegen und Herausforderungen unserer Zeit ein Antwort zu geben: Die Orgel sprechen zu lassen!

Klangerlebnis: Metzler-Orgel der Christuskirche in Luzern

Am Nachmittag waren wir in der christkatholischen Kirche zu Gast beim Orgelvirtuosen Engelbert Glaser. Nachdem wir in der Orgelbaufirma Goll einen Grundkurs in Orgelbaukunde erhalten hatten, erzählte uns Engelbert Glaser auf anschauliche, besser auf „hörbare“ Weise, welche Möglichkeiten eine Orgel bietet, was man als Gottesdienstbesucher nur erahnen kann. Er erklärte uns auch, welche Aufgaben der Organist hat, zum Beispiel die Orgel zu pflegen. Dabei geht es etwa um Temperaturausgleich, Luftfeuchtigkeit oder um das Ölen der Motoren.

Die Luzerner Kirchgemeinde hatte in den 70er Jahren entschieden, die alte Goll-Orgel durch eine Metzler-Orgel zu ersetzen. Schaut man sich den Orgelprospekt – das Äussere der Orgel – an, könnte man fast denken, es sei eine Barockorgel. Die 70er Jahre waren für den Orgelbau eine Experimentierzeit und daneben wollte man auch zur ursprünglichen Form zurück bis hin zum Barock. So baute Metzler an der Museggstrasse die neubarocke Orgel. Ganz nach dem Geschmack der damaligen Zeit.

Extrakonzert in der Christuskirche

Engelbert Glaser, der auch eigene Stücke komponiert, spielte vom bewegten Bach, zum verspielten Mozart, zum lustigen Carl Orff bis zur Jahrmarktsorgel. Alles, was er uns über die Orgel sagte, liess er uns gleich hören. Für ein Orgelstück gibt es oft über 200 Einstellungsmöglichkeiten. Bevor wir Stücke von zeitgenössischen und klassischen Komponisten hören, muss der Organist überlegen, welche Register er wann ziehen will, erklärt uns Engelbert Glaser. Wenn er die Orgel, auf der er spielt, noch nicht kennt, braucht er für ein einstündiges Konzert gute 8 Stunden Zeit zum Einstellen.

Einen solchen Orgeltag wünschen wir allen, die die Königin der Instrumente lieben und auch allen, die nichts mit Orgelklängen anfangen können. Wie uns der Orgelbaumeister Simon Hebeisen am Anfang prophezeite: Wer sieht, wie eine Orgel entsteht, hört die Orgelmusik nachher anders.

Niklas Raggenbass
Vorstandsmitglied des
Ökumenischen Fördervereins.
Text und Bild