Ein Bischof werden
«Den Menschen und Kirchgemeinden nahe sein.»
Am Abend nach der Wahl wird Frank Bangerter beim Apéro von Tisch zu Tisch gehen. Inmitten von allen, wird er sich vortasten in den neuen, viel grösseren Kreis, er wird zuhören, lachen, diskutieren. Ohne Alben, ohne rote Stolen: spürbarer Pfingstgeist für eine Kirche, die gemeinsam aufbricht, dabei gewiss auch streiten wird über das zu Bewahrende und das zu Erneuernde. Ein Bild von Vielfalt, gangbar nicht ohne Konflikte, aber lebendig und mit immer wieder möglicher Liebe, wird sich auftun.
Drehen wir die Uhr zurück auf den ereignisreichen 24. Mai in Aarau. Es flirrt vor Erwartungen in der Kirche. Medienleute eilen hin und her, bringen Kameras in Position. Die Mütze, mein Herr, Sie sollten die Mütze ausziehen in der Kirche, das wäre höflich. Dann der Einzug der Geistlichen, in Alben mit den roten Stolen nach Pfingsten gewandet. Ein Bild von Einheit, wogendes Weiss, leuchtendes Rot. Drei aus ihrer Mitte stehen zur Wahl, um Bischof zu werden. Einer wird es.
Nach dem Synodegottesdienst beginnt das Wahlprozedere. Den Kandidaten steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben: Was, wenn ich gewählt werde? Was, wenn nicht? Flüchtige Momente der Gelassenheit in den Gesichtern, wohl dann, wenn ein Kandidat den Ausgang der Wahl Gott anvertraut. Oder vielleicht, wenn eine innere Stimme wispert, dass die Wahl auf einen andern fallen werde, der das Gewicht der Verantwortung fortan trage. Halt gibt die Hinwendung zum Gefährten, zur Gefährtin.
Die Anspannung vibriert im Raum
Nun ruft die Vorsitzende des Wahlausschusses die Berechtigten mit Namen zur Urne. Alphabetisch diszipliniert bewegt sich der Reigen durch die Kirche, Schritte, Blicke, Stoffgeräusche, raschelnde Wahlzettel, das hölzerne Klappern der umgedrehten Urne, es knackt im Mikrofon. Die Vorsitzende liest die Namen auf den Wahlzetteln ab, einen um den andern. Lars Simpson. Christoph Schuler. Frank Bangerter. Andere Namen fallen vereinzelt, von Frauen, von jüngeren Geistlichen, vom Bistumsverweser. Raunen in den Kirchenbänken, Auflachen, Applaus. Die Wahl zieht sich hin. Lange. Anspannung vibriert im Raum, die Medienleute werden nervös und nervöser.

Urne legen. Die Wahlzettel wurden danach laut vorgelesen und offen ausgezählt. Dann warten … Fotos: Christoph Knoch
Die Wahl nicht erwartet
Nach dem fünften Wahlgang erklärt auch der zweite Kandidat den Verzicht. Im sechsten wählen zwei Drittel der Stimmberechtigten Frank Bangerter zum Bischof der christkatholischen Kirche der Schweiz. Er hat nicht erwartet, gewählt zu werden. Da steht er und fasst es kaum und fasst sich und tritt ans Redepult. Mit bewegter Stimme bedankt er sich, in allen Landessprachen. Er spricht von der Verantwortung, vom Respekt vor der Aufgabe. Von seiner Freude und dem Willen, ein Bischof für alle zu sein, in einer Kirche, die offen und mutig auftritt, die Gutes tut und darüber spricht, die glaubwürdig ist und authentisch und mit ihrer Begeisterung auch spirituell Suchende anspricht.
Für Reformen will er sich einsetzen, neue Gottesdienstformen erproben. Die Verantwortung für das Bistum gemeinsam mit dem Synodalrat tragen. Den Menschen und Kirchgemeinden nahe sein, sie stärken und ermächtigen. Die Geistlichen unterstützen, ihr Seelsorger sein. Das Mögliche tun für geistlichen Nachwuchs und über vermehrten Einbezug der Laien im Gottesdienst nachdenken.
Begeistert spricht er über seine offene, liberale Kirche, die Frauen ordiniert und die Ehe für alle kennt, die lebensnah ist und Vielfalt anerkennt. Noch stärker als bisher will er zum Ausdruck bringen, was diese Kirche in katholischer Tradition ausmacht.

Dann folgen die Emotionen
Kameras sind auf ihn gerichtet, er betont das Gemeinsame am kommenden Weg, am kirchlichen Leben und Werk zusammen mit den Geistlichen, den Laien, den Kirchgemeinden und ihren Mitgliedern. Dann bahnt er sich den Weg zurück zum Gefährten, überwältigt von Emotionen.
Frank, der Seelsorger, ein feiner, feinfühliger Mensch, ein Zuhörer, einer, der das Laute nicht sucht, aber das Wahre; was den Schritten weiten Raum gibt und den Knöcheln Standfestigkeit (Ps 18,37), das Fundament einer spirituellen Heimat. Gebaut als Kirche, heiliger Raum, offen zum Himmel, ein Dach über den Seelen.
Das Rampenlicht ist ungewohnt
Die Freude, die Überraschung, das Wundern, das Gewicht der Verantwortung, all die Gefühle durcheinander. Da ist kein Raum für eine Minute des Rückzugs, keine Zeit, die Emotionen zu Ende zu fühlen. Alle sehen zu ihm hin. Ohne dass er Gelegenheit hätte, vom Erstaunen ins Wahrhaben zu gelangen, bleiben die Kameras auf ihn gerichtet, die Journalisten beginnen mit den Interviewfragen, die Beleuchter leuchten sein Gesicht aus, Frank kommt kaum zu Atem. Verhaspelt sich, schliesst die Augen, atmet hörbar aus. Noch einmal stellt der Journalist seine Frage, noch einmal antwortet Frank.
Das Rampenlicht ist ungewohnt, es kommt Frank zugute, ein erfahrener Priester zu sein. In diesen Stunden wechselt der Ausdruck auf seinem Gesicht wie Wolkengestalten bei Windwetter, bald mit festem Blick und Zuversicht, bald fragend erstaunt, bald suchend nach einem Ort ausserhalb des Lichtkegels. Wer bin ich, dass ich Euer Bischof sein könnte? Welch eine Freude, ihr habt mich zu Eurem Bischof gewählt, ich will mich des Vertrauens und der Ehre würdig erweisen!

Bischof werden, Bischof sein
Ein Bischof werden. Was vorher Gedankenspiel war, wird mit der Wahl ein Hineinwachsen in die Berufung, und mit der Weihe wird das Tor durchschritten. Das Werden dauert wohl fort. Drei elementare Aufgaben des Bischofs oder der Bischöfin nennt das Weihegebet: der Verkündigung dienen und das Evangelium verbreiten, mit den Menschen die grossen Taten von Gottes Liebe feiern und sie als guter Hirte auf Gottes Wegen leiten. Ein verbindender Mensch, verbunden mit allen Gläubigen, auch denen im kirchlichen Amt.
Schon tickern die News, kommen die Presseanfragen, werden dicke, mitunter diskriminierende Schlagzeilen und erste Artikel verfasst, über die Herausforderungen, die den neuen Bischof erwarten, als gäbe es die Nationalsynode und den Synodalrat nicht. Als wäre es die einsame Aufgabe eines bischöflichen Herrschers, die Herausforderungen zu meistern. Gewiss, ein Bischof repräsentiert eine Kirche nach aussen. Auch hatten Schlagzeilen noch selten den Platz für differenzierende Worte wie das Frank und allen anderen Kirchenzugehörigen so wichtige: gemeinsam. Die Leitung der Kirche obliegt der Nationalsynode, dem Bischof und dem Synodalrat gemeinsam, so besagt es die Kirchenverfassung.
Um 17 Uhr läuten die Glocken und verkünden die Wahl. Sie läuten deinetwegen, sagt der Synodepräsident zu Frank, in den christkatholischen Kirchen im Land. Frank ist ergriffen.
Mahl und Gemeinschaft
Stimmengewirr und Gläserklirren am Apéro. Frank geht von Tisch zu Tisch, hört zu, redet und scherzt. Mit jedem Tisch, jedem Gespräch bewohnt er die neue Rolle etwas bewusster. Als im Saal das Essen aufgetragen wird, spricht Frank sein erstes Tischgebet als gewählter Bischof, frei, sorgfältig die Worte wählend, mit fester Stimme.
Erika Moser