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Ein christkatholischer Lernweg

Universitaet Bologna
Die Universität von Bologna. Foto: zVg.

«Curriculumrevision» – ein Zungenbrecher, der das Institut für Christkatholische Theologie in den vergangenen Jahren immer wieder beschäftigt hat. Es geht darum, Studienpläne den aktuellen Anforderungen anzupassen. Das Theologiestudium sieht heute anders aus als noch vor zehn, dreissig oder hundert Jahren.

Als ich selbst vor dreissig Jahren mein Theologiestudium in Bern angetreten habe, waren die Studierenden weitgehend selbst verantwortlich dafür, welche Vorlesungen und Seminare sie besuchten. Das Studienreglement machte nur wenige Vorschriften zum Studium, dafür umso mehr zu
schriftlichen Arbeiten und Prüfungen. Frei studieren und am Ende grosse Schlussprüfungen, das war da-mals die Regel. Als Studienanfänger hat mir ein fortgeschrittener Mitstudent einige Ratschläge gegeben: Besuche dies zuerst; anderes kann warten, bis du Griechisch gelernt hast. Verbindlich war das nicht, es beruhte auf Empfehlungen und gesundem Menschenverstand. Ich habe die Freiheit des Studiums geschätzt, aber den systematischen Studienaufbau vermisst. Und die Schlussprüfungen waren sehr aufwändig.

Bologna, Kreditpunkte und Pflichtmodule

Dann kam «Bologna»: eine Hochschulreform, beschlossen von 29 europäischen Bildungsministern. Die Studienprogramme und Abschlüsse an den europäischen Universitäten sollten besser vergleichbar werden. Studienleistungen wurden in Kreditpunkte umgerechnet: 30 Stunden Studium sind ein Punkt, gemäss dem European Credit Transfer System mit der berühmten Abkürzung «ECTS». Studierende sammeln Punkte durch den Besuch von Vorlesungen und Übungen, durch Selbststudium und Lektüre, durch Praktika und schriftliche Arbeiten. Um die Punkte gutgeschrieben zu bekommen, muss ein Leistungsnachweis abgelegt werden. Das kann eine Prüfung sein oder ein Vortrag, den man hält, eine Probepredigt oder ein Essay. 180 Punkte sind nötig für einen Bachelor-Abschluss, weitere 120 für einen Master – die Abschlussprüfungen entfallen. Man kann die Punkte aber nicht nach eigenem Gutdünken sammeln, vielmehr gibt es Pflicht- und Wahlveranstaltungen.

Dies ist der generelle Rahmen, den jede Fakultät für ihre Studiengänge mit Inhalt füllen musste. Auch die Theologische Fakultät der Universität Bern hat dies getan. Sie hat Pflichtveranstaltungen festgelegt, die jedes Jahr in gleicher Weise angeboten werden, vor allem die Grundkurse. Es gibt weitere Kurse und Module, die ebenfalls obligatorisch sind, wo es aber unterschiedliche, jährlich wechselnde Angebote gibt. Zum Beispiel ist ein Aufbaumodul Neues Testament verpflichtend, aber ob man dazu eine Veranstaltung zum Matthäusevangelium oder zum Epheserbrief besucht, ist nicht vorgeschrieben. Im Wahlbereich schliesslich können die Studierenden selbst aussuchen, wo sie ihren Schwerpunkt setzen wollen.

Vor- und Nachteile

Dieses System hat unbestreitbare Vorteile: Es gibt einen systematischen Studienaufbau mit Einführungs- und Vertiefungsveranstaltungen. Die Fragen werden im Laufe des Studiums komplexer, die Selbständigkeit der Studierenden grösser. Die Anforderungen in den einzelnen Fächern sind ähnlich hoch. Als Student/in einem Fach ausweichen und auf Prüfungsglück hoffen? Als Professor/in eine unrealistisch lange Literaturliste zu Grunde legen? Beides ist heute nicht mehr möglich. Lehrbücher zu grundlegenden Themen sind kompakter geworden und haben interessanterweise meistens dreizehn Kapitel – so viele wie ein Semester Vorlesungswochen hat.

Ein Nachteil des Systems ist die Verschulung des Studiums: Je mehr Pflichtveranstaltungen, desto weniger haben die Studierenden die Möglichkeit, nach ihren persönlichen Interessen Schwerpunkte zu setzen. Ausserdem sind sie viel stärker in ihrer «Jahrgangsklasse» drin. Ich habe in meiner Studienzeit den gemeinsamen Vorlesungsbesuch von Studienanfängern und Fortgeschrittenen als sehr bereichernd empfunden. Ob viele kleinere Prüfungen oder ein paar wenige grosse Schlussprüfungen besser sind, darüber scheiden sich die Geister.

Auswerten und verändern

Vor einigen Jahren hat die Theologische Fakultät die Erfahrungen mit der Bologna-Reform ausgewertet. Dazu wurden unter anderem die Absolventinnen und Absolventen befragt, mit einem umfangreichen Fragebogen. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für eine Curriculum-Revision. Seit 2017 ist der aktuelle Stu­dienplan in Kraft.

Die wichtigste Veränderung aus meiner Sicht: Die «Verschulung» beschränkt sich jetzt auf das Bachelor-Studium. Im Master-Studium, wenn die Studierenden die Grundlagen mitbringen, können sie den persönlichen Interessen viel grösseres Gewicht geben. Vier Seminare sind vorgeschrieben – in welchen Fächern, wählen die Studierenden selbst. Die Masterarbeit, deren Thema man weitgehend selbst bestimmt, bildet ein Viertel des Masterstudiums. Ein weiteres Viertel ist das Praktische Semester, das praktische Übungen in einer Kirchgemeinde mit begleitenden Lehrveranstaltungen kombiniert.

Im christkatholischen Studienplan wird das Christkatholische erfreulich gut sichtbar: Es gibt im Bachelor je ein Modul «Geschichte des Altkatholizismus» und «Altkatholische Dogmatik». Ökumene und Liturgiewissenschaft, aber auch das Kirchenverständnis in Theorie und Praxis haben besonderes Gewicht. Es ist ein christkatholischer Lernweg, der angeboten wird. – Das Institut für Christkatholische Theologie ist nicht völlig frei in der Festlegung des Studienplans. So kann man natürlich den Studierenden etwas nur dann verbindlich vorschreiben, wenn es an der Fakultät auch angeboten wird. Der aktuelle Studienplan versucht eine Mischung zwischen einem stark strukturierten und einem freien Studium und unterstreicht das christkatholische Profil. Der Kirche und den Anforderungen des Pfarramtes kommt das sehr entgegen.

Pfarrer Dr. Adrian Suter