Header

Hauptnavigation

Europäische Christ*innen unter dem Regenbogen

2022 05 28 LGBT Gottesdienst Grossmuenster22 Urs Bosshard 1
LGBT-Gottesdienst im Zürcher Grossmünster. Foto: Urs Bosshard.

Vom Mittwoch 25. Mai bis Sonntag 29. Mai 2022 fand in Zürich die Jahreskonferenz des European Forum of LGBT Christian Groups unter dem Motto «SEE, I WILL GATHER YOU, FROM WHEREVER YOU ARE» statt.

Passend zum Motto, das auf Jer 31:8 beruht, sind rund 140 Personen aus knapp 30 europäischen Ländern für die 40. Jahreskonferenz des Europäischen Forums christlicher LGBT-Organisationen zusammengekommen.

Das Forum ist eine ökumenische Vereinigung mit über 40 Mitgliedsgruppen aus ganz Europa und verfolgt das Ziel, die Gleichstellung und Integration von LGBT-Menschen innerhalb und durch christliche Kirchen und andere religiöse Einrichtungen und multilaterale Organisationen zu erreichen.

Die Jahreskonferenz bestand aus zahlreichen Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden sowie spirituellen Zeremonien. Verbindendes Thema war, wie sich die Vielfalt («Diversity») der Teilnehmer*innen in das jeweils eigene Leben, den eigenen Glauben und den eigenen Aktivismus integrieren lässt, um damit auch ein Teil der Last der Anderen zu tragen und neue Impulse und Hoffnung zu schöpfen.

So gab es an den Workshops beispielsweise zu entdecken, wie Laienstrukturen in einer Kirche als Kraft für Inklusion wirken können, was die Geschichte von Hiob als biblischer Patriarch mit der Situation heutiger queerer Menschen verbindet oder wie es um die Debatte in der christkatholischen Kirche zum Thema «Ehe für Alle» (präsentiert von Pfr. Adrian Suter) steht.

Zu den Höhepunkten gehörte auch ein öffentlicher, ökumenischer LGBT-Gottesdienst mit Abendmahlfeier und Taizé-Liedern im Zürcher Grossmünster. Als christkatholisches Mitglied des Teams aus 6 LGBT-Menschen, die den Gottesdienst gemeinsam geplant und zelebriert haben, berührte mich sehr, wie für alle Anwesenden in dieser Feier spür- und erlebbar wurde, dass unser Glaube an Gott uns aus allen Himmelsrichtungen sichtbar als Community zusammengeführt hat und unser Vertrauen in die untrennbare Liebe Gottes zu allen Menschen uns in Hoffnung miteinander verbindet. Eine Hoffnung, die Kraft gibt, da viele LGBT-Menschen nach wie vor Ablehnung, Ausgrenzung und Hass ausgesetzt sind, gerade auch in kirchlichem / religiösem Kontext.

Beeindruckt hat mich ebenfalls die mit viel Herzblut und grossem Einsatz erbrachte Vorbereitung und Durchführung der Konferenz.

Interview mit Irène Schwyn

Irène Schwyn war Mitglied des lokalen Organisationskomitees der diesjährigen Konferenz und einige Jahre im Vorstand des European Forum aktiv.

Irène Schwyn, welche Bedeutung hat für Sie das European Forum?

Für mich ist es ein starkes Netzwerk, das mich trägt und gleichzeitig ermutigt, über mich selbst hinauszuwachsen. Eine Gemeinschaft, die Diversität lebt und gerade dadurch konkrete Ziele ins Auge fasst und mit viel Ausdauer daran arbeitet.

Wieso ist eine ökumenische, europäische Vernetzung von christlichen LGBT Gruppen wichtig?

Viele Aufgaben sind regional oder national gar nicht lösbar. Kirche hört nicht an Landesgrenzen auf, dementsprechend müssen auch Veränderungen auf institutioneller Ebene oft europa- oder gar weltweit angegangen werden.

In politische Debatten fliessen auch gern religiöse Vorstellungen ein, gerade bei Stichworten wie Familie, Werte, oder Traditionen. Da braucht es auch queere Stimmen z.B. im Europarat. Stimmen, die religiös argumentieren können, sonst steht «die christliche Haltung» als konservativer Monolith in der Landschaft, und reaktionäre Kräfte können die Religionsfreiheit als Barrikade benützen.

Impression aus einem Vortrag im Rahmen des EF-Forums.

Was waren für Sie wichtige oder beeindruckende Momente und Begegnungen an der Tagung in Zürich?

Sich persönlich treffen zu können war nach zwei Jahren virtueller Kontakte enorm wichtig. Für viele Teilnehmende war es ein Erlebnis, dass dies in einem Bildungszentrum der römisch-katholischen Kirche stattfinden konnte, in ihren Herkunftsländern wäre das nicht vorstellbar.

In lebhafter Erinnerung bleibt mir zudem die Begegnung mit der ehemaligen evangelisch-methodistischen Bischöfin Rosemarie Wenner, und was sie über queere Themen in der EMK und im Ökumenischen Rat der Kirchen erzählte.

Was können wir von unseren LGBTIQ+ Kolleg*innen des European Forum aus zentral- und osteuropäischen Ländern mitnehmen?

Allgemeine Aussagen über ein derart grosses Gebiet mit einer enormen konfessionellen, politischen und sprachlichen Vielfalt sind schwierig. Das «hohe Ross des westlichen Dünkels» macht Pauschalisierungen nicht legitimer. Ich habe es allerdings mehr als einmal erlebt, dass Argumentationsmuster reaktionärer Gruppierungen zuerst in Zentral- oder Osteuropa auftauchten, und sich dann weiterverbreiteten. Beispiele sind die «traditionelle Familie» oder die Vorstellung, dass Gender eine Ideologie sei.
Ich habe den Wert eines Rechtsstaats schätzen gelernt. Und gleichzeitig als brave Schweizerin viel über kreative Subversion gelernt, ohne die gerade christliche LGBTIQ+ Menschen kaum weiterkommen.

Was können wir in der Schweiz in unseren Glaubensgemeinschaften für queere Menschen tun?

Die christkatholische und auch die reformierten Kirchen machen schon viel, es ist kein Zufall, dass sie im europaweiten Vergleich so gut abschneiden. Was ich mir wünsche: Mehr Mut zum Hinstehen, wenn im Religionsunterricht oder im Altersheim sogenannte «Witze» über queere Menschen fallen. Es bestehen auch noch grosse Wissenslücken: Bei bisexuellen Menschen wird oft davon ausgegangen, dass sie gleichzeitig mehrere Beziehungen haben, während für heterosexuelle Menschen Monogamie vorausgesetzt wird. Und gerade im Hinblick auf trans* und intergeschlechtliche Menschen ist wenig Wissen vorhanden.

Link zur Website des European Forum of LGBT Christian Groups: https://www.lgbtchristians.eu/

Irène Schwyn
ist Pfarrerin und Kirchenrätin in der Reformierten Kirche Zug. Sie engagiert sich seit Jahrzehnten für die Anerkennung und Rechte queerer Menschen in den Kirchen in der Schweiz und in Europa.

Thomas* Ramseier-Schmitz
(Kirchenrat/-rätin* KG Schönenwerd-Niedergösgen)