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Flexibel und nicht stur

Warum heften wir unsere Sehnsüchte und Wünsche so gern an die Sterne? Das lateinische Wort dafür heisst «desiderare» und bedeutet «sich sehnen» und «wünschen». Wenn wir dazu noch wissen, dass «sidus, sideris» in «desiderare» steckt, liegt darin eine menschliche Erfahrung verborgen. «Sidus» bedeutet nämlich Stern oder Himmel. Immer wieder haben Menschen in ihren Vorstellungen das Haus Gottes und Gott selbst bei den Sternen vermutet: Gott wohnt am Ort unserer Sehnsüchte.

Vor zweitausend Jahren machten sich drei Magier – Sterndeuter – auf den Weg, denn sie sahen hoch oben am Himmel einen besonders leuchtenden Stern. Das kam dem griechischen Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos, der im 4. Jahrhundert lebte, beim Lesen des Matthäusevangeliums sonderbar vor: «Der Stern kann nicht in der Höhe stehen geblieben sein und den Ort ihres Verlangens angezeigt haben, sonst hätten ja die Magier den neugeborenen Jesus gar nicht finden können». «Nein», schreibt Chrysostomos, «der Stern muss sich zu diesem Zweck in die Tiefe hinab, zur Erde, gesenkt haben».

Wenn wir die Geschichte heute lesen, kann das bedeuten, dass wir überraschende Entdeckungen machen, wenn wir den Mut haben, unsere Blickrichtung zu verändern – flexibel und nicht stur: Sehnsüchte und Wünsche, die uns treiben, uns Freude oder Kummer bereiten, wollen «geerdet» werden. Auch wir sind Sterndeuter. Wir können die Sterne am Firmament unseres Herzens sehen und vielleicht leuchtet einer besonders hell. Scheuen wir nicht den Weg, denn wir werden das Heilige, das Ausserordentliche, auf dem Boden des Alltäglichen unserer Wirklichkeit «entdecken».

Niklas Raggenbass