Gesetze sind für die Menschen da
Theologischer Essay über die «Ehe für alle»
Immer mehr europäische Staaten haben in den letzten Jahren die zivilrechtliche Ehe für homosexuelle Paare geöffnet. In der Schweiz wird der Nationalrat in seiner Sommersession 2019 über eine parlamentarische Initiative beraten, die ebenfalls die sogenannte Ehe für alle erreichen will. Diese gesellschaftlich-politische Diskussion ist zwar eine Sache für sich, aber sie fordert die Kirchen heraus, ihre Haltung gegenüber homosexuellen Paaren und Partnerschaften zu überdenken und gegebenenfalls Stellung zu beziehen.
Theologischer Essay über die «Ehe für alle»
Die parlamentarische Initiative in der Schweiz will «alle rechtlich geregelten Lebensgemeinschaften für alle Paare […] öffnen, ungeachtet ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung». In diesem Sinn ist sie der unbedingten Gleichberechtigung verpflichtet. Sie fordert unterschiedslose Rechtssicherheit und richtet sich gegen den Ausschluss homosexueller Paare von der Ehe. Sollte die Initiative angenommen und die zivilrechtliche Ehe für alle Paare geöffnet werden, dürften die Religionsgemeinschaften dennoch weiterhin hetero- und homosexuelle Partnerschaften dahingehend unterscheiden, dass sie die einen zu ihren traditionellen Ehe-Riten zulassen und die anderen nicht.
Ehesakrament für alle?
Ob die Religionsgemeinschaften im Zuge der gesellschaftlichen Diskussion und im Falle der Öffnung der zivilrechtlichen Ehe für alle ihre Praxis ändern, bleibt ihnen überlassen. Die altkatholischen Kirchen der Utrechter Union, zu denen die christkatholische Kirche der Schweiz gehört, befinden sich derzeit in einem breit angelegten Prozess, der die gesellschaftliche Diskussion um die Ehe für alle aufgreift und im Zusammenhang mit der kirchlichen Lehre und Praxis zu klären versucht.
Zwischen Tradition und Lebenswirklichkeiten
In der theologischen Diskussion über die Ehe respektive das Ehesakrament für alle stehen sich hauptsächlich zwei Positionen gegenüber.
Die eine baut ihre Argumentation vorwiegend auf der Bibel und der kirchlichen Tradition auf. Sie räumt der traditionellen Ehe von Mann und Frau eine besondere Stellung ein, die homosexuelle Partnerschaften im Licht von Bibel und Tradition so nicht erreichen.
Die andere Position baut auf soziologische Erkenntnisse, die nahelegen, dass Ehen und Partnerschaften sowie die menschliche Sexualität tatsächlich in einer Vielfalt gelebt werden und wurden, der kaum ein Ideal – auch nicht das biblisch und kirchlich geprägte – gerecht wird. Diese beiden Standpunkte haben vor allem den Menschen in seiner sexuellen und emotionalen Beziehung zu anderen Menschen im Fokus. Fragen nach Gerechtigkeit, Gleichberechtigung sowie Gleichheit unter den Menschen in der Gesellschaft stehen hier kaum zur Diskussion, obwohl die politische Entscheidung, ob die zivilrechtliche Ehe für homosexuelle Paare geöffnet werden soll, auch unter diesen Gesichtspunkten gefällt werden muss.
Gleichheit aller Menschen
Zu behaupten, dass angesichts der biblischen Texte, alle Menschen gleich und deswegen auch gleich zu behandeln sind, wäre ziemlich wagemutig. Dennoch liefert beispielsweise die Geschichte über die Erschaffung des Menschen Ansätze, die in diese Richtung weisen: Der Mensch ist als solches ein Geschöpf Gottes. Dies ist er als männlicher und als weiblicher Mensch. Wobei diese zweipolige Geschlechtlichkeit des Menschen nicht unbedingt als Anweisung zu ausnahmslos heterosexuellem Geschlechtsverkehr verstanden werden muss, sondern als Einordnung der menschlichen Gattung in Form von männlich und weiblich, die beide – und nicht nur zusammen und ungeachtet ihrer sexuellen Neigung – voll und ganz Mensch sind vor Gott.
Auch ein Abschnitt im Galaterbrief kann in diese Richtung gedeutet werden: Wenn von der christlichen Gemeinde gefordert wird, dass sie in ihrer Vollendung nicht mehr unterscheidet zwischen Sklaven und Freien oder eben Mann und Frau, sondern alle in Christus als Kinder Gottes betrachtet.
Gerechtigkeit statt Diskriminierung
Jesu Respekt gegenüber gesellschaftlich geächteten, von der gesellschaftlichen Norm und Mehrheit abweichenden Menschen wie dem kleinwüchsigen Zöllner Zachäus, der Ehebrecherin oder denen, die trotz Sabbatgebot nicht ruhen, legt nahe, dass christliche Gerechtigkeit über ein Gesetzesverständnis hinausgeht, das den Menschen zum Zweck des Gesetzes macht: Gebote und Gesetze, letztlich jede gesellschaftliche Norm soll den Menschen dienen und nicht umgekehrt.
Anerkennung und Wertschätzung durch das Recht
Darin ist ein Sachverhalt angesprochen, der in der praktischen Philosophie unter dem Begriff der «Anerkennung», abgehandelt wird: Jeder Mensch ist als Mensch anzuerkennen, frei von jeder Verzwecklichung und Verdinglichung. Gerade Gesetze spielen in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Einerseits definieren sie die gesellschaftlich anerkannte Norm und erziehen so, zu anerkanntem Verhalten – was im Blick auf das Verhältnis von Hetero- und Homosexualität beim Status quo des Schweizerischen Eherechts kritisch zu bewerten ist. Andrerseits schaffen sie soziale Wertschätzung, indem sie Menschen in ihrem Sein und Verhalten bestätigen. Im Blick auf die Ehe für alle entspricht die unbedingte Gleichberechtigung homosexueller Paare, wie sie die gleichnamige Initiative fordert, somit die Anerkennung und Wertschätzung der Homosexualität, die durch Gesetze nicht aberzogen werden muss.
Die Ehe für das Leben
Spätestens hier stellt sich die Frage, inwiefern sich der zivile Ehebegriff vom theologischen unterscheidet. Während die Zivilehe vor allem der rechtlichen und materiellen Sicherheit der Partner dient, versucht die Theologie die Partnerschaft zweier Menschen im Zusammenhang mit der Religion zu erklären und zu deuten. Beides beinhaltet letztlich eine gute Portion Wertvorstellungen über den Sinn und Zweck der Ehe. Die Frage aber lautet, welcher Ehebegriff dient letztlich der Gesellschaft und vor allem den Menschen, hetero- wie homosexuellen gleichermassen, ohne dass sie sich einem bestimmten Ehe-Ideal beugen oder sogar daran verzweifeln müssen. Durch eine dem Menschen zugewandte Haltung müssen sich demnach ziviler und theologischer Ehebegriff gar nicht ausschliessen, sondern beide Begriffe dienen im Idealfall dem guten Leben der Bürger und Bürgerinnen.
Folgt aus Recht die Sakramentalität?
Sobald darüber diskutiert wird, ob die zivile Ehe für homosexuelle Paare geöffnet wird, stellt sich vielen Kirchenmitgliedern die Frage, ob homosexuelle Paare nun auch kirchlich heiraten dürfen, sprich in der katholischen Tradition den kirchlichen Ritus des Ehesakraments feiern dürfen. Obwohl dies eine grundlegend andere Frage ist als die der zivilrechtlichen Ehe für alle, liegen sie nahe beieinander: Denn kann eine Kirche gleichzeitig die zivile Ehe für Homosexuelle befürworten und diesen das Ehesakrament verweigern? Im Prinzip kann eine Religionsgemeinschaft bestimmte Formen des menschlichen Zusammenlebens ablehnen oder von bestimmten religiösen Ritualen ausschliessen und die hängige Initiative will den Religionsgemeinschaften ausdrücklich nicht vorschreiben, wer «vor den Altar treten darf».
Die Haltungen und Lehren der Religionsgemeinschaften prägen aber unter anderem die gesellschaftliche Sicht mit. Sie bestimmen im ganz konkreten Fall mit, ob homosexuelle Menschen, zugespitzt gesagt, verflucht oder gesegnet werden. Insofern hat ein Ehesakrament für alle oder nicht ähnliche Signalwirkung wie oben beschrieben die Gesetze.
Die entscheidende Frage im Blick auf ein Ehesakrament für alle lautet aus Sicht des Verfassers: Was segnet die Kirche im Rahmen ihrer liturgischen Feier namens Ehesakrament? Ist es die idealtypische Erfüllung eines kosmischen Prinzips der Vereinigung von männlich und weiblich? Ist es eine anerkannte Form gelebter Sexualität? Ist es die von zwei Menschen gewollte Beziehung? Ist es die Möglichkeit der Fortpflanzung? Ist es die Liebe zwischen zwei Menschen, die diese möglicherweise als Geschenk Gottes empfinden?
Zum Schluss ein Ja-Wort
Die zivilrechtliche Ehe für alle ist aus Sicht des Verfassers im Blick auf die drei genannten Aspekte von der schöpfungsgemässen Menschlichkeit und ersehnten, allgemeinen Gottes-Kindschaft jedes Menschen, von
Jesuanischer Gerechtigkeit und von
anerkennender statt umerziehender Gesetzgebung auch für Christinnen und Christen sowie Kirchen mindestens vertretbar, wenn nicht sogar wünschenswert.
Die zivilrechtliche Ehe für alle bedingt nicht automatisch ein Ehesakrament für alle. Die Kirchen und auch andere Religionsgemeinschaften sind aber herausgefordert, ihre eigene Ehepraxis zu überdenken. Aus den eben genannten Gründen für eine zivilrechtliche Ehe für alle sowie der Ansicht, dass sowohl die zivilrechtlich als auch die sakramentale Ehe letztlich im Dienst des Menschen stehen müssen, und schliesslich weil eine Religionsgemeinschaft selbst bestimmen kann, wen sie zu ihrem Eheritual zulässt und wen nicht, steht aus Sicht des Verfassers auch einem Ehesakrament für alle nichts im Wege.
Pfarrer Lenz Kirchhofer
Die Christkatholische Kirche und die Homosexualität
Auf der Session in Aarau im Jahr 2006 nahm die Synode der Christkatholischen Kirche der Schweiz einen Kommissionsbericht entgegen, der zwei wichtige Aussagen über Homosexualität enthielt. Zum einen legte er nahe, dass im Grunde nichts dagegen spricht, dass homosexuelle Menschen ein geistliches Amt bekleiden. Zum anderen berichtete er von einem Segnungsritus für gleichgeschlechtliche Paare, der fortan zur Erprobung in der Christkatholischen Kirche zur Verfügung stand.
Im Jahr 2018 erhielt das Thema Homosexualität in der christkatholischen Kirche neue Aufmerksamkeit. Auf der Synodesession in Basel kam es im selben Jahr zu einem Antrag, der von der Synode forderte, Stellung zur im Schweizerischen Parlament hängigen Initiative «Ehe für alle» zu beziehen. Noch im selben Jahr eröffnete die Internationale Altkatholische Bischofskonferenz offiziell einen breit angelegten Prozess, in dem die Frage nach der «Ehe für alle» diskutiert werden soll. Im Hintergrund steht die in Einführung der «Ehe für alle» in verschiedenen europäischen Staaten, zuletzt Deutschland im Jahr 2017, und die daraus entbrannte Diskussion über ein «Ehesakrament für alle».
Im Alt-Katholischen Bistumsverlag ist zum Thema das folgende Buch erschienen: «Mit dem Segen der Kirche. Die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der theologischen Diskussion.»