Gleichnis des Wassers
(für Karin)
Der Geist des Menschen
gleicht dem Wasser.
Er stammt vom Himmel,
steigt hinauf,
flieht wieder nieder,
kehrt endlich heim.
Erd’ und Himmel:
Ziel und Anfang,
Beginn und Ende
seines in Wellen
fliessenden Weges.
Der Geist des Menschen
gleicht dem Wasser.
Strömt aus der Höhe
ungestüm, felsenbrechend.
Fährt nur der Wind
in das wilde Gewässer
zerstäubt er es zart.
Dass nun der Sonne Strahl
bricht sich darin.
Wundersam das Farbspiel
des Regenbogens im weissen Schleier.
Der Geist des Menschen
gleicht dem Wasser.
Im Tal gurgelt der Bach,
rauscht, plätschert und quillt,
tränkt durstige Wurzelgebilde.
Der tiefgründende See hüllt
grimmigen Unmut, ja Schmerz,
in grundloses Schweigen.
Und des Wassers friedliche Haut
spiegelt und hütet des Nachts
der Sterne ziehendes Glänzen.
Geist des Menschen,
wie gleichst du dem Wasser!
Michael Bangert
Text: In Anlehnung an das Gedicht «Gesang der Geister über den Wassern» von Johann Wolfgang von Goethe.