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Im Namen Gottes, des Allmächtigen!

Bundesbrief 1291 Staatsarchiv Schwyz
Der Bundesbrief von 1291

Wenn Menschen wie Du und ich nichts mehr mit dem C des Parteinamens CVP anfangen können, wenn sie das Kreuz auf der Bundeshauskuppel und in der Schweizer Flagge mit einem Fragezeichen versehen, wenn sie statt mit Grüezi – Gott grüsse euch – lieber Hallo rufen, die Fünfliberumschrift DOMINUS PROVIDE-BIT – der Herr wird`s richten – am besten wegfeilen wollen und den Beginn der Bundesverfassung, wie der SP-Nationalrat Fabio Molina, als «hochmütig und anmassend» empfinden und streichen wollen, dann wird es höchste Zeit, sich über Gott und die Welt Gedanken zu machen. Was ist das für ein Gott, auf den sich unsere Väter und Mütter schon in den alten Bundesbriefen von 1291 – IN NOMINE DOMINI AMEN (im Namen Gottes Amen) – und demje-nigen von 1513 – IN GOTTS NAMMEN AMEN – und dann in der Bundesverfassung vom 12. Heumonat 1848 und ihren Revisionen bis heute berufen, wo es heisst: IM NAMEN GOTTES DES ALLMÄCHTIGEN?

Gott aller Mächtigen?

Viel ist seit der Gründung der modernen Schweiz geschehen und andere Staaten haben sich auch Verfassungen mit ähnlichem In-halt gegeben. Im Vergleich mit den Verfassungen der die Schweiz umgebenden Länder zeigt nur das Grundgesetz von Deutschland in seiner Präambel den Bezug zu Gott: «Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.»

Das politische System der Schweiz, wie wir es heute kennen, ist nicht einvernehmlich und friedlich zwischen den Kantonen ausgehandelt worden. Es gab heftigen Streit unter den verschiedenen Gruppierungen, der sich gar zu einem Bürgerkrieg, dem Sonderbundskrieg 1847, hochschaukelte. Die Eidgenossen waren sich so spinnefeind, dass sieben Kantone nicht davor zurückschreckten, die Habsburger anzurufen, ihnen zu helfen, die zum Glück andere Probleme zu bewältigen hatten. Es grenzte an ein Wunder, dass nicht noch mehr Porzellan zerschlagen wurde. Nach verschiedenen Versuchen war 1848 ein Neuanfang möglich geworden, als dessen schriftliches Dokument die Bundesverfassung ge-sehen werden kann. Im damaligen Europa war es lange der einzige föderalistische demokratische Staat in dieser Form. Das Vorwort, die Präambel, der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist bis heute der Schlüssel zu einem visionären Programm. Die Lebenseinstellung der einzelnen misst sich in der solidarischen Haltung zum anderen. Ob es dazu eine Instanz im Hintergrund, Gott den Allmächtigen, braucht? Die Präambel ist so viel wert, wie sie sich auf die Inhalte, die Instanzen und die Vorgänge innerhalb der Verfassung und vor allem der Verfassungspraxis auswirkt. Die Präambel ist in Schutz zu nehmen vor jenen, die nichts, aber auch vor jenen, die alles daraus folgern. Die Christlichkeit oder Religiosität einer Verfassung und der gelebten Verfassungswirklichkeit und –praxis steht und fällt nicht mit einer wie auch immer formulierten religiösen Präambel. Doch woran steht und fällt sie denn sonst?

Gott, der allein Mächtige?

Sieht man auf die alltägliche Politik, auf die Gesetzgebung oder die Justiz, dann hat man nicht selten den Eindruck, beim «Allmächtigen» hätten die Politiker und Bürger zuerst an ihre eigene «Macht» gedacht, einen Gott aller Mächtigen! So sicher steht Gott nicht hinter den Mächtigen in Staat, Verwaltung und Armee. Gott in der Präambel gründet wohl in der Einsicht, dass der Mensch sich nicht als letzte Autorität versteht, doch ist er kein weicher Siegellack für alle möglichen Eigenprägungen!

Gott, der Ermächtigende

Ein Beispiel aus dem Schweizer Jass, unserem Nationalkartenspiel, möge als Hilfs-Metapher dienen: Manchmal können ja die hierarchischen Verhältnisse der Karten «gewendet» werden und man spielt von unten nach oben: «Unde ufe»! Das Jass-Spiel mit «König» und «Ober» gibt dem «Bauern» die «stechendere» Kraft. Die kleinen Karten schlagen die grossen. Eigentlich ein subversives Gegenspiel zu den vielen dubiosen Machtspielen, in denen von oben nach unten – «oben abe» – gespielt wird und die Kleinen keine Chance haben.

Es ist das gleiche Spiel wie im biblischen Magnificat (Lk 1, 46-55), wenn der Vergleich erlaubt ist. Maria wird nicht selten vorschnell vom textlichen Umfeld der Bibel isoliert und als «dienende Magd» dargestellt und missbraucht. Es wird nicht nur vergessen, dass sie eine wichtige Rückfrage stellte – die in einige Fassungen des Magnificat glatt weggestrichen wird – sondern auch, dass sie Gott auf ihrer Seite hat, der die Mächtigen «ent-machtet» und die Ohnmächtigen «er-mächtigt». Maria spricht ihr Ja, nachdem sie hin und her überlegt und zur Botschaft des Engels an sie, dass sie einen Sohn gebären werde, nachgefragt hat und sie geht erst dann weiter ins Bergland zu Elisabeth und sagt ihr:

«Meine Seele preist die Grösse des Herrn, Gott, der Retter, der Mächtige: denn hingesehen hat er auf die Niedrigkeit seiner Magd (…) er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.»

Die «Väter» der Verfassung von 1848 fühlten sich vermutlich sicher und nicht durch einen Gott in Frage gestellt, als sie diese Präambel dem Verfassungswerk voranstellten. Doch täuschten sie sich und müssten «ent–täuscht» werden, denn der «Allmächtige» ist einerseits ein «ent–machtender» Gott, ein Gott andererseits, der die Schwachen und Unterlegenen «er– mächtigt» und sich auf ihre Seite stellt.

Gleich und Gleich gesellt sich gern?

Der christliche Gott gesellt sich gerade nicht nach dem «gleich zu gleich» – sondern höchstens ungleich. Die Nagelprobe in unserem Staat ist dann gegeben, wenn es um das Recht der Recht- und Machtlosen geht.

Gott – ein subversiver Bündnispartner

Mit dem Allmächtigen, der die Unterlegenen «er–mächtigt» und sich auf die Seite der Benachteiligten stellt, hat sich die Schweiz einen politisch «unzuverlässigen» und subversiven Bündnispartner ausgewählt, wie der Fundamentaltheologe und Kapuziner Dietrich Wiederkehr in einer Vorlesung in Luzern einmal sagte. Sind die Schweizerinnen und Schweizer bereit, wenn er das ernste und reale Machtspiel auch von «unten nach oben» spielt und uns so zumutet?

Zur vorher gestellten Frage zur Verfassung: «Woran steht und fällt sie denn?» Nicht mit einem Namen allein, wird man sagen müssen. Es muss kein Streit um den vorangestellten Gottesnamen entfacht werden, zu oft sind im Namen Gottes des Allmächtigen Kriege geführt worden. Wer will, nennt Gott anders oder ersetzt ihn, wie es etwa der Berner Immunologe Beda M. Stadler vorschlug, der Gott in der Verfassung mit «Humanismus» austauschen wollte. Entscheidend ist, woran wir unser Tun oder Nicht-Tun messen und wir wissen, wie leicht es geschieht, dass wir uns selber als letzte Autorität und Schöpfer aller Dinge empfinden. Gott kann ein Signal dafür sein, dass wir nicht die Erst-Ursache und nicht das Mass aller Dinge sind. Entscheidend ist also auch, was danach geschieht und aus welchen Quellen wir unsere Lebenskraft schöpfen, ob wir uns von einer dynamischen Lebenskraft tragen lassen, die Brücken baut und nicht Käfige. Die Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 bringt Grundhaltungen und Spielregeln des Zusammenlebens deutlich zum Ausdruck, so dass sie zum wiederholten Lesen einlädt. Vielleicht lässt sich entdecken, wie dann nach und nach ein Gottesbild entsteht, das dem Gott der Bibel sehr nahe kommt.

Präambel der Bundesverfassung
Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung: …

Niklas Raggenbass