Interreligiöser Dialog: ein christkatholisches Thema?
Erster Interreligiöser Netzwerktag
Am Samstag, 20. März 2021 fand der erste interreligiöse Netzwerktag der Christkatholischen Kirche der Schweiz zum Thema «Interreligiöser Dialog – wie geht das?» statt. Covid-bedingt musste der Anlass online durchgeführt werden und konnte nicht, wie ursprünglich geplant, im Kirchgemeindehaus der Kirchgemeinde Bern stattfinden.
Rat der Religionen
Nach der Begrüssung berichtete Bischof Harald Rein von seiner Tätigkeit als Bischof im Schweizerischen Rat der Religionen – in dem Judentum, Christentum und Islam vertreten sind – und erläuterte dessen Mandat. Der Rat der Religionen verfolgt die folgende Zielsetzung: Beitrag zum Erhalt und zur Förderung des religiösen Friedens in der Schweiz, Verständigung unter den Teilnehmenden über gemeinsame Anliegen, Vertrauensbildung zwischen den Religionsgemeinschaften, Dialog zu aktuellen religionspolitischen Fragestellungen sowie die Ansprechmöglichkeit für Bundesbehörden in diesen Fragen. Bischof Harald Rein ergänzte anschliessend, dass die grösste Herausforderung im Dialog mit säkularen Protagonisten liege, die gegenüber religiösen Themen wenig Verständnis aufbringen. Wegen eines anderen Termins, musste sich Bischof Harald Rein, anders als ursprünglich geplant, nach seinem Beitrag verabschieden.

Im Anschluss hielt Miriam Schneider MA ein Einführungsreferat über die Christkatholische Kirche der Schweiz im interreligiösen Dialog. Darin zeigte sie, in welchen Bereichen sich die christkatholische Kirche und die altkatholische Theologie noch wenig mit interreligiösen Fragestellungen auseinandergesetzt hat und wo sie sich bereits länger engagiert. Ausgangslage des Referates und der Tagung war die These, dass sich viele Menschen in der Kirche interreligiös engagieren, dieses Engagement aber wenig wahrgenommen wird. Ausserdem gibt es im Altkatholizismus bisher noch kaum theologische Grundlagenarbeit zu interreligiösen Themen. Insgesamt entsteht dadurch der Eindruck, interreligiöse Fragestellungen seien kein christkatholisches Thema.
Thema nicht präsent
Diese These wurde bereits in der Austauschrunde bestätigt. Die Teilnehmenden hatten die Gelegenheit, sich in Gruppen, basierend auf den im Vorfeld ausgefüllten Fragebögen, über ihre eigenen Erfahrungen im interreligiösen Dialog auszutauschen. Dabei wurde mehrfach der Unterschied zwischen Stadt und Land erwähnt, wobei in Städten der interreligiöse Dialog ein viel präsenteres Thema ist als auf dem Land. Ebenfalls mehrfach genannt wurde der Zusammenhang zwischen Religion und Kultur: Da nicht-christliche Religionen in der Regel durch Migration aus anderen Kulturkreisen in die Schweiz gekommen sind, ist ein interreligiöser Dialog meist auch ein interkultureller Dialog. Schliesslich wurde das Thema Gebet mit Angehörigen anderer Religionen mehrfach erwähnt.
Rolle der Medien

Dr. theol. Dr. h.c. Doris Strahm sprach in ihrem Referat mit dem Titel «Interreligiöser Dialog: Wie geht das?» zuerst über die Mitverantwortung der Medien bei der Konstruktion des Feindbildes «Islam» und das religiöse Unwissen in der Gesellschaft. «Dialog» beschrieb sie als ein Beziehungsgeschehen aber auch als Haltung. Danach stellte sie den «Leitfaden für den interreligiösen Dialog» vor, den sie als Mitglied des interreligiösen Think-Tanks mitverfasst hatte. Darin sind zuerst grundlegende Gedanken zum interreligiösen Dialog beschrieben; im zweiten Teil bietet er Leitlinien für das Gelingen eines interreligiösen Dialogs. Nach der Gruppenarbeit, die der Diskussion des gehörten Referates diente, wurde – zurück im Plenum – angeregt weiterdiskutiert.

Pfr. Dr. theol. Adrian Suter führte in seinem Referat «Inter- / Multireligiöses Feiern: Überlegungen und Erfahrungen» in die spirituelle Dimension des interreligiösen Dialogs ein. Seine Umfrage, die er während des Referats machte, ergab, dass die meisten Teilnehmenden bereits an inter- oder multireligiösen Feiern teilgenommen hatten. Die Unterscheidung in interreligiöse Feiern, bei denen bspw. Gebete gemeinsam formuliert werden, und multireligiöse Feiern, bei denen auf die Gebete der anderen Religionen gehört wird, betrachtete der Referent als idealtypisch und wies darauf hin, dass es auch Mischformen gibt. Schliesslich machte er auf die Gefahr der Vereinnahmung, die unterschiedlich wahrgenommen wird, und auf andere mögliche Stolpersteine aufmerksam. Auch dieses Referat gab nach der Gruppendiskussion grossen Gesprächsbedarf.
In einer weiteren Diskussionsrunde wurden Wünsche und Anregungen zum interreligiösen Dialog in unserer Kirche zusammengetragen. Diese Rückmeldungen bieten eine gute Grundlage für weiterführende Projekte und machen Bedürfnisse deutlich sichtbar.
Nach einer kurzen Stellungnahme der Synodalratspräsidentin Manuela Petraglio gab Doris Strahm einen zusammenfassenden Tagungsrückblick, in dem sie die Themen, die diskutiert wurden zusammentrug: Dialog als Beziehungsgeschehen; der Kontext in dem der Dialog geschieht; «Ich höre Dein Gebet»; die Gefahr der Vereinnahmung; notwendiges Fingerspitzengefühl; gemeinsame Ziele im interreligiösen Dialog und interreligiöser Dialog als gesellschaftliches Projekt. Sie machte aber auch auf einen Aspekt aufmerksam, der bis dahin kaum zu Sprache gekommen war: der interreligiöse Dialog als Horizonterweiterung und Geschenk. Miriam Schneider beendete die Veranstaltung mit einer Danksagung an alle Beteiligten und verschickte als Take-Home Message eine Liste mit Lesetipps.
Standortbestimmung
Der interreligiöse Netzwerktag diente als Standortbestimmung und Auftaktveranstaltung für mögliche weitere Anschlussprojekte. Die Teilnehmenden haben mehrfach den Wunsch geäussert, grundsätzlich häufiger und besser über interreligiösen Themen informiert zu werden. Konkret wurden die Zeitschrift «Christkatholisch» und die Bistums-Homepage als Medium erwähnt. Eine Vortragsreihe solle erarbeitet werden, die per Zoom oder als Präsenzveranstaltung in den Gemeinden durchgeführt werden könne.
Der Vortrag von Doris Strahm stiess auf sehr grosses Interesse, daher wurde angeregt, den Leitfaden zum interreligiösen Dialog in unserer Kirche bekannter zu machen und Doris Strahm wieder einmal für ein Referat einzuladen.
Miriam Schneider
Statement einer Teilnehmerin
Die wichtigste Erkenntnis des Tages für mich: In der Christkatholischen Kirche gibt es viele Menschen mit interreligiösen Erfahrungen und Kompetenzen. Sei dies aus Gottesdiensten, Dialogveranstaltungen, interreligiös getragenen Sozialprojekten, wissenschaftlicher Tätigkeit oder persönlichen Freundschaften. Diese Akteurinnen waren aber bisher noch zu wenig vernetzt. Die Netzwerktagung war ein gelungener Anlass, Erfahrungen auszutauschen und mit Hilfe kompetenter Referate zu reflektieren.
Stefanie Arnold,
Vikarin
Statement eines Teilnehmers
Als Intendant des ökumenischen Vereins «Wirkraumkirche St.Gallen» habe ich beruflich zahlreiche Berührungspunkte zu interreligiösen bzw. interkulturellen Themen, zum Beispiel als Mitglied der Steuerungsgruppe «Interreligiöser Bettag», als Mitglied im OK «Fest der Kulturen – Interkultureller Begegnungstag» oder als Projektleiter des «Café International» in der Offenen Kirche. Auch im «ökumenischen Stattkloster St. Gallen» haben wir aufgrund der interkulturellen Vielfalt der Hausbewohnerinnen interreligiös sensibel zu wirken. Der Erfahrungsaustausch beim Netzwerktag hat mich in vielem bestätigt, mein Wissen bereichert und gleichzeitig meine Sensibilität für interreligiöse Fragen gestärkt. Ich denke da vor allem an das Referat von Doris Strahm und die praxisbezogenen Materialien bezüglich des interreligiösen Dialogs.
Aber auch das Referat von Adrian Suter fand ich spannend und für die Praxis sehr hilfreich. Da ich noch relativ frisch in der christkatholischen Kirche bin, hat mich die Situationsanalyse von Miriam Schneider sehr interessiert, und das Eingangsstatement von Bischof Harald gab mir einen hilfreichen Einblick in die Tätigkeit des Rats der Religionen in der Schweiz. Insgesamt habe ich viel mitnehmen können, Danke vielmal an alle! Natürlich stellt sich in unserer effizienzgetriebenen Zeit immer schnell die Frage, was man davon umsetzen kann. Für mich ist das nicht die erste Frage, was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich Philosoph bin. Wichtig scheint mir die beständige Arbeit an einer persönlichen Haltung, einem Umdenken (Metanoia!); und dies ist nicht immer automatisch mit einer sichtbaren Aktivität verbunden, wenn sie gleichwohl nicht ausgeschlossen ist und ein Umdenken mit Sicherheit auch Wirkungen zeigt.
Und damit bin ich auch schon bei den Fragen, die geblieben sind (und die vielleicht bei einem anderen Netzwerktag diskutiert werden können). Meine Frage ist, ob der Begriff «interreligiös» inzwischen nicht etwas eingrenzend wirkt, da er sich ja ausschliesslich an Religiöse bzw. an die Religionen wendet, aber nicht an Suchende, die sich nicht explizit als «Religiöse» begreifen. Wenn man davon ausgeht, dass die Welt der Suchenden sich immer mehr vergrössert, müssen wir in Zukunft wohl stärker bedenken, wie wir den in den Grenzen der Religionen befangenen Dialog durch einen offenen Dialog mit den Suchenden in einer zunehmend agnostischen Gesellschaft erweitern können. Für mich ist genau das der Punkt, an dem die christkatholische Kirche einen besonderen Beitrag im Konzert der ökumenischen Bewegung leisten kann: Neuland betreten durch Forschung, Bildung und Dialog mit einer entkirchlichten, aber deswegen keineswegs atheistischen Gesellschaft.
Theodor Pindl,
Kirchgemeinderat St. Gallen