Kindliche Kunst, der Welt zu begegnen
Voll Staunen
und mit geweiteten Augen
tritt das Kind in den grossen,
den unbekannten Garten auf dem Land.
Ein strahlender Junitag.
An der Hand der Mutter
sieht der Bub die gewaltigen Rosensträucher,
mit ihren rot-rosa-weissen Kaskaden von Blüten
und ihren drohenden Dornen.
Zwei Jahre ist er alt, das Stadtkind.
Saugt alles auf an Farben und Licht,
an Neuem und Schönem.
Da steht er vor den Pfingstrosen.
Diese Blütenkugeln,
mit ungezählten, zarten Lidern
kennt er noch nicht.
Ohne Dorn neigen sich ihm
verletzlich die Blüten entgegen.
Tastend streckt er die Hand.
Streichelt die Blume sanft.
Küsst sie.
Sagt ihr: «Ich hab’ Dich lieb.»
Das Kind liebt die Blume,
weil sie schön ist und zart
und geheimnisvoll.
Das ist des Lebens reinste Form:
Staunen und Zartheit,
Liebe und Kuss.
Darum steht den Kindern, wie Christus spricht,
nur den Kindern, das Tor zum göttlichen Raum
himmelweit offen.
Lernen am Kinde:
Staunen und Zartheit,
Liebe und Kuss.
Michael Bangert