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Kirchliche Gemeinschaft über die Kontinente hinweg

Mar Thoma 01

Ein theologischer Dialog, der Früchte trägt

10. Februar 2024, Thiruvalla, Indien: Metropolit Theodosius Mar Thoma und Erzbischof Bernd Wallet unterzeichnen die Vereinbarung der kirchlichen Gemeinschaft zwischen der Mar-Thoma-Kirche und den altkatholischen Kirchen. Dies ist das vierte Kirchengemeinschafts-Abkommen, dass die altkatholischen Kirchen schliessen, nach den Abkommen mit der Anglikanischen Kirchengemeinschaft (1931), der Philippinischen Unabhängigen Kirche (1965) und der Kirche von Schweden (2016).

In der «Thiruvalla-Vereinbarung» anerkennen die Mar-Thoma-Kirche und die altkatholische Kirche gemeinsam, «dass unsere beiden Kirchen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Jesu Christi verwirklichen». Sie verpflichten sich selbst, «die Mitglieder der jeweils anderen Kirche zum Empfang der sakramentalen und anderen pastoralen Dienste einzuladen, wie wenn sie Mitglieder unserer eigenen Kirche wären». Es ist eine umfassende Gemeinschaft, die alle Bereiche des kirchlichen Lebens umfasst.

Ein Besuch in Indien

Die altkatholischen Kirchen reisten mit einer Fünferdelegation nach Indien: Erzbischof Bernd Wallet; die drei altkatholischen Mitglieder der Dialogkommission, nämlich Bischof em. Dr. John Okoro, Prof. Dr. Peter-Ben Smit und Pfr. Dr. Adrian Suter; sowie Michael van den Bergh MA, Assistent des Erzbischofs. Sie wurden von Pfr. Sam T. Koshy betreut, der für die Mar-Thoma-Kirche Mitglied der Dialogkommission und vor fünf Jahren Gaststudent am Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern war.

Die Unterzeichnung der Vereinbarung war nur ein Aspekt der Reise: Die Delegation besuchte soziale Institutionen der Mar-Thoma-Kirche. Besonders beeindruckend waren zwei Kinderheime: Im einen leben Kinder und Jugendliche mit körperlicher Behinderung, werden betreut und gefördert und erhalten eine Schulbildung; im anderen werden Kinder und Jugendliche mit geistiger Beeinträchtigung, psychischen Problemen oder Lernschwierigkeiten betreut (siehe dazu den Beitrag von Bischof em. John Okoro auf Seite 25). Weiter führte die Delegation Gespräche mit Bischöfen der Mar-Thoma-Kirche: Mit dem Metropoliten Theodosius Mar Thoma, mit Bischof Isaac Mar Philoxenos, der für ökumenische Beziehungen zuständig ist, und mit dem im vergangenen Dezember neu geweihten Bischof Joseph Mar Ivanios, den einige Schweizer Christkatholikinnen und Christkatholiken unter seinem bürgerlichen Namen Joseph Daniel kennen: Er war in den Zehnerjahren Doktorand am Institut für Christkatholische Theologie. Ein Besuch der Maramon-Convention, eines grossen Missionsanlasses der Mar-Thoma-Kirche, eine Begegnung mit Studenten und Dozenten am theologischen Seminar in Kottayam und Besuche lokaler Kirchgemeinden rundeten die Reise ab.

Rückblick auf den Dialog

Bevor die kirchliche Gemeinschaft möglich wurde, war Arbeit zu leisten: Die Dialogkommission hat sich 2011 bis 2018 viermal getroffen. Ich erinnere mich noch gut: Beim ersten Treffen im Santhigiri Ashram (Indien) herrschte noch eine gewisse Unsicherheit. Wir wussten nicht so recht, was uns erwartet: Wer sind die Delegierten der anderen Kirche? Was werden die Hauptthemen des Dialogs sein? Welches Ziel streben wir an und wie sollen wir vorgehen? Das Hauptaugenmerk lag also auf dem gegenseitigen Kennenlernen und der Festlegung einer Traktandenliste für die kommenden Treffen.

Das zweite Treffen in St. Pölten (Österreich) war ernsthafte theologische Arbeit. Wir begaben uns auf einen gemeinsamen theologischen Weg, auf dem wir einige der grundlegendsten Fragen des christlichen Glaubens diskutierten: Die Heilige Schrift, die Tradition, die Christologie, das Verständnis der Ökumenischen Konzilien. Nun kannten wir uns, wir hatten bei unserem ersten Treffen die Weichen gestellt, aber die Knochenarbeit war noch zu leisten. Wir waren sehr zufrieden, als wir am Ende zu einer gemeinsamen Erklärung kamen, die den Standpunkt der Mar-Thoma-Kirche, den Standpunkt der altkatholischen Kirchen und unseren Konsens zu den Themen, die wir diskutiert hatten, enthielt.

Jedes Jahr nehmen mehrere tausend Besucherinnen und Besucher an der Maramon-­Convention teil.

Unser drittes Treffen in Munnar (Indien) war die reine Freude. Dankbar durften wir die Erfahrung machen: Eine Reihe von Fragen, von denen wir befürchtet hatten, dass sie schwierig sein würden, erwiesen sich als völlig unproblematisch. Nicht selten hörte ein Delegierter dem Sprecher der anderen Kirche zu und begann seine Antwort mit den Worten: «Ich könnte einfach wiederholen, was mein Vorredner gesagt hat, denn unsere Tradition sagt das Gleiche.» So hatten wir in der «Erklärung von Munnar» ein Luxusproblem: Wir mussten zu einem Thema den Standpunkt der Mar-Thoma-Kirche darlegen, dann mit anderen Worten den altkatholischen Standpunkt, der im Grunde derselbe war; und dann mussten wir dasselbe ein drittes Mal sagen, wiederum mit anderen Worten, als unsere gemeinsame Erklärung. Unser Hauptproblem war, dass uns nicht die Worte ausgehen, wenn wir dreimal das Gleiche sagen.

Unser viertes Treffen in Bern schliesslich sollte alles abschliessen. Die Erklärungen der ersten drei Treffen waren in Anbetracht der unterschiedlichen Umstände dieser Treffen etwas ungleichmässig bearbeitet worden. Wir wollten keine vierte Erklärung mit zusätzlichen Themen hinzufügen, sondern die ersten drei Erklärungen sowie unsere neuen Diskussionen in eine abschliessende gemeinsame Erklärung integrieren. Wir haben auch die Vereinbarung zwischen unseren Kirchen entworfen, die jetzt in Thiruvalla unterzeichnet wurde.

Gemeinsamkeiten: Glaube und Kirchenverfassung

Im ökumenischen Dialog geht es darum, Gemeinsamkeiten zwischen Kirchen zu entdecken und zugleich Unterschiede nicht unter den Tisch zu wischen: Teilen zwei Kirchen miteinander das, was sie im christlichen Glauben als zentral und wesentlich betrachten? Dann sollen sie kirchliche Gemeinschaft anstreben. Wenn sie Differenzen entdecken, welchen Stellenwert geben sie diesen Unterschieden? Wenn sie gemeinsam feststellen, dass die Unterschiede nicht das Wesentliche des Glaubens betreffen, sondern einfach verschiedene Arten sind, den gleichen Glauben in der Praxis zu leben, dann sollen sie kirchliche Gemeinschaft vereinbaren und in Zukunft immer mehr gemeinsame Wege gehen.

Für die altkatholischen Kirchen ist es im ökumenischen Dialog wesentlich, ob die beiden Dialogpartner den Glauben der Alten Kirche teilen: Darum die erwähnten Diskussionen zu Schrift und Tradition, Christologie und Ökumenische Konzilien. Weiter ist wichtig, ob die andere Kirche ebenfalls auf die Weise funktioniert, die wir «bischöflich-synodal» nennen. Bei der Mar-Thoma-Kirche ist das der Fall: Zwar ist bei ihnen der Begriff «Synode» für die Bischofskonferenz reserviert, doch ihr «Prathinidhi Mandalam», ihre Generalversammlung aus Laien und Geistlichen, wobei die Laien in der Mehrheit sind, entspricht weitgehend dem, was wir «Nationalsynode» nennen.

Dass es bei zwei Kirchen, die in so unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten leben – Westeuropa und Indien – auch Unterschiede gibt, wird niemanden ernsthaft verwundern. Anders als die meisten altkatholischen Kirchen weiht die Mar-Thoma-Kirche keine Frauen ins apostolische Amt. Dies habe allerdings kulturelle Gründe, wie die Mar-Thoma-Delegierten in der Dialogkommission betonten, keine Glaubensgründe. An der vierten Kommissionssitzung 2018 war sogar eine kleine Textänderung in der Abschliessenden Gemeinsamen Erklärung beschlossen worden: Statt der kategorischen Aussage, die Mar-Thoma Kirche weihe keine Frauen, steht jetzt neu, die Mar-Thoma-Kirche habe keine Frauen geweiht, was die Möglichkeit offenlässt, dass sich dies eines Tages ändert.

Sam Koshy, Michael van den Bergh und Peter-Ben Smit im Gespräch mit einer Gruppe ­Frauen der Mar-Thoma-Kirche.

Für ein umfassendes Bild der Stellung der Frauen in der Mar-Thoma-Kirche ist es wichtig zu sehen, dass es im «Prathinidhi Mandalam» für die Laiendelegierten eine Frauenquote gibt, dass es auch im «Sabah Council» (entspricht unserem Synodalrat) einige Frauen hat, und dass die Frauenorganisation eine wichtige Rolle im Leben der Kirche spielt. In den sozialen Institutionen, die für die Mar-Thoma-Kirche so wichtig sind, übernehmen oft Frauen Führungsaufgaben. Uns ist auch aufgefallen, mit wie viel Respekt und Dankbarkeit die Theologen der Mar-Thoma-Kirche von Prof. Angela Berlis, der Direktorin des Instituts für Christkatholische Theologie, sprechen, die im akademischen Austausch zwischen den Lehranstalten eine wichtige Rolle gespielt hat. Angesichts des Umstandes, dass unsere altkatholische Delegation rein männlich war, verbietet es sich ohnehin, dass wir aufs hohe Ross steigen.

Auch die neueren Entwicklungen zur Anerkennung gleichgeschlechtlich liebender Menschen, die in den westlich europäischen altkatholischen Kirchen so wichtig sind, finden im indischen Kontext der Mar-Thoma-Kirche keinen Widerhall. Allerdings spielt die Transcommunity in Indien eine wichtige Rolle, und die Mar-Thoma-Kirche fördert deren Anerkennung in der Gesellschaft und in der eigenen Kirche.

Aus diesen Beispielen ist ersichtlich: Die beiden Kirchen bewegen sich in unterschiedlichen Kulturen und gehen ihren je eigenen Weg, innerhalb ihrer Kultur die Frohe Botschaft glaubwürdig zu verkündigen. Die Unterschiede, so die Überzeugung der Dialogkommission und der beiden Kirchenleitungen, betreffen nicht das Wesentliche des Glaubens, sondern sind den unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen in Indien und Westeuropa sowie dem je verschiedenen Weg der beiden Kirchen durch die Geschichte geschuldet.

Die Bedeutung der kirchlichen Gemeinschaft

Warum ist kirchliche Gemeinschaft zwischen einer westeuropäischen und einer indischen Kirche relevant, wo es doch alles andere als einfach sein wird, sie im Alltag zu leben? Gerade für uns als christkatholische Kirche, die sich auf ihr Leben in der Schweiz konzentriert, ist es wichtig, sich in Gemeinschaft der weltweiten Christenheit zu verstehen. Eine kirchliche Gemeinschaft, die kulturelle Grenzen überschreitet und Kontinente verbindet, ist gerade in der heutigen globalisierten Welt bedeutsam. Wir setzen damit ein Zeichen, dass der echte katholische Glaube sich nicht abkapselt und mit seinem eigenen Kirchesein begnügt, sondern sich mit anderen verbindet, in denen er die eigenen Glaubensüberzeugungen wiedererkennt.

Adrian Suter


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Beitragsbild: Erzbischof Bernd Wallet und Metropolit Theodosius Mar Thoma tauschen die unterzeichnete Vereinbarung aus. Daneben Bischof Isaac Mar Philoxenos, der Mitglied der Dialogkommission war. Fotos: zVg