Kommission für Glaube und Verfassung des Weltkirchenrats
Welchen Weg nun zu sichtbarer Einheit?
Die altkatholischen Kirchen der Utrechter Union engagieren sich seit über 100 Jahren für die Anliegen der Bewegung für Glaube und Verfassung, die seit 1948 im Weltkirchenrat beheimatet ist. Inhalte und Arbeitsweise haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert, das Ziel ist gleich geblieben: die Einheit der Kirche. Im Jahr 2025 findet eine Weltkonferenz in Ägypten statt.
Entstehung und Verbindung zum altkatholischen ökumenischen Anliegen
Die moderne Ökumenische Bewegung im 20. Jahrhundert bestand ursprünglich aus drei Strängen, die 1948 im damals gegründeten Ökumenischen Rat der Kirchen zusammenfanden: die internationale Missionsbewegung, die Bewegung für Praktisches Christentum und die Bewegung für Glaube und Verfassung (Faith and Order).
Im Sommer 1910 fand in Edinburgh die erste Weltmissionskonferenz statt. Dort stand die gemeinsame christliche Mission im Mittelpunkt, jedoch nicht strittige theologische Fragen. Charles Brent, Bischof der Episkopalkirche und damals als Missionsbischof in den Philippinen tätig, war ebenfalls dort. Wenige Monate später stellte er bei der Generalversammlung der Episkopalkirche in den USA den Antrag, kontroverse Fragen der Glaubenslehre und der strukturellen Verfasstheit von Kirchen (wie etwa durch das Amt) im gegenseitigen Gespräch zu klären. Der rührige Sekretär dieser Bewegung zu «Glaube und Verfassung» wurde Robert Hallowell Gardiner, seine Postadresse in «Garden City» (Long Island) wurde zur weltweit bekannten Anlaufstelle.
Die Initiative fand Unterstützung bei anderen anglikanischen Kirchen, aber auch in der protestantischen, orthodoxen und altkatholischen Welt. Bischof Eduard Herzog und Pfarrer Adolf Küry (Basel), Letzterer damals Schriftleiter der «Internationalen Kirchlichen Zeitschrift» (IKZ), erkannten in der aufkommenden Bewegung Faith and Order das genuin altkatholische ökumenische Anliegen wieder und unterstützten sie tatkräftig. Es war sogar für 1915 bereits ein Internationaler Altkatholikenkongress in Bern geplant, der diese Thematik aufgreifen sollte – doch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde der Plan zunichte gemacht. Als internationale, in der neutralen Schweiz herausgegebene Zeitschrift spielte die IKZ in den Folgejahren aber (gemeinsam mit der durch den evangelischen Ökumeniker Friedrich Siegmund-Schultze herausgegebenen Zeitschrift «Die Eiche») eine massgebliche Rolle bei der Vernetzung dieser Bewegung in Europa während der Kriegszeit und über sie hinaus.
Altkatholische Theologen bei Faith and Order
So war es nicht erstaunlich, dass bei der Vorbereitungskonferenz in Genf im August 1920 Bischof Eduard Herzog gebeten wurde, das Gebet zur Eröffnung zu sprechen. Brent wurde zum Vorsitzenden, Gardiner zum Sekretär eines Ausschusses zur Vorbereitung der Weltkonferenz gewählt.
In Herzogs Person verbanden sich die ökumenischen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts mit der modernen Ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts. Bei allen folgenden Weltkonferenzen waren altkatholische Vertreter anwesend: 1927 in Lausanne Bischof Adolf Küry und Prof. Ernst Gaugler (beide Bern), 1937 in Edinburgh die Bischöfe Erwin Kreuzer (Bonn), Adolf Küry und Andreas Rinkel (Utrecht). Bereits 1938 war in Utrecht die Gründung eines Ökumenischen Weltkirchenrats anvisiert worden, was allerdings erst 1948 geschehen konnte. Seitdem verfolgt die Kommission für Glaube und Verfassung (Faith and Order) die Ziele der ursprünglichen Bewegung weiter.
2014 wurde die bisherige Ständige Kommission mit 50 und die Plenarkommission mit 120 Mitgliedern auf eine einzige Kommission mit etwas über 50 Mitglieder reduziert. Die Altkatholischen Kirchen der Utrechter Union waren zwar durchgehend in der Kommission vertreten (auf Adolf Küry folgten Urs Küry, Kurt Stalder, Martien Parmentier und seit 2008 Angela Berlis). Dass sie jedoch auch in der verkleinerten neuen Kommission vertreten sind, ist sicher auch dem Engagement von Erzbischof em. Dr. Joris Vercammen im Zentralausschuss des Weltkirchenrats zu verdanken – die Vertretung einer kleinen kirchlichen Tradition ist jedenfalls nicht selbstverständlich, weist aber auf das Ansehen der altkatholischen Stimme.
Die weit reichende Arbeit von Faith and Order
Haben Sie sich schon mal gefragt, woher das liturgische Material für die Gebetswoche für die Einheit kommt? Diese Gebetswoche, die heute in der nördlichen Hemisphäre zwischen dem 18. und dem 25. Januar und in der südlichen Hemisphäre zwischen Auffahrt und Pfingsten begangen wird, wird von Faith and Order in Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche erarbeitet.
Die dritte Weltkonferenz von 1952 stellte das sogenannte «Lund-Prinzip» auf: Kirchen sollen sich verpflichten, überall dort zusammenzuarbeiten, wo nicht Unterschiede sie dazu zwingen, getrennt zu handeln.
Ein Meilenstein war der Konvergenztext über «Taufe, Eucharistie und Amt», der 1982 in Lima (Peru) verabschiedet wurde. Altkatholischerseits wurde der «Lima-Bericht» seinerzeit sehr begrüsst; denn wir können darin viel von dem wiederfinden, was wir glauben. Da die Kommission für Glaube und Verfassung – anders als der Weltkirchenrat als Ganzer – auch römisch-katholische Mitglieder kennt, wird erreichte theologische Übereinstimmung auch in der römisch-katholischen Kirche rezipier
Zu einer gemeinsamen Vision der Kirche
Im Jahr 2013 erschien mit dem Dokument «Die Kirche: Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision» ein weiterer Konvergenztext, d. h. ein Text der Übereinstimmung. Es lag nahe, dass sich die 2014 neu berufene Kommission mit diesem wichtigen Text auseinandersetzen würde. Zwischen 2015 und 2023 arbeitete Faith and Order in drei Studiengruppen an drei bzw. vier grossen Themenfeldern:
- Die erste Studiengruppe nahm sich das gemeinsame Engagement von Kirchen für Gerechtigkeit und Frieden vor. Dazu zählt auch das Streben nach ökologischer Gerechtigkeit sowie Frieden in vielreligiösen Ländern und Situationen.
Diese Gruppe beschäftigte sich ab etwa 2018 mit der Frage, in welcher Weise die 1700. Wiederkehr des Ersten Ökumenischen Konzils von Nizäa (325) feierlich durch alle Kirchen gemeinsam begangen werden könne. Das Konzil von Nizäa war das erste seiner Art; dort wurde das Nizänische Glaubensbekenntnis formuliert, das die Grundlage des heute in jeder christkatholischen Eucharistiefeier gebeteten Glaubensbekenntnisses bildet. - Die zweite Studiengruppe (sie wurde vier Jahre lang von mir gemeinsam mit dem orthodoxen Theologen Pr. Jack Khalil aus Balamand/Libanon geleitet) teilte sich in zwei Untergruppen auf: die Arbeitsgruppe «Ekklesiologie» wertete alle Reaktionen der Mitgliedskirchen und weiterer Institutionen auf das genannte Dokument «Die Kirche» aus und fragte u. a., wo bereits bestehende Übereinstimmung zwischen Kirchen zu gemeinsamem Handeln und Zeugnis führen könne. Die Reaktion der Altkatholischen Kirchen der Utrechter Union, die 2014 bei einer Sitzung in Utrecht mit Vertretern der philippinischen Unabhängigen Kirche und der Mar-Thoma-Kirche formuliert worden war, war übrigens die erste Reaktion, die in Genf eintraf.
Die Untergruppe «Neue religiöse Bewegungen» suchte das Gespräch mit Kirchen und religiösen Gruppen aus dem globalen Süden; die meisten gehören nicht dem Weltkirchenrat an und sind oft nicht darauf eingestellt, auf ökumenische Texte offiziell zu reagieren. - Die dritte Studiengruppe befasste sich mit moralisch-ethischer Urteilsbildung. Denn die Erfahrung lehrt: Ethische Fragen haben sichtbare Auswirkungen auf zwischenkirchliche Beziehungen. Wie verändern Kirchen ihre Einstellung, wie dies historisch etwa in der Frage der Sklaverei sichtbar wird, die einst praktisch unumstritten war und heute undenkbar ist? Die Gruppe fragte nach Auslösern für veränderte Haltungen in ethischen Fragen, aber auch nach den Massstäben, Methoden und Quellen, die für Kirchen ausschlaggebend in ihrer Entscheidungsfindung sind.
Sechste Weltkonferenz für Glaube und Verfassung in Nizäa
Das Jahr 2025 markiert das 1700. Jubiläum des ersten Ökumenischen Konzils, des Konzils von Nizäa im Jahr 325, einem Schlüsselmoment in der Geschichte des christlichen Glaubens und für die heutige ökumenische Reise.
Anlässlich des Jubiläums plant der Ökumenische Rat der Kirchen ein Jahr voller Aktivitäten mit Mitgliedskirchen, weiteren Kirchen, christlichen Weltgemeinschaften, nationalen und regionalen Organisationen sowie theologischen und ökumenischen Institutionen.
https://www.oikoumene.org/events/nicaea-2025#sixth-world-conference-on-faith-and-order
Die Konferenz findet vom 24. bis zum 28. Oktober 2025 im St. Bishoy-Kloster im Wadi El Natrun in der Nähe von Alexandria, Ägypten, statt und steht unter dem Thema «Where now for visible unity?».
Auf dem Weg zur 6. Weltkonferenz von Faith and Order in Ägypten
Die Kommission für Glaube und Verfassung traf sich zwischen 2015 und 2019 alle zwei Jahre zu einem Plenartreffen (in Rumänien, Südafrika und China); dazwischen trafen sich die einzelnen Studiengruppen separat.
Ende 2023 traf sich die Kommission unter neuem Mandat online. Vom 2. bis zum 7. Februar 2024 fand erstmals seit 2019 wieder ein Plenartreffen statt, diesmal in Tondano, Nordsulawesi (Indonesien). Der neuen Kommission gehören mehr Mitglieder als bisher aus nichteuropäischen Ländern an. Es wurden drei Studiengruppen gebildet: Die erste wird zu einem von der Taufe geprägten Verständnis von Kirchesein arbeiten («baptismale Ekklesiologie»), die zweite Gruppe beschäftigt sich mit christlicher Anthropologie und ethischer Urteilsbildung; die dritte Gruppe widmet sich «Frieden in und für die Welt».
Eine zwischenzeitlich gebildete Arbeitsgruppe «Nizäa 2025» setzt die Arbeit aus der vorangegangenen Mandatsperiode fort: Inzwischen steht fest, dass der 1700. Jahrestag des Ersten Ökumenischen Konzils von Nizäa (325) den Anlass bietet, 30 Jahre nach der letzten Weltkonferenz von Faith and Order erneut ein derartiges Grossereignis zu veranstalten. Der koptische Papst und Patriarch Tawadros II. hat die Weltkonferenz nach Ägypten eingeladen, die sich das Thema gegeben hat: «Welchen Weg nun zu sichtbarer Einheit?» Denn die Frage nach der sichtbaren Einheit stellt sich heute nicht nur für den kirchlichen Raum, sondern immer mehr auch im Hinblick auf gemeinsames Handeln in den drängenden Fragen unserer Zeit: Es geht um nichts weniger als um die Einheit der Menschheit und der gesamten Schöpfung. Die für Oktober 2025 geplante 6. Weltkonferenz wird sich diesen Fragen mit den Unterthemen «Glaube – Mission/Zeugnis – Einheit» annähern. Sie findet in der Nähe von Alexandria statt, an der Wiege des christlichen Mönchtums, wo einst die Wüstenväter und Wüstenmütter zur spirituellen Erneuerung der Kirche beitrugen.
Angela Berlis
Beitragsbild
Die Mitglieder der Kommission für Glaube und Verfassung kamen vom 2. bis zum 7. Februar 2024 in Tondano (Indonesien) zusammen; auf dem Foto sind sie gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertreter der indonesischen gastgebenden Kirche zu sehen. Moderatorin der Kommission ist seit 2023 die in Oslo lehrende evangelische Diakoniewissenschaftlerin Prof. Stephanie Dietrich (11. v.l.)), Direktor der Kommission seitens des Weltkirchenrats ist seit 2022 der serbisch-orthodoxe Theologe Dr. Andrej Jeftić (5. v.l.). Foto: zVg