Mistelgeschmützel
«Grüsst einander mit dem Kuss der Liebe!»
1 Petr 5,14
Meine Mutter hängt jedes Jahr gemäss amerikanischem Weihnachtsbrauch einen Mistelzweig über ihre Wohnungstüre. Uns Kindern erklärte sie damals mit Schalk in den Augen den romantischen Brauch. Fortan wartete ich jeweils gespannt, wer da nach dem Klingeln die Treppe hinaufsteigen würde. Je nachdem verschwand ich dann schnell im Kinderzimmer oder verschmützelte mit Hingabe die Person, welche die Wendeltreppe emporgestiegen kam.
Schmützeln unter Misteln ist dieses Jahr kritisch. Die verordnete Distanz verbietet eigentlich jede Nähe. Also überhaupt gar kein Schmützeln. – Bei gewissen Leuten ist das kein Problem, bei anderen aber eigentlich doch sehr schade. – Also: Maske auf. Das mutet komisch an und ist vielleicht doch nicht 100%-ig sicher. – Oder doch einfach ohne Maske, ganz kurz und schnell, mit angehaltenem Atem, aber doch richtig, auch Fremde. Ob die das mögen? – Oder egal, ob mit oder ohne, aber nur, wenn ein negativer Coronatest vorliegt, oder vielleicht besser zwei, oder drei Tests, die nicht älter sind als die letzte Begegnung mit einem Menschen?
Werte Leserinnen, werte Leser, Ihr alle wisst, wie vertrackt es zur Zeit ist. Und wie so oft liegt die Lösung auch beim Mistelgeschmützel ausserhalb des – bedauernswerterweise schon gewohnten – Rahmens. Und wie so oft ist die Lösung auch bereits altbewährt. Es geht so: Bleibt auf Distanz, küsst Eure Handfläche, dreht diese nach oben, richtet die Finger auf zu schmützelnde Person aus, pustet oder haucht mit Kussmund über die so ausgestreckte Handfläche (nur bitte ja nicht zu fest!!!), dazu lächeln sowie augenfunkeln und Blickkontakt halten, und fertig ist die Kusshand. Bei Bedarf gegebenenfalls auch mit beiden Händen mehrmals wiederholen.
Lenz Kirchhofer