Offen gegenüber allen Religionen
Religionspolitik im Wandel
David Leutwyler ist seit Anfang 2020 Beauftragter für kirchliche und religiöse Angelegenheiten des Kantons Bern. Im Zuge des neuen Landeskirchengesetzes ist für ihn auch die Finanzierung von Leistungen von privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften denkbar.
David Leutwyler, was sind Ihre Aufgaben und Ziele?
Das neue Landeskirchengesetz und der Auftrag des Regierungsrates zur Erarbeitung eines religionspolitischen Monitorings geben die Aufgaben meines Amtes vor: die politischen Geschäfte in kirchlichen und religiösen Angelegenheiten vorbereiten; die kantonalen Amtsstellen in Religionsfragen unterstützen; die öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften stärken; die Leistungen der privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften erfassen und abklären, wo eine Gleichbehandlung mit den Landeskirchen angezeigt ist; und die Religionspolitik so gestalten, dass sie auch von areligiösen und konfessionslosen Menschen mitgetragen wird. Letztlich geht es darum, für alle faire staatliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Um diese Aufgaben möglichst gut wahrnehmen zu können, ist es für mich wichtig, die Religionsgemeinschaften des Kantons Bern besser kennenzulernen.
Die Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern hat angekündigt, zu diesem Zweck ein religionspolitisches Monitoring durchzuführen. Was ist damit gemeint?
Gute Politik setzt voraus, dass die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger bekannt sind. Ein Monitoring liefert die Grundlage, um daraus Massnahmen abzuleiten, wie die Religionspolitik des Kantons Bern in Zukunft gestaltet werden soll. Erste Massnahmen sind die Kontaktaufnahme und die Erarbeitung einer digitalen Landkarte der Religionen, welche die Vielfalt der existierenden Religionsgemeinschaften sichtbar machen soll. Ziel ist auch, die Religionsgemeinschaften und die Leistungen zu beschreiben, die sie im Interesse der gesamten Gesellschaft erbringen. Damit hängt die Prüfung von Ungleichbehandlungen zusammen, die in der «Religionspolitischen Auslegeordnung für den Kanton Bern» von 2017 kritisiert wurden.
Wollen Sie mit allen privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften ein Netzwerk aufbauen? Auch mit fundamentalistischen Religionsgemeinschaften wie der Scientology-Kirche oder dem Islamischen Zentralrat Schweiz?
Soweit sich die Religionsgemeinschaften im Rahmen der Rechtsordnung und der Verfassung bewegen, möchte ich Gesprächsbereitschaft signalisieren. Austausch und gegenseitiges Kennenlernen wirken der Entwicklung von Parallelgesellschaften entgegen und tragen damit zur Wahrung des sozialen Friedens bei.
Viele muslimische Vereine wissen nicht, was der Staat mit dem religionspolitischen Monitoring bezweckt. Sie denken, sie stünden unter Generalverdacht und sollten überwacht werden. Wie wollen Sie aufklären und Vertrauen schaffen?
Das religionspolitische Monitoring soll zu mehr Sichtbarkeit und einem besseren gegenseitigen Verständnis beitragen. Aus meinen Erfahrungen in der interreligiösen Zusammenarbeit habe ich gelernt, dass persönliche Begegnungen unverzichtbar sind, um Vertrauen zu schaffen.
In einigen Kantonen gibt es bereits runde Tische der Religionen, an einigen ist auch der Staat beteiligt. Wäre ein solches Gremium auch im Kanton Bern möglich?
Ja, wir denken an interreligiöse Zusammenkünfte zu religionspolitischen Handlungsfeldern, wie zum Beispiel «Schule» oder «Seelsorge», zu denen wir Direktbetroffene einladen. Um der Vielfalt der Religionsgemeinschaften des Kantons und der religionspolitischen Themen gerecht zu werden, braucht es verschiedene Gesprächsforen mit unterschiedlichen Partnern. Dabei wollen wir keinesfalls bestehende interreligiöse Begegnungsplattformen konkurrenzieren. Im Gegenteil: Es braucht ein koordiniertes Zusammenspiel mit bestehenden Gremien.
Ihre Behörde möchte auch erheben, welche Leistungen Religionsgemeinschaften im gesamtgesellschaftlichen Interesse erbringen. An welche Leistungen denken Sie?
Im Fokus stehen Leistungen, deren Wirkung der gesamten Gesellschaft zugutekommt. Gemeint sind zum Beispiel Kinder- und Jugendarbeit, Beratungsangebote für Paare und Familien, für Seniorinnen und Senioren, für Behinderte und Armutsbetroffene sowie Seelsorge- oder Migrationsarbeit. Wir möchten besser wissen, inwiefern neben den Landeskirchen auch privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften Leistungen erbringen, die zur solidarischen Gemeinschaft, zur Vermittlung grundlegender Werte, zum Frieden unter den Religionen, zur religiösen Bildung und zur Kulturpflege beitragen. Wir möchten uns ein genaueres Bild darüber verschaffen und dazu beitragen, dass diese Leistungen besser bekannt werden und die angezeigte Wertschätzung erhalten.
Wir haben vier privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften nach ihren Wünschen an Staat und Gesellschaft gefragt. Einige von ihnen wünschen sich eine finanzielle Unterstützung des Staates. Wie lautet Ihre Antwort?
Eine allgemeine gesetzliche Grundlage zur Finanzierung von Leistungen von privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften gibt es heute nicht. Die Landeskirchen erhalten öffentliche Gelder aufgrund historischer Rechtstitel und um Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse zu erbringen. Für die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften ist die Ausgangslage heute anders. Diese Ungleichbehandlung lässt sich längerfristig nicht rechtfertigen. Einige der befragten privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften wünschen sich in staatlichen Institutionen wie Spitälern oder Gefängnissen Seelsorgende aus ihrer Religionsgemeinschaft. Für diese Seelsorgenden ist es aber schwierig, eine Anstellung zu bekommen, weil ihnen oft die verlangten Qualifikationen fehlen.
Staatliche Institutionen brauchen hochqualifiziertes und professionelles Personal. Das bedeutet aber aus meiner Sicht nicht, dass alle Angestellten genau dieselben akademischen Abschlüsse haben müssen. Ist es wirklich sinnvoll, dass ein Mönch, der in einem buddhistischen Kloster eine jahrzehntelange Ausbildung genossen hat und für Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft die erste Ansprechperson für Seelsorge ist, einen Masterabschluss vorweisen muss? Angezeigt ist eine differenzierte Betrachtung der Kandidierenden, ihrer Ausbildung, Sprachkompetenz und Erfahrung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Leistungsempfängerinnen und -empfänger. Die Strukturen sollten dieser komplexen Lebenswelt gerecht werden.
Einige Religionsgemeinschaften wünschen sich zudem die kleine oder reguläre öffentlich-rechtliche Anerkennung durch den Staat. Dies könnte eine finanzielle Unterstützung oder den Zugang zu staatlichen Institutionen erleichtern.
Im Rahmen der Diskussion zum Landeskirchengesetz hat der Grosse Rat klar festgehalten, dass er keine öffentlich-rechtliche Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften anstrebt. Massnahmen zur Förderung von Religionsgemeinschaften, die gesellschaftlich relevante Leistungen erbringen, will er aber prüfen. Massnahmen wie eine finanzielle Unterstützung oder der Zugang zu staatlichen Institutionen hängen nicht grundsätzlich von einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung ab. Eine solche Anerkennung wäre zudem auch eher azyklisch in einer Zeit, in der sich Staat und Landeskirchen sanft entflechten. Eine Anerkennung schafft zudem immer auch Ausgrenzung, was aus meiner Sicht keine gute Grundlage für eine Religionspolitik ist.
Welche Kriterien müssen privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften erfüllen, um vom Staat unterstützt zu werden?
Bestimmte Kriterien wie finanzielle Transparenz und demokratische Strukturen sind gesetzt. Das religionspolitische Monitoring soll die Grundlage bilden, um weitere Kriterien zu formulieren, welche die Grundvoraussetzung für eine institutionalisierte Beziehung bilden könnten.
Welches Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften schwebt Ihnen vor?
Religionsgemeinschaften leisten einen wichtigen Beitrag zur Solidarität in der Gesellschaft und zur Vermittlung von Werten wie Selbstverantwortung oder Nächstenliebe. Diese Werte bilden eine Grundvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft und das Funktionieren unseres Rechtsstaats. Deswegen gilt es, die partnerschaftliche Zusammenarbeit von staatlichen und religiösen Akteuren fortzusetzen und weiterzuentwickeln.
Erstabdruck in leicht abgeänderter Form im Ensemble, Magazin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Nr. 53, Oktober 2020
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Zeadin Mustafi und Mathias Tanner