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Universitäres Symposium und kirchliche Feier zur Berner Reinkens-Rede

JosephHubertReinkens

Katholizismus am Scheideweg

Am 9. Dezember 1872 hielt Joseph Hubert Reinkens in der Berner Heiliggeistkirche einen Vortrag, der wesentlich dazu beitrug, dass sich die Mehrheit der Berner Katholikinnen und Katholiken zum Christkatholizismus bekannte. 150 Jahre später – auf den Tag genau – erinnert eine wissenschaftliche Veranstaltung und eine kirchliche Feier daran.

Als Professor für Kirchengeschichte in Breslau, vor allem aber als prominenter Kritiker der päpstlichen Unfehlbarkeit, genoss Reinkens internationale Beachtung und war – je nach Perspektive – ein bewunderter oder gefürchteter Redner. Auf Einladung des weitsichtigen Rechtsgelehrten Walther Munzinger hielt Reinkens am 1. Dezember 1872 in Olten eine Rede, welche die Geschichte der christkatholischen Kirche prägen sollte. Als zentraler Faktor des sogenannten «Oltner Tags», der bis 1972 alle zehn Jahre feierlich begangen wurde, ist sie in der Erinnerungskultur der christkatholischen Kirche tief verankert. Bei dieser einen Rede ist es allerdings nicht geblieben. Spontan wurde 1872 ein Reiseprogramm entworfen, das Reinkens zu weiteren Vorträgen nach Luzern, Solothurn, Bern, Rheinfelden und Basel führte.

Die Vorträge wurden 1903 unter dem Titel «Katholisch, nicht päpstlich» veröffentlicht. Der erste christkatholische Bischof Eduard Herzog schrieb im Vorwort: «Die Saat, die Reinkens ausgestreut hat, war von Gott gesegnet, ist aufgegangen und hat reiche Frucht gebracht!» Nicht nur reiche, sondern auch nachhaltige Frucht, möchte man 119 Jahre später hinzufügen. An allen Orten, an denen Reinkens referierte, bestehen noch heute lebendige christkatholische Kirchgemeinden.

Auf Initiative der Christkatholischen Kirchgemeinde Bern wird das 150jährige Jubiläum der Vortragsreise zum Anlass genommen, um über die Auswirkungen des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) und die organisatorische Spaltung der katholischen Kirche in einen römisch-katholischen und einen christkatholischen Zweig nachzudenken.

Multidisziplinäres Symposium an der Universität Bern

Am 9. Dezember 2022 findet an der Universität Bern von 9.30 bis 17.45 Uhr ein Symposium unter dem Titel «Katholizismus am Scheideweg: Die katholischen Kirchen der Schweiz nach dem ersten Vatikanischen Konzil» statt. Das Symposium überwindet konfessionsspezifische Blickwinkel und greift neue Perspektiven auf. Forschende aus Kirchengeschichte, Allgemeiner Geschichte, Rechtsgeschichte, Religionswissenschaft und Musikwissenschaft referieren und diskutieren gemeinsam über die Folgen der Konzilsbeschlüsse in der Schweiz.

Die Veranstaltung soll ein Ort für Debatten sein, nicht nur für die Referierenden, sondern auch für ein interessiertes Publikum. Die Referate sind mit 20 Minuten zeitlich knappgehalten. Dafür besteht umso mehr Raum für Rückfragen aus dem Publikum und Diskussionen untereinander.
Organisiert wird das Symposium gemeinsam von Angela Berlis (Professorin für Geschichte des Altkatholizismus und Allgemeine Kirchengeschichte an der Universität Bern), Markus Ries (Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern) und Martin Bürgin (wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kirchengeschichte am Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern).

Am 9. Dezember 1872 hielt Joseph Hubert Reinkens in der Berner Heiliggeistkirche seine berühmte Rede.

Abendveranstaltung in der Berner Heiliggeistkirche

Im Anschluss an das Symposium laden die römisch-katholische Kirche und die christkatholische Kirche ab 19 Uhr zur gemeinsamen Feier in der Berner Heiliggeistkirche ein – dem Ort also, an welchem Reinkens 150 Jahre zuvor seine Berner Rede hielt. Mit einem Podium unter dem Titel «Kirche sucht Zukunft» wird der Blick von der Vergangenheit in gegenwärtige und kommende Zeiten geführt.

Spannende Gäste kommen miteinander ins Gespräch. Angela Berlis und Markus Ries stehen für den Brückenschlag vom Symposium zum Abendprogramm. Die beiden Pfarrer Christoph Schuler und Ruedi Heim sprechen über die Perspektive als Pfarrer der christkatholischen und der römisch-katholischen Berner Kirchen. Die christkatholische Berner Kirchgemeinderätin Barbara Gassmann weiss über die alltägliche Arbeit im Bereich Ökumene zu berichten. Leticia Schäfer Campos bietet Einblick in die Bedürfnisse anderssprachiger kirchlicher Gemeinschaften und das Spannungsfeld zwischen lokaler Kirche und Universalkirche. Einen globalen Blick auf kirchenpolitisches Engagement hat auch Frederique Seidel. Sie ist Managerin des Programms für Kinderrechte der Unicef-Weltkirchenrat-Partnerschaft. Matthias Zeindler bringt die nichtkatholische Aussenbetrachtung mit ins Gespräch. Als Leiter des Bereichs Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Titularprofessor für Dogmatik an der Universität Bern ist er mit den beiden katholischen Kirchen aber bestens vertraut.
SRF-Redaktor Norbert Bischofberger sorgt für eine professionelle Moderation. Walter Dolak (Orgel und Klavier) und Vicente Climent Calatayud (Altposaune) setzen mit ihren musikalischen Interventionen eigene Akzente. Sie werden improvisierend auf den Verlauf des Gesprächs und unterschiedliche Positionen eingehen.

Ab 20.30 Uhr sind alle herzlich eingeladen zu einem feierlichen Apéro riche. Pfarrer Christoph Schuler meint dazu: «Sie werden in keinem Fall hungrig nach Hause gehen – und nehmen Sie doch Freunde mit!»

Wichtige Informationen

Beide Anlässe sind öffentlich und Publikum ist herzlich willkommen. Beim Symposium an der Universität Bern ist die Platzzahl allerdings beschränkt. Deshalb wird um Anmeldung an martin.buergin@unibe.ch bis zum 2. Dezember 2022 gebeten.

Das Symposium findet im Seminarraum F-121 der Universität Bern am Lerchenweg 36 statt. Das Gebäude ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln über die Bus- und Postautohaltestelle «Unitobler» ideal zu erreichen. Die Abendveranstaltung findet in der Berner Heiliggeistkirche, an der Spital­gasse 44, in unmittel­barer Nähe zum Bahnhof Bern statt.

Martin Bürgin
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Allgemeine Kirchengeschichte
Institut für Christkatholische Theologie, Theologische Fakultät
Universität Bern

Weitere Informationen finden Sie unter: www.katholizismen.unibe.ch

Programm Symposium – 9. Dezember, Universität Bern, Lerchenweg 36

9.30 – 9.45 Begrüssung

9.45 – 10.45 Bürgerlich oder katholisch? Ein verhängnisvoll konstruierter Antagonismus aus dem 19.  Jahrhundert | Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte (Universität Luzern)
Joseph Hubert Reinkens und seine Bedeutung für die Formierung der Christkatholischen Kirche der Schweiz | Angela Berlis, Professorin für Geschichte des Altkatholizismus und Allgemeine Kirchengeschichte (Universität Bern)

11.15 – 12.15 Erfahrungs- und Erinnerungsräume: Narrative, Inszenierungen, Akteure | Franziska Metzger, Professorin für Geschichte (Pädagogische Hochschule Luzern)
Architektur als Repräsentation konfessioneller Identität: Das kirchenpolitische Programm der ­Berner Dreifaltigkeitskirche | Martin Bürgin, Historiker und Religionswissenschaftler (Universität Bern)

13.30–14.30 Pierre César im Jura: Ein christkatholischer Pfarrer und Schriftsteller in Zeiten des abflauenden ­Kulturkampfs | Erika Moser, Kirchenhistorikerin (Universität Bern)
Carl Johann Greith als Bischof der Mitte? | Cornel Dora, Historiker und Stiftsbibliothekar (Stiftsbibliothek St. Gallen)

14.45 – 15.45 Lange Schatten des Ersten Vatikanums im Industriekanton Solothurn | Peter Heim, Historiker (Stiftung Ballyana Schönenwerd)
Neue Wege und alte Konflikte: Beobachtungen zu den Konsequenzen des Ersten Vatikanums auf die schweizerische Rechtsordnung | Andreas Thier, Professor für Kirchenrecht und Rechtsgeschichte (Universität Zürich)

16.00 – 17.00 Singen nach der Spaltung: Das christkatholische Kirchengesangbuch und der Gesang der Kirchenchöre | Klaus Wloemer, Theologe und Kirchenmusiker (Universität Bern)
Kirchenmusikalischer «Sonderfall Schweiz»: Die römisch-katholische Kirchenmusik nach dem Ersten Vatikanum | Alois Koch, Professor für Kirchenmusik (Musikhochschule Luzern)

17.15 – 17.45 Abschlussdiskussion und Ausblick