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Zur Bischofswahl nominiert: Lars Simpson

06 Lars Simpson

Neuseeland, England und die Schweiz. Grenzenlos mit Menschen unterwegs sein – neue Horizonte entdecken

Wer sich mit Pfarrer Lars Simpson unterhält, merkt schnell, wie wichtig ihm Menschen sind, und dass er sich Zeit nehmen möchte, ihnen zuzuhören. Sei es nach einer Führung im Kunsthaus oder nach einem Gottesdienst beim Kirchenkaffee, unterwegs im Zug oder auf dem Velo, beim Töggelichaschte mit Jugendlichen oder am Abend mit seiner Frau Franziska bei einer Tasse Tee: Es gibt wohl keinen aktuellen Moment, in dem er nicht sagen würde, dass genau er der wichtigste des Lebens sei.

Niklas Raggenbass: Lars Simpson, was bedeutet dir dein Vorname «Lars»?
Lars Simpson: Mein Name verleiht mir Identität. «Lars» bezieht sich auf das Herkunftsland meines Urgrossvaters: Norwegen. Er wanderte nach Neuseeland aus und traf später meine Urgrossmutter, die mit ihrer Familie von Schottland aus nach Neuseeland kam. Für meine Eltern war es wichtig, mir einen Taufnamen zu geben, der auf Englisch, Deutsch und Französisch gleich auszusprechen ist. Der Grund: Als ich geboren wurde, arbeitete mein neuseeländischer Vater für eine amerikanische Firma in Paris, und meine Mutter ist Deutsche. Bald sind wir nach England übersiedelt, wo ich aufgewachsen bin und studierte. Früh habe ich gelernt, mich zwischen den Sprach- und Ländergrenzen frei zu bewegen – das hat schon immer mein Leben geprägt und bereichert.

Du kennst den Schulbetrieb in verschiedenen Ländern. Welche Bedeutung haben Noten in der heutigen Zeit, in der man gar keine Noten mehr geben will?
Diese Frage würde ich am liebsten meiner Frau weitergeben; sie ist Erziehungswissenschaftlerin. Bis ich Teenager war, hatten wir keine Noten in der Schule. Da war ich glücklich. Dass es in den Schulen Noten gibt, kann ich aber nachvollziehen. Doch Noten allein können nicht alles über die Fähigkeiten und das Potential eines Menschen erfassen oder aussagen. Als Seelsorger bin ich froh, niemanden bewerten zu müssen.

Du hast von den verschiedenen Orten und von deinen Reisen erzählt. Was ist für dich «Heimat»?
Diese Frage begleitet mich schon mein ganzes Leben lang, da meine Familienwurzeln sich über mehrere Länder erstrecken. Ich gehöre zur vierten Generation unserer Familie, wo Mann und Frau aus unterschiedlichen Ländern stammen. Seit meiner Geburt bin ich Neuseeländer, mit achtzehn wurde ich auch Brite und vor zwanzig Jahren Schweizer. Heimat ist, wo meine Familie ist, wo ich mich geborgen fühle. Heimat ist die Schweiz und das Quartier in Zürich, wo wir wohnen. Heimat ist, am Esstisch mich mit meiner Frau Franziska auszutauschen und Familie und Freundinnen und Freunde einzuladen.

Wie bist du als Theologe ein Priester geworden?
Im englischsprachigen Raum spricht man gerne von «Berufung», von «vocation». Ich verstehe meinen Weg zum Priester genauso. Für mich war es ein Weg der inneren Suche nach Sinn und Entdeckung von Gottes Spuren in meinem Leben. Unterwegs waren unterschiedliche Menschen und Erfahrungen prägend: Meine Grossmutter oder eine Oberstufenlehrerin. Als Student schloss ich mich einer Gebetsgruppe an, wo ich das Jesusgebet, auch «Herzensgebet» genannt, kennenlernte – es bleibt ein wichtiger Teil meines Gebetslebens. Ich begann regelmässig Gottesdienste in der Stadt zu besuchen. Jemand aus der Gemeinde sagte zu mir: «Lars, du gehörst dorthin zum Altar!» Ich war ganz schockiert. Sie meinte, ich solle ministrieren, was für Erwachsene in der Gemeinde üblich war. Darauf ging ich zum Pfarrer, um ihn zu fragen, wie man Ministrant wird. Auf dem Weg merkte ich, dass die Frage eine neue wurde: Wie sieht der Weg in den kirchlichen Dienst aus? Ich nahm mit den Verantwortlichen für die kirchliche Ausbildung Kontakt auf. Ich beschloss, ein Praktikum zu machen und arbeitete ein Jahr lang in Südlondon als Gemeindehelfer. Das hat meine Berufung bestärkt und mich zum Studium der Theologie gebracht. Wenn ich einem jungen Menschen einen Rat geben darf, würde ich sagen, sie oder er solle zuerst ein Schnupperpraktikum in einer Kirchgemeinde machen, um einen Einblick zu gewinnen, was es heisst, Pfarrperson zu sein. Es ist eine spannende und vielseitige Tätigkeit.

Was ist für dich persönlich eine Bischöfin oder ein Bischof?
Eine Bischöfin oder ein Bischof ist eine Person, die in der Kirche und in sich selbst zuhause ist – nah bei Gott, nah bei den Menschen, nah bei sich. Eine Person, die mit offenen Augen und Ohren durch das Leben geht und wahrnimmt, was in der Kirche und in der Gesellschaft läuft. Bischof oder Bischöfin ist ein Mensch, der unterwegs ist, der zuhört und den Dialog zwischen den Kirchgemeinden und in den Kirchgemeinden fördert und – wo nötig – vermittelt. Natürlich ist es gut, wenn der Bischof oder die Bischöfin diplomatisch und umsichtig ist und die Fähigkeit hat, im richtigen Moment eine Entscheidung zu fällen.

Lars, stell dir vor, dass du zum Bischof gewählt und geweiht bist. Heisst es dann für dich: «Alles weiter wie bisher»?
Ich liebe die Christkatholische Kirche mit ihrer lebendigen Tradition und ihrer zeitgemässen Ausrichtung. Offen, liberal und modern entspricht meinem Glauben, dass Gott in der Vielfalt zu entdecken ist. Für mich ist klar: Tradition und Theologie müssen dynamisch bleiben; durch Erneuerung bleiben sie lebendig, spannend und relevant. Eine wichtige Errungenschaft für unsere Kirche ist für mich die Entscheidung, dass Frauen Diakonin, Priesterin und Bischöfin sein können. Diese Entscheidung stärkt die Kirche und macht sie glaubwürdiger in unserer Gesellschaft. Auch das neuste Beispiel dafür, was es heisst, eine bischöflich-synodale Kirche zu sein, ist für mich wegweisend. Ich erinnere mich an den Schlüsselmoment, als Aischa Amrhein als Präsidentin der Christkatholischen Jugend der Schweiz die Nationalsynode aufforderte, sich für die Möglichkeit der «Ehe für alle» zu öffnen. Die Nationalsynode nahm dieses Anliegen auf, und nach einem bischöflich-synodalen Entscheidungsfindungsprozess haben wir als Kirche unser Jawort zur «Ehe für alle» gegeben. Das zeugt von einer Kirche, die lebensnah ist und lebensbejahende Entscheidungen treffen kann. Ich habe selbst erleben dürfen, was es heisst, wenn die Kirche einen solchen Schritt macht und Menschen in ihrem Leben stärken, segnen und mit ihnen feiern kann – das sind berührende und befreiende Momente. Das zeugt von einer Kirche, die nicht stehen bleibt, sondern bereit ist, mutig zu sein und neue Wege zu gehen. Dazu möchte ich als Bischof meinen Teil beitragen, denn ich weiss, dass wir in Zukunft nicht einfach weiterfahren können wie bisher.

Wenn du es in wenigen Worten sagen müsstest: Was ist deine Vision für die Christkatholische Kirche?
Dass die Kirche dialogfähig bleibt und dort ist, wo die Menschen sind. Eine Kirche, die geprägt ist von Offenheit und Wertschätzung. Eine gastfreundschaftliche Kirche, die Menschen zusammenbringt und Lebensfreude ermöglicht. Wesentlich ist für mich eine seelsorgerliche Kirche, die den Menschen begegnet, begleitet, stärkt – mit einem hörenden Herzen und Gottes Segen. Eine Kirche, die sich immer wieder solidarisch zeigt in ihrem Handeln, wie Jesus uns ermutigt: «Das, was ihr für die geringsten meiner Schwestern oder Brüder getan habt, habt ihr mir getan» (Matthäus 25,40). Zu meiner Vision der Kirche gehört auch, dass sie ihre Stimme erhebt, in der Ökumene und im interreligiösen Dialog. Projekte, die die Kirchen gemeinsam tragen, haben mehr Reichweite. Wo Menschen in unserem Land wegen ihrer Religionszugehörigkeit angegriffen werden, braucht es eine neue interreligiöse Solidarität. So zum Beispiel als Antwort auf den erschütternden Angriff auf einen orthodoxen Juden in Zürich: Die Kirchen standen zusammen mit jüdischen und muslimischen Organisationen in einer Menschenkette.

Aber wie kann man dies angehen, wenn es immer weniger Menschen gibt, die sich in der Kirche engagieren?
Wichtig scheint mir, dass die Kirche Möglichkeiten für ein Engagement eröffnet, das Menschen als bedeutend und erfüllend wahrnehmen. Als Kirchgemeinde Zürich durften wir die Erfahrung machen, dass sich viele Personen für den Deutschunterricht und das Mittagessen für Geflüchtete einsetzen wollen. Viele Gemeindeglieder haben sich freiwillig gemeldet, sie tragen das diakonische Projekt weiterhin mit viel Herzblut. Zudem kommen neue Menschen zum Projekt dazu. Neu engagiert sich ein Berater, der nahe der Augustinerkirche arbeitet, als Deutschlehrer, weil er eine sinnvolle ehrenamtliche Aufgabe neben seiner Erwerbsarbeit suchte.

Was wäre deine Botschaft, die du als Bischof zuerst weitergeben möchtest?
Ich würde dies mit dem Anfang des wunderbaren afrikanischen Segens ausdrücken: «Gott segne dich. Gott erfülle deine Füsse mit Tanz und deine Arme mit Kraft. Gott erfülle dein Herz mit Zärtlichkeit und deine Augen mit Lachen.» Du weisst, dass ich selbst gerne tanze und es liebe, zeitgenössischen Tanz und Ballett anzuschauen. Für mich ist dies immer wieder eine Erfahrung der Lebendigkeit. Was ich damit ausdrücken möchte: Lasst uns lebendig bleiben, als Menschen und als Kirche. Neben allem, was das Bischofsamt mit sich bringen würde, braucht es sicher Humor – vielleicht ist das die britische Art. Mein Motto ist dabei: «Lars, die Sache Gottes ist immer ernst zu nehmen, aber nimm du dich selbst nicht zu ernst!»

Das Interview führte Niklas Raggenbass
Fotos: Nik Egger