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Martinj – Kunst in der Dorfkirche

Westfeld Bild Martinj

In der Dorfkirche treffen Kunstwerke aus vergangenen Zeiten auf den Augenblick. Hier, wo sakrale Bilder Geschichten von Glauben und Ewigkeit erzählen, entsteht ein Bogen zur Sprache der Gegenwart. Was geschieht, wenn zeitgenössische Kunst den Kirchenraum berührt? Martinj überrascht mit seinem monumentalen Werk «Der grosse Wal» aus 70 A3-Blättern, während Denise Hummels Skulpturen aus Altmetall, Stoff, Holz und Beton eine fantasievolle Welt ohne Grenzen formen. Zwischen Gottesdienstraum und Kunstobjekt entsteht ein Dialog, der überrascht und Fragen weckt.

Martinj – Stór Hvalur (Der grosse Wal)

Die Liebe zum Meer


Martinj (Martin J. Meier Dercourt) 1965 geboren und aufgewachsen in Chur, lernte die Malerei 1989 bis 1993 an der Akademie der schönen Künste in Carrara, Italien. Er lebt als freischaffender Kunstmaler in Basel und Grenivik, Island und stellt seine Bilder regelmässig in der Schweiz sowie im Ausland aus. Martinj geniesst eine treue Gemeinschaft die seine Werke sammelt.


1999 arbeitete er in einem Gastatelier in Akureyri im Norden Islands. Er verliebte sich in Land und Leute, in die rauhe, kühle und weite Meereslandschaft. Seither reist er immer wieder dorthin. Über die Jahre wurde Island zu seiner Herzensheimat. Schon als Kind faszinierten ihn Wale, gesehen hatte er natürlich längst noch keinen Wal in echt. Während eines längeren Aufenthalts in einem kleinen Atelier in Dalvik, in Nordisland, entstand ein grosses Projekt: ein Wal in Originalgrösse! Oder zumindest beinahe. Vielleicht ein Jungwal.
Jedenfalls ein bunter! Als Vorbild dienten ihm die ÖlkreideZeichnungen seiner damals vierjährigen, jüngeren Tochter, voller Schwung, voller Farben und aus dem Vollen schöpfend. Mehrere Schachteln Neocolor wurden zerrieben und so entstand auf über
70 Blättern der grosse Wal, der „Stór Hvalur“. Die Arbeit dauerte den ganzen Sommer. Anschliessend wurden die Blätter zusammengesetzt und ausgestellt, am „Grossen Fischfest“ 2015 in Dalvik, dem damals zweitgrössten Fest Islands. Das Salzhaus wurde dafür leergeräumt, und ein Gabelstapler half bei der Montage. Danach wurde der Wal wieder zerschnitten und kam mit in die Schweiz. 2015 wurde er im Ausstellungsraum der
Visarte, „M54“, in Basel gezeigt. Die Faszination für Island blieb. Martinj reist immer wieder dorthin und erwarb schliesslich einen Zweitwohnsitz, ein Haus direkt am Fjord, von dessen Fenster aus er manchmal Wale von blossem Auge sehen kann. Wenn Martinj in der Schweiz ist, vermisst er das. Nun wird sein bunter Wal wieder zusammengesetzt – diesmal in der Kirche von Allschwil. Einige Stücke fehlen, weil sie verschenkt oder verkauft wurden, während der Wal zehn Jahre lang als Stapel von Blättern gelagert war. Sie werden nun wieder ersetzt.

80 Porträts

In den Jahren 2023 und 2024 verbrachte Martinj ein ganzes Jahr in Island, diesmal im Dorf Grenivik, dort, wo sein Haus steht. Dort richtete sich sein Blick diesmal auf die Menschen: Er zeichnete 80 grossformatige Kohle-Porträts der Dorfbewohner*innen, während des Winters. Dorfgespräch und grosses Thema im kleinen isländischen Küstendorf! Das isländische Fernsehen berichtete darüber. Die Modelle erhielten ihre Zeichnungen geschenkt – ganz im Sinne von Martinjs Überzeugung: „Man kann nicht Leute bitten, an einem Kunstprojekt teilzunehmen, und ihnen dann am Schluss Geld für das Kunstwerk verlangen.“ Und doch ging das Projekt für ihn auf, denn der nordisländische Kulturfond und auch die Gemeinde Grenivik unterstützte ihn. Er durfte sich auch ein Atelier im alten Schulhaus einrichten.

Kein Schwarz

Neben solchen speziellen Projekten ist Martinj vor allem Kunstmaler. Er malt Bilder. Herzhaft, schwungvoll und bunt – expressive, mystische, manchmal surreale Bilder, aber stets in seinem unverwechselbaren Stil, den er über viele Jahre entwickelte. Auffällig ist: Schwarz kommt in seinen Bildern nie vor. Martinj besitzt gar keine schwarze Farbtube. Schon an der Kunstakademie in Italien hatte ihn sein geschätzter Professor Aldo Bandini gelehrt, kein Schwarz zu verwenden – und daran hält er sich bis heute. Sehen wir dunkle Stellen in seinen Bildern, handelt sich nicht um Schwarz, sondern um eine Mischung aus dunklem Blau, Rot und Grün. Weitere Merkmale seiner Malerei sind gebogene Horizonte, hohe Himmel, stilisierte Wolken und Bäume sowie Figuren und Tiere.

60 Jahre

In diesem Herbst wird Martinj 60 Jahre alt. Deshalb ist er nicht nur in der Kirche Allschwil zu Gast, sondern gleichzeitig auch mit einer grossen Jubiläumsausstellung in der Galerie Crameri in Chur, wo er in den letzten 25 Jahren immer wieder ausgestellt hat. Bilder aus
verschiedenen privaten Sammlungen wurden dort zusammengetragen und bieten einen weiten Überblick über sein Schaffen – Werke aus vier Jahrzehnten. Er selbst sagt, er habe
ungefähr 800 Bilder gemalt, vielleicht auch 1000. Genau weiss er es nicht. Die Bilder sind weit verstreut und erfreuen viele Menschen in ihrem Zuhause; ein Inventar gibt es nicht.
Nun also kehrt der grosse Wal zurück ans Tageslicht, oder zumindest ins gedämpfte Licht der Dorfkirche. Die Blätter werden wieder zusammengesetzt, zusammengeklebt und ergänzt. Der Wal kommt in die Kirche – ein biblisches Motiv, ein Kreis, der sich
schliesst. Der erste Isländer, den Martinj kennengelernt hatte, war Jonas Vidar, ein Mitstudent in Italien, späterer erfolgreicher Kunstmaler in Island und bald auch sein Freund. Sie inspirierten sich gegenseitig künstlerisch, und durch ihn kam Martinj erstmals auf die Insel im Nordmeer. Jonas starb früh. Der Wal erinnert Martinj bis heute an Jonas und an Island. So steht Martinj, der „Bergjunge“ aus Graubünden, dem die Berge zu steil waren, nun mit seinem fröhlichen Wal in Allschwil, ganz in der Nähe seines Schweizer Wohnortes, dem Basler Gotthelfquartier. Sein zweiter Wohnort, Island, ist dabei immer gegenwärtig – in
seinen Bildern und in seinem Herzen.

Martinj (Martin J. Meier Dercourt)