Raum und Tradition weisen die Richtung

Je nach Position des Altares blickt der Priester oder die Priesterin entweder in Richtung der Gemeinde oder von dieser weg. (Fotos: Anita Brunner)

Je nach Position des Altares blickt der Priester oder die Priesterin entweder in Richtung der Gemeinde oder von dieser weg. (Fotos: Anita Brunner)

Wohin richtet sich aus, wer betet? Die Gebetsrichtung der Priester und Priesterinnen beim Eucharistiegebet wirft diese Frage exemplarisch auf. Die Kirchgemeinde Baden-Brugg-Wettingen hat sie diskutiert und festgestellt, dass verschiedene Faktoren die Antwort auf diese Frage bestimmen.

Aufgrund von Anregungen durch Gottesdienstbesucher diskutierte die Kirchgemeinde Baden-Brugg-Wettingen anlässlich eines Gemeindeanlasses im Juni die Gebetsrichtungen im Gottesdienst. Anlass war die Streitfrage, ob sich der Priester oder die Priesterin bei der Eucharistiefeier und Gabenbereitung Richtung Altar – also mit dem Rücken zur Gemeinde – oder Richtung Gemeinde ausrichten soll. Als Referent zum Thema hat Prof. em. Urs von Arx den Anwesenden in einem Vortrag Einblick in theologische Grundlagen und die in unserer Kirche herrschenden Traditionen gegeben. Ausgehend von der «Architektur» der Eucharistiefeier zeigte er das religiöse Zeichensystem mit den drei Ausdrucksformen Mythos, Ritus und Ethos auf.

Christkatholische Grundlagen

Der Mythos umfasst die grundlegenden Handlungen Gottes mit dem Schöpfer für alles was ist, dem Volk Israel als Stellvertreter aller Menschen und dem Gemeinschaftsverhältnis (Bund), an dessen Aufrechterhaltung sich das Volk in selbstverantwortlichem Gehorsam beteiligt und der Radikalisierung der Zuwendung Gottes in einem Menschen Jesu zur Schöpfung.

Im Ritus wird die im Mythos aufscheinende Wirklichkeit (Gottes Geschichte mit Israel, Jesus Christus und allen Menschen) in bestimmten Handlungen, in deutenden Worten und mit den «heiligen» Gegenständen zur Darstellung gebracht. Riten haben eine identitäts- oder sinnstiftende Funktion und dienen damit dem Gruppenzusammenhalt sowie der Rollenzuweisung innerhalb der Gruppe.

Das Ethos als gedankliche Reflexion von der Gemeinschaft kreist um das zentrale Gebot der Liebe in Entsprechung zum dreifaltigen Gott. Dies zeigt sich an biblischen Formulierung wie «Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe», «Liebe den Herren, deinen Gott, und liebe deinen Nächsten wie dich selbst» und «Was ihr einem meiner geringsten Brüder (einer meiner geringsten Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan».

Grundvollzüge der Kirche

Die mit Mythos, Ritus und Ethos bezeichneten Aktions- und Kommunikationsfelder einer Glaubensgemeinschaft haben in einer Weise mit dem zu tun, was man in der Theologie Grundvollzüge der Kirche nennt: Martyria (Bezeugung in Wort und Tat), Leitourgia (Gottesdienst) und Diakonia (die Liebe Gottes selber weitergeben).

Zu Mythos/Martyria gehören Akte wie missionarische Verkündigung des Evangeliums, der Katechese (Unterricht) und die Rechenschaft über den Glauben mit seinen Voraussetzungen und Konsequenzen. Zu Ritus/Leitourgia gehören die Anbetung und das Lob Gottes, worin die Kirche, indem sie um das Kommen und die Gegenwart Gottes bittet, davon zu leben wagt, was ihr in Wort und Sakrament geschenkt wird und was sie als Quelle ihrer und der Schöpfung Zukunft erkannt hat. Leitour-gia ist daher – zusätzlich zum menschlichen Handeln gegenüber Gott – auch ein Handeln Gottes an und mit uns. Zu Ethos/Diakonia gehört die Wahrnehmung des heilenden Auftrags der Kirche gegenüber den konkreten materiellen und psychischen Nöten von Menschen (Seelsorge im weiten Sinne als «dialogische» Form der Diakonia) in resoluter Überschreitung ihrer eigenen insti-tutionellen, konfessionellen und religiösen Grenzen.

Aspekte der Kommunikation im Gottesdienst

Die Zeichensprache im Gottesdienst umfasst sowohl verbale wie nonverbale Elemente wie Sprache, Körpersprache (Mimik, Gestik, Gebärden, Bewegungen), Ausrichtung im Raum mit Distanz, Nähe, Zu- und Abwendung, Zusammenspiel der Beteilig-ten und Berührungen. Sie stehen im Zusammenhang mit «Sachen» wie Brot, Wein, Wasser, Öl, Kerzen, Buch (Evangeliar, Bibel), Kirchenausstattungen, Form der Gewänder oder Farben im liturgischen Jahr. Um diese Zeichen verstehen zu können und um der Kommunikation zu dienen, müssen sie interpretiert werden.

Die Sprechakte im Gottesdienst unterteilen sich in die drei Kommunikationsrichtungen von Gott auf die Menschen (katabatisch, herabsteigend), vom Mensch an Gott (anabatisch, aufsteigend) und zwischen den Menschen (diabatisch). Aus diesen Elementen ergibt sich auch die Frage nach der Gebetsrichtung.

So wird die Gebetsrichtung bei an Gott gerichteten (anabischen) Gebeten durch die von der Gemeinde im Kirchenschiff vorgegebene Ausrichtung festgelegt, indem die Gemeinde feiert und der Priester ihr dabei vorsteht. Bei einer katabatischen (herabsteigenden) Kommunikationshandlung ist eine Position angebracht, die das Gegenüber von Gott bzw. seiner Botschaft und seinem Segen (von Gott zu den Menschen) ausdrückt, wie beispielsweise am Ambo mit Lesungen, Predigt und Fürbitten, der Kommunionsausteilung an den Altarstufen und beim Friedensgruss und dem Segen an den Sitzen.

Tradition und Gegebenheiten bestimmen die Ausrichtung

Obige Erläuterungen zeigen für die Gottesdienste im Chorgestühl der Klosterkirche Wettingen eine nachvollziehbare Vorgabe für die Ausrichtung in den Teilen der christkatholischen Liturgie.

In der anschliessenden intensiv geführten Diskussion wurden mögliche Alternativen vorgebracht, die aber zu den zuvor erfolgten Erläuterungen im Widerspruch stehen würden. Dr. Urs von Arx plädierte in seinem Schlusswort zu gegenseitigem Respekt und der Berücksichtigung von am Ort herrschenden Gegebenheiten und Traditionen.

Ernst Blust