Gleichheit oder Differenz?

Bei der Genderfrage und den Rechten der einzelnen Minderheiten gehen die Meinungen auseinander. Foto: zVg.

In einer parlamentarischen Kommission wird derzeit in der Schweiz die Ehe für alle diskutiert. Auch in unserer Kirche ist das Anliegen ein Thema, die Christkatholische Jugend hat sich dazu geäussert, die Synode wird das Anliegen auf die Traktandenliste setzen. In Deutschland ist das Anliegen schon umgesetzt. Wie soll unsere Kirche darauf reagieren? Ein Grundsatzartikel und ein persönliches Statement von Andreas Krebs, Professor für Alt-Katholische und Ökumenische Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Zum Stand der Diskussion

In den westeuropäischen Kirchen der Utrechter Union wird seit einigen Jahren über Ehe und gleichgeschlechtliche Partnerschaften diskutiert. Unstrittig ist dabei deren grundsätzliche Akzeptanz. In den genannten Kirchen werden auch Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gefeiert, zum Teil auf der Grundlage offizieller Liturgien. Offen ist die Diskussion darüber, wie solche Segnungsfeiern theologisch zu bewerten sind und welche Perspektiven sich daraus ergeben: (1) Stehen Partnerschaftssegnung und Ehe der Wertigkeit nach auf einer Stufe? (2) Ist die Partnerschaftssegnung ebenso wie die Ehe ein Sakrament? (3) Soll begrifflich zwischen Partnerschaftssegnung und Ehe unterschieden werden oder sollte man allen Menschen, unabhängig vom jeweiligen Geschlecht, die Ehe ermöglichen? 

Bezüglich Frage (1) scheint es eine breite Übereinstimmung zu geben; kaum jemand möchte sagen, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften weniger wert seien als verschiedengeschlechtliche. Wenn man Frage (2) verneint, würde man die Partnerschaftssegnung nicht als «Sakrament», sondern als «Sakramentalie» bezeichnen, das heisst: als kirchliche Handlung, die Ähnlichkeit mit Sakramenten hat und auf diese hingeordnet ist, aber selbst nicht den Charakter eines «vollen» Sakramentes aufweist. Wie eine internationale Tagung am 6. Oktober 2017 in Bonn gezeigt hat, besteht unter alt-katholischen Fachtheologinnen und -theologen ein Konsens, dass dieser Weg – weil er eben doch auf eine Abwertung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften hinausliefe – nicht gangbar ist. Als umstritten erwies sich lediglich Frage (3): Soll weiterhin grundsätzlich zwischen heterosexueller Ehe und homosexueller Partnerschaft unterschieden werden oder nicht? 

Bischof Harald Rein scheint sich in seinem Hirtenbrief aus dem Jahr 2017 für eine Unterscheidung ausgesprochen zu haben; ganz klar bin ich mir darüber aber nicht, weil er sich im gleichen Text auch gegen «krampfhafte Versuche» wendet, bei der Gestaltung von Segnungsliturgien für gleichgeschlechtliche Paare Parallelen zu heterosexuellen Trauungsfeiern zu vermeiden. Als ähnlich verwirrend empfinde ich die Position der niederländischen Bischöfe: Sie sprechen einerseits auch bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften von Ehen, möchten diese andererseits aber doch von heterosexuellen Ehen unterschieden wissen. Offensichtlich suchen die erwähnten Bischöfe nach einem Mittelweg: Irgendwie soll eine Differenz gewahrt werden – und dann doch auch wieder nicht. Der aus meiner Sicht einleuchtendste Vermittlungsvorschlag wurde von Günter Esser, bis 2015 Professor für Alt-Katholische Theologie an der Universität Bonn, ins Spiel gebracht: Er bezeichnet Ehe und Partnerschaftssegnung als zwei gleichwertige Gestalten eines «Sakraments der gesegneten Liebe».

Meine Position: für eine Öffnung der Ehe

Als ich mich zum ersten Mal öffentlich in die Diskussion einbrachte (bei der deutschen alt-katholischen Bistumssynode 2016), schloss ich mich zunächst dem Vorschlag Günter Essers an – allerdings in etwas modifizierter Form: Mir schien die Bezeichnung «Sakrament des Lebensbundes» als Oberbegriff für (heterosexuelle) Ehe und (homosexuelle) Partnerschaft angemessener zu sein, weil er nicht nur an Gefühle denken lässt und zudem mit «Bund» einen biblischen Begriff aufgreift. Diesen Vorschlag hielt ich nicht nur für kompromissfähig, sondern auch deshalb für interessant, weil er für einen möglichen grundsätzlichen Unterschied zwischen heterosexueller und homosexueller Liebe offen ist. Denn wenn es einen solchen Unterschied tatsächlich gäbe, dann wäre es nicht per se diskriminierend, ihn auch in irgendeiner Weise auszudrücken. Inzwischen bin ich jedoch hiervon abgerückt. Der Hauptgrund dafür ist, dass ich beim besten Willen nicht erkennen kann, woran man solch einen grundsätzlichen Unterschied festmachen sollte.

Versuche, an dieser Stelle mit biologischer Fruchtbarkeit zu argumentieren, haben mich, ehrlich gesagt, noch nie überzeugt. Es gibt heterosexuelle Paare, die keine eigenen Kinder bekommen können oder wollen, und homosexuelle, bei denen Kinder aufwachsen; bei lesbischen Paaren ist auch biologische Mutterschaft möglich. Und nach allem, was wir wissen – inzwischen gibt es dazu aussagekräftige Erfahrungen und grossangelegte Studien –, können sich Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern ebenso gesund entwickeln wie bei verschiedengeschlechtlichen. Die Freuden und Nöte der Elternschaft sind in all diesen Konstellationen vergleichbar.

Ein anderes Argument wirkte zunächst auf mich gewichtiger: Könnten heterosexuelle und homosexuelle Beziehungen vielleicht besondere Eigenheiten haben, die etwas mit Mannsein und Frausein, dem unterschiedlichen Erleben von Körperlichkeit, der Erfahrung von Gleichheit und Verschiedenheit zu tun haben? Dieses Argument habe ich lange hin und her gewendet. Letztlich habe ich aber nicht herausgefunden, worin jene Eigenheiten bestehen könnten. Empirische Studien etwa zu Qualität und Dauer hetero- und homosexueller Beziehungen fördern nichts zutage, woraus man eine wesentliche Verschiedenheit ableiten könnte. Verliebtsein und Liebe, die Sehnsucht nach Symbiose und das Beharren auf Autonomie, die Spannung zwischen Verlässlichkeit und Sich-jeden-Tag-neu-Wiederfinden… – all das prägt gleichgeschlechtliche Partnerschaften ebenso wie verschiedengeschlechtliche. Die Ähnlichkeiten überwiegen wohl auch mit Blick auf Sexualität. Denn auch ein Mensch des gleichen Geschlechts kann in diesen Dingen ganz anders «ticken» als man selbst; den Reiz, die Spannung und die Probleme des Verschiedenseins kennen keineswegs nur heterosexuelle Paare. Schliesslich bin ich auch im Gespräch mit Freundinnen und Freunden, die sich sowohl von Männern als auch Frauen angezogen fühlen – und die mir oft sagten, es sei eben der jeweilige Mensch, in den sie sich verliebten –, einer Grunddifferenz zwischen heterosexuellen und homosexuellen Beziehungen keinen Schritt näher gekommen. Daraus habe ich dann irgendwann den Schluss gezogen, dass es diese angebliche Grunddifferenz offenbar nicht gibt. An einen sachlich ausweisbaren Sinn der Unterscheidung zwischen heterosexueller Ehe und homosexueller Partnerschaft glaube ich deshalb nicht mehr.

Es gibt weitere Gründe, die mich inzwischen für die Öffnung der Ehe eintreten lassen. Einer ist eher pragmatisch: In den Niederlanden, Deutschland und Österreich spricht auch der Staat inzwischen bei heterosexuellen wie homosexuellen Paaren unterschiedslos von Ehe und weite Teile  der Gesellschaft tun das auch in der Schweiz, obwohl hier ein rechtlicher Unterschied noch besteht. Dass es unter diesen Voraussetzungen gelingt, an einer rein binnenkirchlichen Sondersprache festzuhalten, ist unwahrscheinlich. Ein anderer Grund ist prinzipiellerer Natur: Es gibt – natürlich auch in unseren Gemeinden! – Menschen, die sich weder eindeutig als «Mann» noch eindeutig als «Frau» definieren lassen. Sollen wir für sie nun die kirchliche Ehe oder die Partnerschaftssegnung vorsehen? Oder gar ein neues, erst noch zu entwickelndes Ritual? Mir erschiene das absurd. Die schlüssigste Lösung wäre vielmehr, eine Eheliturgie zu haben, die am Geschlecht der beteiligten Personen eben keine prinzipiellen Unterschiede mehr festmacht. Dass man damit denen etwas wegnähme, die schon vorher eine Ehe eingehen konnten, leuchtet mir nicht ein, denn niemand würde in seinen Möglichkeiten eingeschränkt. Auch mit «Gleichmacherei» hätte eine solche Eheöffnung nichts zu tun. Statt das Aufbrechen alter Einschränkungen mit neuen Abgrenzungen zu verbinden, könnte ein einheitlich strukturiertes Ritual, wo immer das erforderlich und angemessen wäre, Varianten ermöglichen, um dem Reichtum menschlichen Lebens und Liebens Raum zu geben. 

Gegenargumente aus der Bibel

Nun sagen Gegner einer Eheöffnung manchmal: Bei aller Liberalität – die man mittrage – könne man doch auch nicht ignorieren, dass die Bibel zumindest nichts Positives über homosexuelle Beziehungen sage. Gewiss, das stimmt. Aber, so meine Gegenfrage, was folgt daraus? Die Bibel sagt auch nichts Positives über Blutwurst und Zinswirtschaft – im Gegenteil, beides lehnt sie mit grosser Schärfe ab. Trotzdem finden die meisten Christinnen und Christen nichts dabei. Warum meinen dann aber einige, Bibelstellen zu Zinsen und Blutgenuss (letzterer wurde nach Apg 15,25 immerhin durch das sogenannte Apostelkonzil untersagt) seien nicht so wichtig, sehr wohl aber jene (wenigen!) anderen, die Homosexualität betreffen? Weil es, so vermute ich, in Wirklichkeit eben gar nicht um Bibelstellen geht, sondern um theologische Vorentscheidungen, die auf einer anderen Ebene liegen.

Richtig ist sicherlich auch, dass in der Bibel die Ehe als eine heterosexuelle Verbindung angesehen wird. Aber auch daraus kann man für die Gegenwart keine direkten Schlüsse ziehen. Denn die Ehe hat man zu unterschiedlichen Zeiten sehr unterschiedlich verstanden. Ein ganz wichtiger Wandel lässt sich der Bibel selbst entnehmen: In den Texten des Alten Testaments sind polygyne Ehen (ein Mann – mehrere Frauen) etwas völlig Selbstverständliches; nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sollte man vorsichtig damit sein, die alttestamentlichen Schöpfungsberichte zur «Begründung» unserer heutigen Ehevorstellungen heranzuziehen. Wie und wa­rum sich dann in neutestamentlicher Zeit auf einmal die Monogamie etabliert hatte, weiss niemand ganz genau; manche vermuten wirtschaftliche Gründe, andere den Einfluss der hellenistischen Kultur. Die Liebesehe, wie wir sie heute kennen, kam überhaupt erst mit der Moderne auf. In den Jahrhunderten zuvor ging es bei der Ehe nicht primär um Gefühle, sondern um politische (beim Adel) und wirtschaftliche Fragen (bei Bürgern, Handwerkern und Bauern). Und noch in der Generation meiner Grosseltern war es üblich, die Ehe vor allem «aufgabenorientiert» aufzufassen: Man wollte gemeinsam den Lebensunterhalt bestreiten, etwas aufbauen, Kinder grossziehen. Erst in jüngster Zeit hat sich allgemein ein «beziehungsorientiertes» Eheverständnis durchgesetzt, das die Partnerschaft als solche in den Mittelpunkt stellt. Dieser Wandel ist eine wichtige Voraussetzung unserer aktuellen Diskussion. Denn wenn es vor allem die Beziehung selbst ist, welche die Ehe ausmacht – die «gegenseitige Liebe», von der auch der orthodox–alt-katholische Dialogtext «Koinonia» spricht (V/8.1) –, dann gibt es keinen Grund mehr, nicht-heterosexuelle Partnerschaften von der Ehe auszuschliessen.

Und die Tradition?

Und was ist mit der Tradition? Schon dem altkirchlichen Theologen Vinzenz von Lérins, auf den sich die alt-katholische Theologie gerne beruft, war klar, dass die Tradition nicht statisch, sondern lebendig ist und sich in verschiedenen Zeiten und Kontexten verändert und weiterentwickelt. Die bereits erwähnten Beispiele von Blutgenuss und Zinswirtschaft sind auch hier erhellend. Beides war nämlich noch zur Zeit der «Alten Kirche» strengstens untersagt. Dennoch fiel in der Westkirche das Verbot von Blutgenuss – nachdem es sich als kaum mehr durchsetzbar erwiesen hatte – im 12. Jahrhundert. Zur faktischen Aufhebung des Zinsverbots, das schon vorher phantasiereich umgangen wurde, kam es im 16. Jahrhundert. Umgekehrt konnten im Lauf der Zeit auch Praktiken tabuisiert werden, die vorher als erlaubt galten. Die Bibel kritisiert Sklaverei bekanntlich nicht und sie war auch im Christentum nicht grundsätzlich verboten. Erst seit Beginn der Neuzeit wuchs in den Kirchen eine ablehnende Haltung. Freilich dauerte es bis ins
19. Jahrhundert, bis daraus auch ein allgemeinchristlicher Konsens wurde.

Diese Beispiele zeigen, wie sehr sich die christliche Tradition gerade hinsichtlich ethischer Fragen immer wieder gewandelt hat. Dabei wird man insbesondere die Ächtung der Sklaverei und die «Entdeckung» der Menschenrechte auch durch die Kirchen kaum als blosse Nachgiebigkeit gegenüber dem Zeitgeist deuten können. Heute wagt es kaum noch jemand, die Unterordnung der Frau unter den Mann zu fordern, obgleich auch dies sich bei einem statischen Traditionsverständnis leicht begründen liesse. Dass die Ablehnung von Homosexualität in der Sache ebenso obsolet ist, scheint mir auf der Hand zu liegen. Wenn man aber die Liebe zweier Menschen gleichen Geschlechtes anerkennt und ihre Verbindung sogar in einer kirchlichen Feier segnet, ist nicht mehr einzusehen, weshalb ihre Liebe dann nicht ebenso ein Sakrament sein kann – ein wirksames Zeichen der Zuwendung Gottes – wie die Liebe eines verschiedengeschlechtlichen Paares.

Das ökumenische Gespräch

Viele bewegt in diesem Zusammenhang auch die Sorge um den gemeinsamen Weg der Alt-Katholischen Kirche mit wichtigen ökumenischen Partnern. Tatsächlich muss man an dieser Stelle realistisch sein: Eine alt-katholische Eheöffnung würde die Differenzen mit der Orthodoxie und auch mit der Römisch-Katholischen Kirche vergrössern. Darüber sollte man nicht leichtfertig hinweggehen. Andererseits kann es in der Ökumene nicht darum gehen, um jeden Preis miteinander übereinzustimmen. Es gibt auch eine Würde der Differenz. Das ökumenische Ziel ist nicht Uniformität, sondern Einheit in Verschiedenheit. Wenn nun als Ergebnis der aktuellen Meinungsfindung eine weitere Verschiedenheit hinzukommen sollte, müssten wir eben – wie bei der Frauenordination – in künftigen Gesprächen damit umgehen. 

Die Gefahr einer ökumenischen Isolation sehe ich dabei nicht. In vielen Evangelischen Kirchen gibt es ähnliche Entwicklungen wie bei uns. In der Orthodoxie und in der Römisch-Katholischen Kirche wird das Thema zumindest diskutiert und auch hier wünschen nicht wenige einen offeneren Kurs. Innerhalb der Anglikanischen Gemeinschaft haben bereits wichtige Schwesterkirchen – die Episkopalkirche der USA und die Episkopalkirche Schottlands – den Schritt zur Eheöffnung vollzogen. Und gegenwärtig sieht es so aus, als würde in der Anglikanischen Gemeinschaft insgesamt die Bereitschaft doch ein wenig zunehmen, die unterschiedlichen Wege ihrer Mitgliedskirchen zu akzeptieren. Könnte es nicht am Ende sogar eine ökumenische Bereicherung sein, wenn die Alt-Katholische Kirche zeigen würde: Katholischsein lässt sich sehr wohl mit Weiterentwicklungen der Tradition – wie Frauenordination und Eheöffnung – verbinden?

Zum Weiterlesen: 

Andreas Krebs, Matthias Ring (Hg.): Mit dem Segen der Kirche. Die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in der theologischen Diskussion [Schriftenreihe Geschichte und Theologie des Alt-Katholizismus, Reihe B: Darstellungen, Bd. 8], Bonn: Alt-Katholischer Bistumsverlag 2018. ISBN: 978-3-934610-94-1. Mit Beiträgen von Lothar Haag, Andreas Krebs, Charlotte Methuen, Mattijs Ploeger, Matthias Ring, Klaus Rohmann, Jochen Sautermeister, Peter-Ben Smit und Urs von Arx.

Alt-Katholische und Ökumenische Theologie 1 (2016). Bonn: Alt-Katholischer Bistumsverlag 2016. ISBN: 978-3-934610-62-0. Web: http://www.ak-seminar.de/alt-katholische-und-oekumenische-theologie-1-2016. Schwerpunktheft mit Beiträgen zum offiziellen Segnungsritus der deutschen alt-katholischen Kirche.

Prof. Dr. Andreas Krebs