Haben wir wirklich etwas zu feiern?

Zahlreiche Jubiläen stehen in unserer Kirche in den kommenden Jahren an. Doch haben wir wirklich Grund zum Feiern? Sollen die Jubiläen für die Zukunft unserer KIrche einen Nutzen haben, dann dürfen sie nicht nur historisch abgefeiert werden: Vergangenes hinterfragen und neues wagen.

Zusammenlegen, zusammenarbeiten, Kirche aufbauen: Die Zukunft unserer Kirche will gestaltet sein. Foto: lukath.ch

Bald geht’s los mit den Feierlichkeiten! Unsere Kirche darf in den nächsten Jahren, vor allem ab 2022, einige Jubiläen begehen. Eigentlich beginnt es aber schon in einigen Wochen mit unserer 150. Nationalsynodesession. Dann jährt sich 2020 das berüchtigte 1. Vatikanische Konzil zum 150. Mal. 

Bekanntlich war dies der Hauptgrund für die Gründung der Christkatholischen Kirche in der Schweiz und der altkatholischen Bistümer in Deutschland und Österreich. Einige Katholiken wollten die alte Kirche erhalten und die zwei neuen, bindenden Glaubenswahrheiten – nämlich, dass dem Papst als Oberhaupt der Kirche die Alleinherrschaft über die ganze Kirche zukommt und dass die Entscheidungen des Papstes unfehlbar seien, wenn er als oberster Hirte und Lehrer in Fragen des Glaubens und der Sitte spricht – nicht annehmen. Zwischen 1870 und 1872 wurden schliesslich viele Priester exkommuniziert, welche die Papstdogmen ablehnten. 2022 sind es 150 Jahre seit dem sogenannten «Oltner Tag», an welchem eine Zusammenkunft der «Vereine freisinniger Katholiken» stattfand, was schliesslich zu Gründungen von christkatholischen Kirchgemeinden führte. 2024 feiern wir das 150-jährige Bestehen unserer Fakultät in Bern, 2025 können wir auf 150 Jahre Kirchenverfassung und Synodestruktur zurückblicken und 2026 werden es 150 Jahre her sein, seit der in Luzern lehrende Theologieprofessor Eduard Herzog (1841–1924) zu unserem ersten Bischof geweiht wurde.

Ist uns nach Feiern zumute?

Doch haben wir wirklich etwas zu feiern? Ist uns nach Feiern zumute? Die Diskussionen um die Gestaltung der Zukunft unserer Kirche beschäftigen immer mehr Gemeindeglieder. Dies ist gut so. Dabei kommen aber auch immer mehr und teilweise gegensätzliche Standpunkte an die Oberfläche. Auch dies ist gut so, wenigstens im Moment noch.

Drei Tendenzen

In unserer Kirche spüre ich drei Tendenzen. Zum Einen gibt es Behördenmitglieder auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene, welche unsere Kirche nur noch zu Ende verwalten wollen. Da spüre ich die Frage «Wie geben wir das noch vorhandene Geld möglichst sinnvoll aus?» im Vordergrund stehen. 

Zum anderen kenne ich viele Gemeindeglieder, welche auf eine prosperierende Zukunft und ein Wachstum der Christkatholischen Kirche hinwirken, indem sie sich mit all ihren Fähigkeiten und Kräften für eine lebendige Gemeinschaft einsetzen und im Privaten auch «missionieren». Und dann gibt es schliesslich auch jene, welche auf eine kirchliche Vereinigung, eben die eine heilige, Katholische und Apostolische Kirche hoffen. Da steht das Überleben unserer Christkatholischen Kirche nicht im Vordergrund, sondern eher die Vision eines ökumenischen Modells der Christenheit.

Wiedervereinigung?!

Die ersten zwei Szenarien sind mittel- bis langfristige Optionen, welche beide durch uns alle beeinflussbar sind. Das dritte Szenario ist aus meiner Sicht das erstrebenswerteste, aber vermutlich eher ein sehr langfristiges Ziel, welches uns noch einige Generationen lang beschäftigen wird und
im Idealfall mit der zweitgenannten Variante kombiniert werden kann. 

Wir haben allen Grund, mit Stolz auf die Anfänge der freisinnigen, christkatholischen Bewegung und die Entstehung unseres Bistums zurückzublicken und uns zu fragen und miteinander zu diskutieren, wie wir unsere Kirche in die Zukunft führen wollen. Deshalb sollen sich die Jubiläumsanlässe nicht in geschichtlichen Rückblicken und im Festhalten an Positionen der Vergangenheit erschöpfen, sondern vor allem auch Anregungen zum Umgang mit aktuellen Problemen und zur Gestaltung der Zukunft geben. 

Drei Fragen zur Zukunft

Im Hinblick auf die verschiedenen Festivitäten der nächsten zehn Jahre hat unser Bischof Harald Rein drei Fragen formuliert, welche er in den nächsten zwei Jahren in den Gemeinden diskutieren möchte, zwei reelle Herausforderungen und eine mentale Grundsatzfrage. 

  1. Wie gehen wir mit der gegenwärtigen Bedürfnisreduktion an einer Eucharistie und dem sonntäglichen Gottesdienst um?
  2. Was können wir tun, um genügend Christkatholikinnen/Christkatholiken dazu zu motivieren, in unserem synodalen Milizsystem die verschiedenen Ämter zu übernehmen und behördlich tätig zu sein? 
  3. Was ist unsere Identität? Wie sehen wir unsere Zukunft und wie stehen wir zu ihr? Was sind wir und wollen wir werden? Dazu hat Bischof Rein auch in seinem diesjährigen Hirtenbrief noch vertiefte Fragen aufgeworfen und Lösungsansätze «in die Runde geworfen».

Doch wie sieht meine Vision der Kirche, unserer Kirche aus? Ich hoffe langfristig auf die eine, starke, lebendige christliche Kirchengemeinschaft, in welche sich unsere christkatholische, altkatholische Kirchengemeinschaft gestärkt einbringen kann. 

Mittelfristig sehe ich für unser Bistum eine vermehrte Zusammenarbeit zwischen Kirchgemeinden und Landeskirchen, welche zum Beispiel in vier bis sechs Regio-Gemeinden/Gemeinschaften umgesetzt werden könnte. Dabei lass ich offen, wie stark die geltenden Verfassungen, Gesetze und
Reglemente verändert werden müssen. Ein erster Schritt ohne viele rechtliche Änderungen wäre anzustreben. 

Zentralisierung wohl nötig

Obwohl ich generell eher für Föderalismus einstehe, sehe ich, dass es Not tut einige Aufgaben stärker zu zentralisieren beziehungsweise zentral zu steuern. Im Vordergrund stehen dabei die Finanzen und die Geistlichen. Bischof Rein hat im Hirtenbrief ähnliche Andeutungen gemacht. Dies sehe ich auch so. Was hingegen nicht zentralisiert werden darf und kann, ist das kirchliche Leben. 

Hier sehe ich eine nötige Tendenz von einer Betreuungskirche zu einer Beteiligungskirche, in welcher Behörden und Geistliche eher als Coachs, Animatoren oder Moderatoren tätig sind. Dieses Modell, welches sich an den Anfängen der Christenheit anlehnt (eine Familie – eine Gemeinde), ist kurzfristig eher risikobehaftet, indem sich vielleicht viele passive Gemeindeglieder eher abwenden. Aber es wäre langfristig vielleicht der einzige Weg, um wirklich Kirche zu sein, zu leben und nicht mit Vereinen verwechselt zu werden.

Mir ist bewusst, dass meine Gedanken noch etliche Widersprüche beinhalten. Sie gilt es zu diskutieren und wenn möglich aufzulösen.

Ich freu mich darauf – und übrigens auch auf die zahlreichen Festivitäten.

Hannes Felchlin