Nicht nur zur Weihnachtszeit

Die Geschichte ist wahr. Dienstag, den 30. Oktober. Ich sitze im Zug von meinem Wohnort nach Basel, mir gegenüber ein Vater mit seinem etwa sechs Jahre alten Buben. Papa liest ihm aus einem Kinderbuch vor, von Tieren aus dem Wald mit ihren grossen und kleinen Sorgen. Der Kleine hört gespannt zu. In Basel angekommen, fragt er unvermittelt: «Papi, wann kaufen wir den Weihnachtsbaum?» Etwas irritiert antwortet dieser: «Oh, das dauert noch lange, sicher sechs Wochen.» Mehr habe ich dann nicht mehr mitbekommen im Gedränge beim Aussteigen. Gewundert hat mich die Frage des Jungen nicht, wo doch schon seit einer Woche «Grättimanne» bei Migros zum Verkauf angeboten werden und die Warenhäuser Baumschmuck, Lichterketten und Spielzeug feilbieten.

Also, gehen wir doch gleich den Baum kaufen und fangen wir an, ab dem 30. Oktober Weihnachten zu feiern. Wie das geht, schildert Heinrich Böll in seiner Erzählung «Nicht nur zur Weihnachtszeit» so eindrücklich wie dramatisch.

An Weihnachten wird ja eigentlich die Geburt Christi gefeiert. Ich glaube, es käme niemandem in den Sinn, weder seinen eigenen, noch sonst einen Geburtstag über acht Wochen zu feiern oder liege ich da völlig falsch?

Alois Schmelzer

Heinrich Böll, Nicht nur zur Weihnachtszeit, dtv, unter anderem bei Ex Libris, auch als DVD erhältlich.