Archiv «zwischen Tür und Angel»

«Stilleben»: ziemlich improvisierter Arbeitsplatz.

2018 hat der Autor das Archiv der christkatholischen Kirchgemeinde Biel erschlossen. Die entsprechende Aufarbeitung war durch eine Revision des kantonalen Statthalteramtes aus dem Jahre 2016 veranlasst worden. Erfreulich ist die lückenlose Überlieferung aller historischen Protokolle durch den ganzen Lebenszyklus. Der Kirchgemeinderat hat entschieden, die historischen Akten weiterhin lokal im Kirchgemeindehaus aufzubewahren.

Am Anfang stand eine Revision der Behörden

2016 hat das Statthalteramt des Bezirks Biel eine stardardmässige Gemeinderevision gemacht, wie sie bei öffentlich-rechtlichen Kirchgemeinden üblich ist, und einen entsprechenden Bericht abgefasst. Darin wurde u. a.auch festgehalten, dass betr. Archivierung ein Ordnungssystem bzw. eine Klassifikation zur Anwendung kommen soll (mit Findmittel) und dass die historisch wertvollen Akten entweder in feuerfesten Schränken gelagert und aufbewahrt werden müssen – sofern sich die Kirchgemeinde für eine eigene lokale Archivlösung entscheidet – oder eine Ablieferung ans Stadtarchiv erfolgen soll. 

Es war somit klar, dass der Altbestand eine professionelle Erschliessung mit Bewertung und Aussonderung erfordert. Der Kirchgemeinderat genehmigte im Oktober 2017 das entsprechende Budget. 

Schwierige Schätzung des Aufwands

Wie üblich geht der Archivar bei der Offerte von einem geschätzten Mengengerüst aus, das bei der ersten Sichtung erhoben worden ist – im Falle von Biel waren es ca. 10-15 Laufmeter Ausgangsmaterial (2 Metallschränke plus 2 alte Aktenschränke). 

Während des Projekts stellte sich dann wie so oft heraus, dass noch weitere Akten zum Vorschein kamen, was natürlich den Aufwand und die Kosten erhöhte. So wurden in einem sog. Archivraum, der 1936 in der Kirche eingerichtet worden war, umfangreiche gebundene Zeitschriftenbestände u. a. m. entdeckt; zu diesem Archiv-raum gibt es eine Korrespondenz mit dem Statthalteramt (1936), die kurioserweise dieselbe Anforderung moniert wie der aktuelle Revisionsbericht – die Akten müssen in feuerfesten Schränken aufbewahrt werden! Das Beispiel zeigt, wie langsam die bernischen Bürokratiemühlen mahlen. 

Bevor nun der Kirchgemeinderat zu entscheiden hatte, ob der Altbestand in Eigenregie aufbewahrt wird oder ans Stadtarchiv abgeliefert werden soll, wurden diverse Abklärungen durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass es nicht nötig ist, feuerfeste Schränke zu beschaffen, weil der angebotene Level der Bestandeserhaltung im Stadtarchiv auch nicht besser ist. Folglich war es einfach zu entscheiden, dass das Archiv weiterhin im Untergeschoss des Kirchgemeindehauses an der General Dufourstr. 105 aufbewahrt wird.

Der Raum ist eine Art «Basement floor» mit kleinem Oberlicht. Während des Projekts diente er als improvisierter Arbeitsraum (vgl. Bild links). Als Archivraum ist er durchaus geeignet, bewegen sich doch die Raumtemperatur und Feuchtigkeit innerhalb der zulässigen Toleranzgrenzen. Die zwei Metallschränke, die bisher im Gang draussen standen, dienen nun als Endarchiv für die historischen acht Laufmeter Akten mit etwas Raum für den Zuwachs.

Schliesslich bleibt noch zu erwähnen, dass sehr viel redundantes Material und die meisten Periodika-Sammlungen (sie sind in Bern im Zentralarchiv archiviert) kassiert wurden (über zwanzig 60-l-Säcke voll Papier wurden entsorgt); d. h. die Faustregel, dass ca. ein Drittel der Ausgangsmenge archivwürdig ist, hat sich bestätigt.

Basisakten vollständig erhalten geblieben

Es ist sehr erfreulich, dass Biel im Gegensatz zu andern christkatholischen Kirchgemeinden in der Schweiz eine lückenlose Überlieferung der Protokolle des Kirchgemeinderats von 1873 bis in die Gegenwart ausweisen kann. Vorhanden sind auch die Akten der Kirchengutsverwaltung sowie die Protokolle der Katholischen Pfarrgenossenschaft Biel 1866-1873, die erste katholische Gemeinde im reformierten Kanton Bern. Erhalten sind auch die Pfarrbücher (Register) sowie ein Mitgliederbuch und Protokolle des Vereins freisinniger Katholiken 1895/ 1902-1927.

Biel weist neben der Zweisprachigkeit (rund 15 % der Gemeindemitglieder sind französischer Muttersprache) eine spezielle Entwicklung der christkatholischen Kirchgemeinde auf. Nach der Gründung des Bundesstaates 1848 konnte aufgrund der garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit ein katholischer Gottesdienst im reformierten Kanton Bern nicht mehr verboten werden. Ein grossrätliches Dekret von 1865 verlieh den Katholiken von Biel den Status einer «Pfarrgenossenschaft». Im Jahre 1873 anerkannte der Kanton Bern diese Pfarrgenossenschaft als vollwertige öffentlich-rechtliche Kirchgemeinde. Es war nur logisch, dass die mehrheitlich freisinnige (katholische) Kirchgemeinde von Biel die päpstlichen Lehrsätze des 1. Vatikanischen Konzils von 1870 (Unfehlbarkeit) ablehnte. So wurde in der katholischen Kirche Biels (Santa Maria) ab 1873 ausschliesslich christkatholischer Gottesdienst gefeiert. 1904 durfte die Kirchgemeinde dann ihre neue eigene Kirche (Epiphanie) einweihen, nachdem sie die Marienkirche an die neue römisch-katholische Gemeinde abgetreten hatte (1901). Der Kirchenbau ist ausführlich in den Akten dokumentiert. Dazu existiert auch eine
interessante Korrespondenz zwischen Bischof Herzog mit dem damaligen Kirchgemeindepräsident Josef Staffelbach (1892-1908). Es gab nämlich zwischen 1874-1901 langjährige Verhandlungen, Verträge, Berichte und eine Übereinkunft der röm.-kath. Kirchgemeinde Biel mit der Einwohnergemeinde Biel betr. Marienkirche und dem Übergang/Abtretungsverträge bzw. Gründung einer röm.-kath. Kirchgemeinde Biel.

Dank der Jubiläumsschrift von Rolf Reimann aus dem Jahre 2004 (100 Jahre Epiphaniekirche Biel) ist auch die Geschichte der Kirchgemeinde gebührend dargestellt worden. Ein entsprechendes Dossier wurde auch in der Ausgabe 9/2004 von «Présence» in französischer Sprache verfasst. Sämt­liche Kirchgemeindepräsidenten und Gemeindepfarrer sind hier von 1873-2004 dokumentiert.

Ausblick

Das Kirchgemeindearchiv Biel ist nun vollständig verzeichnet und für die historische Forschung über ein Findmittel (Excel-Verzeichnis) zugänglich. Zudem ist der Bestand bereits im Online-Verzeichnis schweizerischer Kirchenarchive eingetragen (http://www.kirchen.ch/archive/). Als weitere Option steht eine Digitalisierung von Altakten für die historische Forschung im Raum gem. dem Konzept «Open Data», wo unsere Kirche mit dem Beispiel der Kirchgemeinden Aarau und Basel-Stadt vorangegangen ist (Protokolle aus der Zeit des Kulturkampfes). 

Jürg Hagmann