Handgreiflich heilig

Tiberio Ranieri del Diotallevi (1470-1524): Madonna dell Soccorso (1510) ©Museo Civico, Montefalco

Fast alltäglich: Ein Kind nervt.
Selbst von der strafenden Rute lässt es sich nicht einschüchtern.
Und nicht genug: Die Mutter verliert die Nerven.
Sie hält es nicht mehr aus.
Ausser sich, nicht mehr sie selbst, ruft sie aus:
«Dich soll der Teufel holen!»
Wer hätte das nicht schon einmal im Wutbrausen gedacht?
Über einen anderen Menschen:
«Soll dich doch der Teufel holen!»
Weg mit Dir!
Und die Legende, die besonders in Italien erzählt wird, weiss,
dass sich der Teufel eben nicht zweimal bitten lässt.
Auf unserem Bild ist er gleich
– unübersehbar fledermausflügelig – zur Hand.
Hat das Kind schon am Kragen.
Die Mutter sinkt mit aufgelöstem Haar auf die Knie.
Ruft die Gottesmutter um Hilfe an.
Die Folgen des Zorns sollen nicht eintreten.
Der Ausbruch der eigenen Wut braucht einen Damm.
Und die Legende weiss auch:
Die Madonna greift ein. Sie wird richtig handgreiflich.
Doch gelassen.
Mit der Rute schlägt sie nach dem Teufel, der das Kind schon packt.
Keine vornehm-fromme Zurückhaltung.
Es braucht auch den konkreten Widerstand gegen das Böse.
Widerstreit mit den Feinden des Lebens.
Lebenspraktisch ist diese Maria.
Nicht das Kind schlagen.
Sondern die Wurzel der Wut vertreiben.
Handfest und besonnen dem Bösen entgegentreten.

Handfest wie Jesus selbst, der den Tempel vom Geschacher befreit.

Pfarrer Dr. Michael Bangert