Keine Zeit für Helden

Martin Schongauer (1450–1491): Der Auferstandene begegnet dem Apostel Thomas. Hochaltar der Dominikaner-Kirche Colmar, Musée d’Unterlinden.

Kein Heldentum.
Die bittere Niederlage
am Kreuz des Hasses
zeigt noch ihre Wunden.

Da glänzt kein Harnisch.
Ins rote Tuch der Liebe
zart fallend gehüllt.
Ein Sieger der Milde.

Die frischen Wunden
will Thomas spüren.
Kein second-hand-Glaube.
Kein abgestanden-frommer Brei.

In den Zeichen des Leids
will er die Wirklichkeit spüren.
Will das Leben ertasten.
Dem Freunde begegnen.

Vertröstende Pflaster heilen
die Schnitte von Leib und Seele nicht.
Thomas ist mutig, die Wunden zu fühlen.
Christus bereit, sich berühren zu lassen. 

Er ist das Vorbild.
Wir werden einander wirklich,
wenn wir das Verletzliche, den Schmerz,
die Wunden zärtlich ertasten und schauen.

Eine fragile Frau, ein Jüdin,
Simone Weil, fasst es in Worte:
«Der Held trägt eine Rüstung.
Der Heilige geht nackt.»

Ein Held ist unberührbar.
Bleibt erhaben, tabu.
Die Rüstung kalt blinkend.
Vor Bedeutung unantastbar.

Doch wir sind nackt,
weil wir dem Heiligen folgen.
Heil sind wir,
weil wir dem Verwundeten trauen.

Da wir ihm trauen,
braust der pfingstliche Geist.
Veränderte Welt.
Freiheit, die frei macht.

Text und Foto: Pfarrer Dr. Michael Bangert