Mut zur Klage

«Wie lange noch, Herr, vergisst du mich ganz? Wie lange noch verbirgst du dein Gesicht vor mir?» (Psalm 13,2)

Der Psalmbeter befindet sich in grosser Not. Er weiss nicht mehr ein noch aus. Tagein, tagaus bedrängen ihn die Sorgen um seinen Zustand und wie es denn nun weitergehen soll. Sogar sein Augenlicht ist wegen des grossen Kummers ermattet. Alle scheinen ihn verlassen und im Stich gelassen zu haben. Ja, selbst von Gott fühlt er sich verlassen und vergessen. Er steht gleichsam am Abgrund, zwischen Leben und Tod. 

In dieser Lebenslage mobilisiert er alle Kräfte, die ihm noch bleiben und findet den Mut sich dennoch an Gott zu wenden, von dem er sich verlassen fühlt, wenn auch klagend und bittend. Gott kann damit umgehen. Das Vertrauen des Psalmbeters, das trotz allem in seiner Klage und seinen Bitten zum Ausdruck kommt, wird nicht enttäuscht. Gott erhört sein Gebet und wendet seine Not, so dass der Psalm zum Schluss in ein Danklied übergeht. 

Vielleicht haben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in Ihrem Leben auch schon einmal eine Situation grosser Not erlebt, wo Sie aufgrund einer schweren Krankheit oder eines schlimmen Verlustes oder Erlebnisses nicht mehr weiterwussten und sich selbst von Gott verlassen fühlten. Der Psalm will uns Mut machen, uns auch dann an Gott zu wenden – und sei es bloss mit Worten der Klage und Bitten. Gott kann auch damit umgehen und wird unser Vertrauen nicht enttäuschen. Vielleicht nimmt er uns nicht die Not weg, aber wir dürfen doch zumindest erfahren, wie unsere Seele mitten im Sturm des Lebens einen Ort der Ruhe, des Friedens und der Geborgenheit finden darf. 

Priesterin Sarah Böhm-Aebersold