Kleine biblische Zoologie: Folge XIV

Der umsorgende Adler

In den deutschen Bibelübersetzungen wird von den wildlebenden «Tieren des Himmels» der Adler am häufigsten genannt. In der hebräischen Bibel steht dort das Wort «Nescher». Dies bedeutet wahrscheinlich Gänsegeier. Der sehr friedliche Gänsegeier war in der orientalischen Welt geschätzt. In der ersten griechischen Übersetzung, der Septuaginta, hingegen wurde konsequent der «Adler» verwendet. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Griechen den aggressiven Adler bewunderten, wogegen die Geier von ihnen verachtet wurden. Wie dem auch sei, auch der Adler ist ein symbolträchtiges Wesen. So könnte der hoch am Himmel schwebende Adler dem Menschen entsprechen, der die göttlichen Wahrheiten verstehen kann und dadurch weise wird.

Adler mit Jungen auf den Flügeln. Zeichnung: Sophie Becker, Berlin


Interessant ist allerdings der Hinweis in 2.Mose 19,4 und 5.Moses 32,19, wonach Adler ihre Jungen auf den Flügeln tragen sollen. Wie verhält es sich mit dem «auf Adlerflügeln getragen»? Damit hatten die Vogelforscher ihre Mühe. Sowas hatte man schliesslich noch nie gesehen. 1976 meldete der Hobby-Ornithologe Willi Dorsch aus Mülheim (Ruhr) eine seltsame Beobachtung. Ein junger Turmfalke schien recht schwächlich zu sein. Die Vogelmutter versuchte, ihn mit Rufen zum ersten Flug zu motivieren. Beim ersten Start trudelte er sehr bald, fing sich wieder und rauschte dann in einer Art Notlandung voll in die Zweige eines Baumes hinein. Beim zweiten Start, diesmal vom Ast, torkelte das Jungtier wieder. In diesem Augenblick schoss die Falkenmutter herbei, breitet ihre Flügel weit aus, glitt unter das Kind, so dass es auf ihrem Rücken wie auf einem Flugzeugträger landen konnte, zog mit der Last wieder elegant in Richtung auf den zweiten Baum und gab zuletzt noch einen kräftigen Schub nach vorn, so dass ihr Kind gerade den untersten Ast erreichen und sich dort festkrallen konnte. Dasselbe Phänomen wurde mittlerweile auch beim Steinadler entdeckt. Dieser kommt auch in Israel vor.


Was lange Zeit als Märchen abgetan wurde, hat sich jedenfalls bestätigt.


Jürg Meier