Eucharistiefeier in medialen Räumen

Gedanken zum Hohen Donnerstag in besonderen Zeiten

Leonardo da Vinci: Letztes Abendmahl.

Kontakt- und Veranstaltungsverbot sind die Gebote der Stunde. Die klassischen Gemeindegottesdienste konnten besonders im Frühling 2020 nur beschränkt oder gar nicht gefeiert werden. Die feiernde Gemeinde wurde von einem Virus aus ihren gewohnten Traditionen geworfen, ganz besonders, was die Feier des Abendmahls angeht, an dessen Einsetzung sich die Kirche am Hohen Donnerstag erinnert. Es folgte ein starker Ausbau medialer Angebote seitens der Kirchen. Not macht erfinderisch und man fand vielerorts Notlösungen. Bergen diese aber veilleicht auch ein Potenzial, das die Kirche künftig ausschöpfen sollte?

Damit die Menschen trotz Veranstaltungsverbot und Personenzahlbeschränkung als Gemeinde lebendig bleiben, filmen Kirchgemeinden Eucharistiefeiern oder andere Gottesdienste und stellen diese ins Internet. Andere gestalten Gottesdienste und Feiern via Videokonferenz. Zuletzt finden unter Einhaltung besonderer Vorschriften auch nach wie vor Eucharistiefeiern in Kirchen statt. An diesem letzten Punkt beginnen die Überlegungen, denn vorab ist zu klären, was denn digitalisiert werden soll, wenn ein Gottesdienst wie eine Eucharistiefeier in den medialen Raum übertragen und zu den Menschen gebracht wird.

Die klassische Eucharistiefeier

Eine Eucharistiefeier erfolgt in der Regel in einem besonders dafür hergerichteten Raum, einer Kirche oder einer Kapelle. Der Raum prägt die Feier mit und stiftet für langjährige Gemeindeglieder Identität und sorgt für Stimmung. Zum Raum mit seiner einzigartigen Akustik gehört vor allem die Ausstattung mit Kunst und Orgeln. Architektur, Bilder, Kerzen oder Statuen sprechen eine Sprache für sich. Es wird gebetet, es wird aus der Bibel vorgelesen und es gibt eine Predigt. Manchmal wird Weihrauch verbrannt. Gemeinschaftlicher Gesang gehört für viele Menschen ganz zentral zum Feiern eines Gottesdienstes: Zusammen zu singen, in Harmonie, einstimmig, mehrstimmig oder im Wechsel, erzeugt ein einzigartiges Gemeinschaftsgefühl und ist gleichzeitig in Gemeinschaft geteilter Ausdruck des Glaubens. Ganz zentral ist in der katholischen Tradition schliesslich das wöchentliche gemeinsame Abendmahl. Die Gemeinschaft vor Ort teilt Brot und Wein und feiert Gemeinschaft mit Gott und den Menschen. Dies geschieht im Bewusstsein, dass immer wieder an vielen Orten in vielen Kirchen etwa zur selben Zeit andere Menschen das gleiche tun. Menschen kommen auch zum Gottesdienst, einfach um anderen Menschen zu begegnen und sich allenfalls davor oder danach über Alltägliches auszutauschen. Eine klassische Eucharistiefeier spricht die Menschen so gesehen auf vielen Ebenen an: emotional, intellektuell, spirituell, musikalisch, kulinarisch, durch Interaktion und Aktivität auch körperlich, sozial und in allen Sinnen. Was passiert nun, wenn dies alles in einen medialen Raum übertragen wird?

Eucharistie im medialen Raum

Sobald ein Gottesdienst in den medialen Raum verlegt wird, sind die meisten direkten haptischen, geschmacklichen und olfaktorischen Erlebnisse für diejenigen, die medial mitfeiern, nicht mehr möglich. Sie können höchstens so kompensiert werden, indem zum Beispiel vor dem Bildschirm Weihrauch verbrannt oder Brot und Wein gegessen wird. Gleichzeitig können Kunst und Musik, also Stimmungen zum Beispiel eines Kirchenraums, gerade auch medial in ein gutes Licht gerückt werden. Die technische Qualität fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob eine Pfarrerin eine einfache Videoaufnahme mit dem Smartphone macht und ins Netz stellt oder ob eine Kirchgemeinde ein professionelles Filmteam engagiert. Die Medien bieten in Bild und Ton auch Gestaltungsmöglichkeiten, die in einem klassischen Gottesdienst-Setting fehlen und die Verkündigung oder die Andacht insgesamt bereichern können. Es können zum Beispiel gezielt Bilder eingeblendet werden, welche die Feier unterstützen. Ein gutes mediales Angebot für sich spricht letztlich aber auch Menschen an, die medienaffin sind oder sich eher in Social Media bewegen, als in einer Stadtkirche.

Vorab sind hier zwei wesentliche Formen von Gottesdiensten im medialen Raum zu unterscheiden. Einerseits gibt es die Aufzeichnung von Gottesdiensten oder Predigten, wie man sie in der Schweiz beispielsweise vom «Schweizer Radio und Fernsehen» kennt. Andererseits ist es heute möglich via Videokonferenz Gottesdienste zu gestalten.

Leonardo da Vincis Letztes Abendmahl in Zeiten von Zoom.

Eine Aufzeichnung ist in der Regel und vereinfacht gesagt eine simple Abbildung des Geschehens, in diesem Fall eines Gottesdienstes. Aufzeichungen bieten zunächst sehr beschränkt Möglichkeit zur direkten Interaktion. Ein Amen wird höchstens im Stillen oder in der Gruppe vor dem Bildschirm gesprochen. Ähnlich ist es beim Singen oder den Fürbitten und Gebeten. Die direkte Gemeinschaft von Feiernden funktioniert zum Teil dann, wenn eine Gruppe zusammen die Aufzeichnung schaut. Man kann auch keine sozialen Kontakte pflegen. Dafür ist es möglich, krank im Bett, trotz eines Veranstaltungsverbotes oder aktuell in Quarantäne oder Isolation an dem Gottesdienst, wenn auch nur medial, so doch teilzunehmen. Man bleibt auch ungesehen, muss sich nicht herrichten. Ausserdem kann man die Aufzeichnung irgendwann, irgendwo und so oft wie gewollt ansehen. Man kann zurückspulen und vorspulen, ausschalten.

Ein Gottesdienst via Videokonferenz im Internet bietet im Vergleich zu einer Aufzeichnung mehr Möglichkeiten zur Interaktion. Gerade kann man sich vor und nach der eigentlichen Feier mit den anderen Anwesenden unterhalten. Direkte Kommunikation und Interaktion ist bis zu einem gewissen Grad sehr gut möglich, gemeinsames Sprechen oder Singen jedoch nur begrenzt. Dadurch dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Echtzeit zusammen einen medialen Raum betreten, entsteht ein stärkeres Gemeinschafts- und Teilnahmegefühl als bei einer Aufzeichnung. In einer Videokonferenz sind auch gemeinschaftliche Handlungen, wie das Essen und Trinken zu einem bestimmten Zeitpunkt, sicht- und auf diese Weise teilbar.

Sowohl eine klassische Eucharistiefeier, als auch ein Aufzeichnung oder eine mittels Video haben ihre je eigenen Stärken und Schwächen, die durch den Rahmen bestimmt sind. Es mag eine Frage der persönlichen Bedürfnisse und Vorlieben sein, wer welche Form bevorzugt. Per se ist aber die eine Form nicht schlechter oder besser als die andere. Die Kirche und besonders die Geistlichen müssen vor allem den Rahmen berücksichtigen, in dem sie sich gerade bewegen und den Rahmen optimal nutzen.

Von Raum zu Raum

Die Kirchen und die Kirchgemeinden im Besonderen bieten traditionell vor allem Veranstaltungen an, die Gemeinschaft vor Ort stiften, auch wenn sie damit letztlich die Gemeinschaft im Geist aufbauen, die über Distanz und Zeit hinweg besteht. Sie sind gut darin, die Menschen von Angesicht zu Angesicht zu bedienen. Diese Angebote und Formen eins zu eins ins Mediale zu übertragen, ist gerade in einer Krisensituation zwar naheliegend, vernachlässigt aber ab einem gewissen Grad das Medium und das Setting. Deshalb müssen die Kirchen Medienkompetenzen entwickeln, die weitergehen, als das einfache Filmen von Andachten. Ein Film erzählt zum Beispiel mit bewegten Bildern, Schnitt, Tönen und gesprochenen Worten, was ein Buch allein durch die Beschreibung mit Worten erzählt oder ein Lektor eventuell noch dazu mit Gestik, Mimik und Sprachmelodie. Es braucht also neue Formen der Verkündigung und Feier für den medialen Raum. Wenn ein Kirchenraum bis zum letzten Stein für den Gottesdienst entworfen und gebaut ist, muss auch die Fernsehandacht bis ins Detail auf dieses Medium getrimmt sein.

Zusammenfassung

Die Kirche muss aus meiner Sicht Gottesdienst und Eucharistiefeier nicht neu erfinden. Sie muss ihnen aber als «lebendige» Feiern mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit widmen, weil sie nicht selbstverständlich sind, will heissen: Umstände wie eine Pandemie und daraus folgende Veranstaltungs- und Versammlungsverbote verhindern Gottesdienste, weswegen sie wiederum etwas wertvolles und kostbares sind. Direkt erlebte Gemeinschaft und das Teilen desselben Brotes und Weines sind dabei zentrale Stärken der klassischen Eucharistiefeier.

Gleichzeitig muss die Kirche ihre mediale Kompetenz entwickeln und nötigenfalls verbessern. Zum einen erreicht sie dadurch Leute, die sie mit traditionellen Gottesdiensten nicht erreicht, zum anderen kann sie in Notsituationen wie der Pandemie qualitativ gute Notlösungen anbieten. Schliesslich muss die Kirche der Form, konkret also dem Medium, Rechnung tragen, um diese Qualität zu erreichen und zu verbessern, weil der mediale Raum im Gegensatz zu einer Kirche einen anderen Rahmen setzt.

Alles in allem ist es letztlich der Geist des Glaubens, welcher Kirche, Gemeinschaft und Verbundenheit stiftet. Dieser ist derselbe, ob jemand medial oder direkt an einem Gottesdienst teilnimmt. Der Geist nährt zuletzt die Seele auch auf Distanz. Eine klassische Eucharistiefeier wäre ja ohne den Geist, auch nur ein sonderbares Schauspiel. Im Geist reicht es vollkommen aus, Worte zu hören oder Bilder zu sehen, um am Sakrament Christi teilzuhaben. Erst recht, wenn es Umstände wie eine Pandemie, die viele Menschen in die Isolation treibt, erfordern.

Lenz Kirchhofer