Judasbaum – ein Strauch, der vor Scham errötete

Erinnerungen an einen missliebigen Apostel

Das Schloss Rumelian in Istanbul ist umgeben von Judasbäumen im Frühling. Im gesamten Mittelmeerraum, von Südeuropa, Kleinasien, Syrien, Irak, Iran bis Afghanistan, können wir den Baum mit dem markanten Apostelnamen antreffen. Foto: Shutterstock

Schon in einem Kräuterbuch von 1597 wird vom Judasbaum gesprochen. Im gesamten Mittelmeerraum, von Südeuropa, Kleinasien, Syrien, Irak, Iran bis Afghanistan, können wir den Baum mit dem markanten Apostelnamen antreffen. Man findet ihn meist in hellen Wäldern und an sonnigen Flussufern, aber er mag auch wasserarme Hügel und Hänge oder steinige und kalkige Erde.

Der Judasbum wächst fast in jedem normalen Gartenboden, braucht als Tiefwurzler nach dem Anwachsen kaum Wasser und ist pflegeleicht, auch wenn man seinen eigenen Judasbaum anpflanzen möchte. Auf speckigen und feuchten Waldböden wächst er allerdings nur schlecht und wird anfällig für Krankheiten.

Judasbaum auch in Europa

Wer nicht so weit reisen will, kann den Judasbaum auch bei uns entdecken, wo er als sommergrüner grosser Strauch oder als kleiner mehrstämmiger Baum wächst und eine Höhe von vier bis zehn Meter erreichen kann. Er zählt zu den mittelstark bis langsam wachsenden Gehölzen und es lässt sich Zuwachs von ungefähr 15 cm im Jahr messen. Es entsteht ein knorriger und dicker Stamm, der mit der Zeit markante Risse bekommt, was zu einer mediterranen Erscheinung beiträgt. Im botanischen Garten in Basel ist ein besonders hoher Judasbaum zu bewundern, der mit seiner weit ausladenden Krone wie ein grosses grünes Zelt aussieht und während der Blüte mit seinen feuerleuchtenden Farben aus einem Märchen von 1001 Nacht stammen könnte.

Der Judasbaum gehört zur Familie der Hülsenfrüchtler und heisst mit seinem lateinischen Namen «Cercis siliquastrum.» In Europa zählt der er zu den wenigen Bäumen, die durch die sogenannte «Kauliflorie» auffallen: Bei ihnen wachsen die Blütenstände nicht nur an den Zweigen, sondern direkt am Stamm hervor. Zusätzlich kann der Judasbaum nur am alten und letztjährigen Holz blühen, so dass man an den neuen Trieben seine roten Schmetterlingsblüten vergebens sucht. Der Blütenflor erscheint als eine kurze Blütentraube, die aus etwa sechs kleinen purpurfarbenen Schmetterlingsblüten zusammengesetzt ist. Die gesamte Blütezeit dauert von März bis April. Noch vor dem Laubaustrieb meint man, einige verwegene Kunstmaler seien am Werk gewesen, denn der ganze Baum ist in einen hellen purpurfarbenen Mantel eingehüllt. Der Baum ist ausserdem besonders bei den ansässigen Imkern beliebt, denn die üppige Blütenpracht enthält eine riesige Menge an Nektar und Pollen. Der Bienenbaum, wie man ihn auch nennt, hat mit dem Nektarwert von vier und dem Pollenwert bei zwei einen sehr guten Wert für eine Frühtracht, sagte mir ein Imker.

Salat oder Liebesbaum

Die Schmetterlingsblüten sind roh essbar und eine Delikatesse. Auch die Blütenknospen sind, sauer eingelegt, eine köstliche Beilage. Gerne nimmt man sie als süsssaure Ergänzung von Salaten und Sossen. Wegen der roten Farbe und dem würzigen Geschmack wird der Baum auch «Liebesbaum» oder «Salatbaum» genannt. Wer die asiatische Küche kennt, weiss, wie sie schmecken, denn sie gehören zur einheimischen Küche dazu.
Da der Judasbaum zu den «Leguminosen» zählt, bekommt er kleine zuckerschotenartige Hülsen mit vielen Samenkapseln. Auf einer Seite springen die Hülsen auf und geben die Samen frei. Bei einigen Vögeln sind sie sehr beliebt. Im Gegensatz zu den Blüten sind die Hülsen aber etwas giftig und sollten nicht gegessen werden.

Der Judasbaum in voller Blüte. Entsprechend einer alten Legende soll sich der Apostel Judas Iskariot an einem solchen Baum erhängt haben, was diesem Baum den Namen gab. Foto: Shutterstock

Schamrot und Silberlinge

Bekannt ist dieser Baum durch den Apostel Judas Ischariot, welcher Jesus – nach der biblischen Quelle – den Römern ausgeliefert hat und dafür Geld kassierte (siehe den Artikel von Daniel Konrad in dieser Nummer). Entsprechend einer alten Legende, soll sich Judas Iskariot an einem solchen Baum erhängt haben, was ihm den Namen gab. Eine andere Legende aus dem Mittelmeerraum berichtet davon, dass direkt nach der Festnahme von Jesus die Blüten begonnen haben, sich purpurrot zu färben und dass sie darauf den ganzen Baum einhüllten. Es sah dann so aus, als ob der ganze Baum vor Scham rot angelaufen wäre. Danach seien die Blätter in einer Form entstanden, die nierenförmig, silbrig-grün und fast rund ist. Diese Blätter sehen dem damaligen Silbergeld ähnlich und konnten so ein Sinnbild der 30 Silberlinge sein, die Judas für seine Tat bekommen hatte. In Wirklichkeit sind die Blätter rund bis nierenförmig, ganzrandig, fleischig und mit feinen Äderchen durchzogen. Ein Blatt kann einen Durchmesser von 13 cm haben.

Vielen biblischen Geschichten hängt man im Laufe der Jahre so etwas wie einen Mantel um, der mit der lokalen Geschichte zu tun hat. So wie viele Krippendarstellungen mit ihren Engeln und Hirten oft europäisch gefärbt worden sind und Maria und Joseph etwa aus dem Berner Oberland stammen könnten. Auf diese Weise wurden in den nördlich gelegenen Ländern aus den Palmwedeln, die das Volk Jesus beim Einzug nach Jerusalem auf den Weg legte, lauter Weidenzweige. In der russisch-orthoxen Kirche heisst der «Palmsonntag» entsprechend «Weidensonntag». Genau so musste man für den wärmeliebenden Judasbaum etwas anderes finden, denn er ist in den nördlichen Gebieten unbekannt. Man fand dann in der Espe einen Baum, der rundliche und silbrige Blätter hat, die beim geringsten Luftzug zittern, so dass man durchaus meinen könnte, die Espe würde vor Scham über die Auslieferung erschaudern. In Russland ist man daher der Meinung, der Jünger Judas habe sich an einer Espe erhängt.

Erinnerungsbaum

Der Name «Judasbaum» lässt sich noch auf eine weitere Art erklären, deren Grundlage nicht Legenden, sondern historische Untersuchungen sind. Die Rückkehrer von den Kreuzzügen des Mittelalters, so kann man belegen, brachten den Judasbaum nach Europa. Er wurde zunächst wegen seiner Herkunft «Judäa-Baum» genannt. Im Laufe der Zeit hiess der Baum aber bald nur noch Judasbaum. Durch diesen Baum bleibt ein Apostel mit Namen in Erinnerung, der in der Reihe der Apostel fast in allen Kirchen fehlt – Judas erwähnt man oft nur mit Scheu, hinter vorgehaltener Hand. Meist hat man den Judas durch Paulus (der eigentlich gar keiner der zwölf Apostel war), oder Matthias (den man für den verstorbenen Judas wählte, damit es wieder zwölf waren) ersetzt. Wer hat sich vor 2000 Jahren wohl um ihn gekümmert? Und doch hat Judas Iskariot mit uns allen zu tun, denn auch er ist einer von uns!

Niklas Raggenbass