Von Wegkreuzen und Bildstöckchen

Altbekanntes neu entdeckt

Wegkreuze und Bildstöckli sind viel mehr als blosse Kennzeichen katholischer Topografie. Sühnekreuze erinnern an Opfer eines Verbrechens. Und Pestkreuze erhalten in Corona-Zeiten eine neue Aktualität. Und verstärken die Sehnsucht nach der Zeit jenseits der Pandemie.

Feierabend, nichts im Kühlschrank. Kinder packen und einkaufen auf den letzten Drücker. «Was ist denn das für ein «g’schpässiges Vogelhäuschen?» Meine Kinder deuten auf einen gepflegten Vorgarten. Ich bin angesichts der fortgeschrittenen Stunde bereits genervt, will den Einkauf möglichst rasch hinter mich bringen. Also gehe ich einfach weiter und antworte: «Weiss auch nicht, wo denn?».

Das Arrangement, auf das die Kinder zeigen, lässt mich dann aber doch anhalten: ein etwas verwittertes Bildstöckli mitten im Garten eines Einfamilienhauses! Meine Neugier ist geweckt und ich beginne, mich mit Flurkreuzen und eben Bildstöckli zu beschäftigen.

Zeitzeugen in Holz und Stein

Flur- oder Wegkreuze sind in katholischen Gebieten weit verbreitet. Während und nach den Konfessionskriegen wurden sie regional als sichtbare Zeichen der Zugehörigkeit zum Katholizismus errichtet. Nicht selten zierten die Bildstöckli nun auch Mariendarstellungen – eine willentliche Provokation angesichts der reformatorischen Herabstufung der Mutter Gottes zur gewöhnlichen Frau!

Bis heute markieren Wegkreuze sozusagen «katholisches Hoheitsgebiet». Gleichzeitig sind sie Zeichen einer territorial verankerten, gelebten Frömmigkeit. Die Menschen stellten die Kreuze nämlich nicht einfach grundlos auf.

Der Platz macht’s

Wegkreuze und Bildstöckli stehen nicht einfach irgendwo, sondern an einem speziellen Platz. Das mag heute – die Landschaft und die Siedlungsräume verändern sich – vielleicht nicht mehr augenscheinlich sein, aber die Wahl des Standorts war nie beliebig. Die sakralen Kleinbauten dürfen auch nicht einfach versetzt werden. Viele von ihnen sind topografisch erfasst und bei Bund, Kanton oder Gemeinde als Denkmäler oder historische Wegmarkierungen inventarisiert.

Sie gehören zum Kulturgut, weil sie von unserer Geschichte zeugen. Die Zonenplanung und Verkehrsführung ändern sich, Wegkreuze und Bildstöckli bleiben stehen – ausser in Spezialfällen. Für mich ein Augenöffner: Deshalb finden sich so viele Wegkreuze und Bildstöckli in Vorgärten!
Von Bekannten erfahre ich, dass sie sich beim Hauskauf vertraglich dazu verpflichten mussten, das hölzerne Wegkreuz auf ihrem Land zu unterhalten und regelmässig mit Blumenschmuck zu versehen. Viele Bildstöckli und Wegkreuze stehen heute unter Denkmalschutz und werden meist von Anrainern oder anderen Gruppen instand gehalten, manchmal gegen ein kleines Entgelt.

Geografische und geistliche Orientierung

An Wegkreuzungen dienten die hölzernen oder aus Stein gemeisselten sakralen Kleinbauten zugleich als geografische Markierung wie auch als Orte der spirituellen Einkehr. Hier konnte man kurz durchatmen und für einen sicheren Verlauf der Reise beten oder sich bedanken. Meine Mutter erklärte mir, dass sie als Kind gelernt habe, bei jedem Wegkreuz das Kreuzzeichen zu machen: als Bitte um Schutz und als Zeichen des Danks. Wegkreuze weisen längst nicht nur auf ehemalige Konfessionsgebiete oder Strassennetze hin, sondern auch auf alte Wallfahrtswege oder religiöse Praktiken. Zusammen mit schriftlichen Zeugnissen sind sie wichtige Quellen, um ehemalige Verkehrsnetze aber auch religiöse Routen und Routinen zu rekonstruieren.

Vielfältig einsetzbar

Auf Pilger- oder Wallfahrtsstrecken markierten die Kreuze oder Bildstöckli Treffpunkte, wo man sich für die Reise versammelte und von den Zurückbleibenden verabschieden konnte. Heute sind solche Wallfahrtswege häufig mit speziellen Symbolen auf den «gewöhnlichen» Wegweisern markiert. Bis heute dienen die klar religiös konnotierten Wegmarkierungen in bestimmten Gebieten als Orientierung für eucharistische Flurprozessionen. Wegkreuze zeigen häufig Kruzifixe oder die Inschrift INRI. Sieht man sie an, erinnert man sich an Jesu Leid und Auferstehung – die frohe Botschaft also. Da liegt es nahe, solche Kreuze auch als Denkmal, also als Erinnerungszeichen für wichtige Ereignisse oder Verstorbene einzusetzen. So finden sich auch heute noch in vielen Kantonen sogenannte Sühnekreuze, die an das Opfer eines Verbrechens erinnern. Sie waren Teil der Wiedergutmachungsverträge zwischen Schädiger- und Geschädigtenfamilie.
Auch als Denkmal für Kriegs- und Pesttote finden sich Pestkreuze oder Bildstöckli, die häufig mit dem Heiligen Rochus, dem Schutzpatron gegen die Seuche, versehen sind.

Zeugnis der Dankbarkeit

Auch als Zeichen der Dankbarkeit, eine sogenannte Votivgabe, wurden Flurkreuze oder Bildstöckli aufgestellt. Wer weiss, vielleicht steht dereinst ein grosses Bildstöckli auf dem Bundesplatz. Zur Erinnerung an all die durch und mit Covid-Verstorbenen und zum Dank, dass das Virus irgendwann zu wüten aufgehört hat. Wer oder was allerdings darauf abgebildet würde, bleibt unserer Fantasie überlassen.

Natalie Fritz (kath.ch)