In Basel zu St. Theodor geschrieben
Vor über 500 Jahren sind zum ersten Mal Geburten in der Basler St. Theodorskirche aufgezeichnet worden – heute sind sie die ältesten Taufbücher des deutschsprachigen Raums. Nach über 150-jähriger Abwesenheit sind sie in Basel zurück – als hochwertige Kopien. Der Verein «mitenand aktiv» besuchte die Theodorskirche und lernte die erstaunliche Geschichte der Basler Taufbücher kennen.
Die ältesten noch erhaltenen Taufbücher des deutschsprachigen Raums bilden in zwei Bänden für die Zeit von 1490 bis 1737 auf 1700 Seiten ein einzigartiges Zeugnis von 250 Jahren Basler Geschichte. Der Verein «mitenand aktiv» der christkatholischen Kirchgemeinde Basel-Stadt wollte Genaueres erfahren und lud zu einem Besuch in die Theodorskirche ein. Dort wurde die Gruppe von Pfr. Philipp Roth empfangen und erfuhr Geschichte und Geschichten über die Taufbücher.
Kirchbesuch, ein soziales Ereignis
Wie in der Predigerkirche waren in St. Theodor Leutkirche und Chorkirche durch den Lettner voneinander getrennt. In der Leutkirche versammelte sich sonntags das gläubige Volk und feierte, sang und lauschte begierig den Geschichten, die ihnen die Leutpriester darboten. Lesen und Schreiben konnte das Volk nicht; der sonntägliche Kirchbesuch war deshalb ein soziales Ereignis der Kommunikation und der Teilnahme am Lauf des Lebens in-und ausserhalb der Stadt. Die Leutpriester hatten bibelfest zu sein, aber sie wussten auch, wie das Leben spielt. Es war denn auch ein Leutpriester, Johann Ulrich Surgant von St. Theodor, der ab 1490 als erster ein Taufbuch anlegte.
Namenlose Mütter
Für Aufzeichnungen über Taufen gab es noch keine Regeln. Die Einträge waren einfache Listen mit Datum, Namen des Täuflings, dem Namen des Vaters und auch des Paten. Der Name der Mutter kam in diesen Einträgen nicht vor. Während ein Kind so schnell wie möglich nach der Geburt getauft wurde, lag die Mutter im Wochenbett und «fehlte» bei der Taufe.
Zur Zeit der Reformation von 1529 war das Führen eines Taufregisters den Geistlichen bereits Pflicht geworden. Basel zählte zu jener Zeit rund 10 000 Einwohner, das Doppelte von Zürich. Basel hatte von 1431 bis 1449 das Konzil beherbergt und führte ab 1460 eine Universität, die erste der Schweiz. Das Konzil brachte sprudelnde Geschäftigkeit in die Stadt, kommerzielle wie intellektuelle. Buch-druck und Papierherstellung blühten früh auf; humanistische Gelehrte verkehrten in Basel. Konzil und Universitätsgründung waren entscheidende Treiber der Stadtentwicklung.
Kulturgeschichtlicher Schatz
Da kamen die Taufbücher gerade recht. Ihre Einträge wurden detaillierter und systematischer, ermöglichten Verknüpfungen und machten Zusammenhänge sichtbar. So kamen sie mehr und mehr in die Funktion eines stadt-und familiengeschichtlichen Archivs. Sie sind heute ein kulturgeschichtlicher Schatz. Für die Kunsthistorikerin Barbara Piatti waren es zunächst aber einfach «Bücher mit sieben Siegeln», wie sie auf ihrer Website (www.barbara-piatti.ch) schreibt. «Aber dann, nachdem ich die ersten Bezüge herstellen konnte, mit Hilfe von Handschriften-Experten erste Namen entziffern konnte, war kein Halten mehr. Was für eine faszinierende Welt sich da auftut! Die Taufbücher erzählen eine ganz eigene Geschichte (Klein-)Basels. In ihnen finden sich Spuren von Schicksalsjahren (Reformation, Pest), ein Netzwerk berühmter Basler Familien (die Amerbachs, die Merians), Hinweise auf Namensmoden und aufschlussreiche Details zum religiösen Leben.»
Zu diesen berühmten Basler Familien zählte Basilius Amerbach, dem die Stadt das Amerbach-Kabinett verdankt, das den Grundstein zum Basler Kunstmuseum legte. Oder Matthäus Merian, der begnadete Kupferstecher, der 1615/17 den berühmten Vogelschauplan, den «Merian-Plan», schuf. Beide werden in den Bücher als mehrfache Paten – eine wichtige soziale Funktion – aufgeführt.

Schaukasten mit Taufbüchern
Aus Versehen verkauft
Jetzt sind die Bücher also wieder da. «Wieder» heisst: Sie waren weg. Sie waren «aus Versehen» aus dem Nachlass von Pfr. Johann Jakob Brun (1797–1861) verkauft worden. Das konnte wohl nur geschehen, weil Brun die Bücher in bester Absicht zum Arbeiten mit nach Hause nahm, verstarb und sie nicht mehr in die Kirche zurücklegen konnte. Item. Die Bücher wurden verscherbelt und gelangten via Paris ins British Museum und später in die British Library. Alles korrekt und ordentlich.
Schon 1867 scheiterte ein erster Rückholversuch, auch drei weitere führten zu nichts. Es war aus (britischen) gesetzlichen Gründen nicht möglich, die Originalausgaben nach Basel zu holen.
Als Faksimile zurück
Dank dem zielstrebigen Einsatz von Kleinbasler Bürgern ist es jetzt gelungen, von den in London aufbewahrten zwei Büchern mit Unterstützung des British Museum hochwertige Kopien anfertigen zu lassen. Sie, nicht die Originale, sind es, die nun nach Basel zurückgekommen sind. Der Laie würde sie von den Originalen nicht unterscheiden können. Und das Wichtigste können auch die Kopien: Sie stellen einen historisch in jedem Fall bedeutenden Schatz dar. Sie eröffnen einen 300-jährigen Querschnitt durch die Kleinbasler Bevölkerung. Ein Schlüssel, sagt Staatsarchivarin Esther Baur, der «schnurstracks in den dynamisch-städtischen Raum Basels» führe.
Rudolf Messerli