Den Tod Mariens ins eigene Sterbezimmer hereingeholt

Portrait von Dr. F. Loretan-Saladin

Dr. Franziska Loretan-Saladin.

Franziska Loretan-Saladin aus Luzern predigt am 19. August beim Patrozinium in Olsberg über Maria, an der sie das Besondere wie das Alltägliche schätzt. Ein Interview.

Angela Berlis: Du bist in Allschwil aufgewachsen und zur Schule gegangen, die letzten drei Jahre in Basel. Was wolltest du als Kind werden? Wie bist du zur Theologie gekommen? 

Franziska Loretan: Ein Berufswunsch war Krankenschwester, vielleicht sogar in einem «Missionsland». Durch die Jugendarbeit und als Lektorin in unserer Pfarrei kannte ich den Laientheologen und seine Familie recht gut. Was ich von seiner Arbeit kennenlernte, schien mir auch für mich ein möglicher Beruf zu sein. So bin ich nach Luzern gezogen, um Theologie zu studieren.

Du hast in der Ausbildung von Theologen und Theologinnen gearbeitet, als Spiritualin, als geistliche Begleiterin. Das ist ursprünglich die Aufgabe eines Priesters – wie kamst du dazu?

Erstaunlicherweise habe ich da und dort als Frau in der Römisch-katholischen Kirche «Pionierarbeit» geleistet, ohne dies bewusst zu suchen. Ich war die erste Pastoralassistentin in Rothenburg, welche regelmässig predigte und Beerdigungen gestaltete. Dann wurde ich vom Leitungsteam des Seminars St. Beat angefragt, ob ich Interesse hätte, 50% der Spiritualenstelle zu übernehmen. Der damalige Spiritual (ein Priester) und das Leitungsteam fanden es wichtig, dass die Verheirateten und die Frauen gerade in der sensiblen Zeit des Berufseinstiegs und der Rollenfindung auch eine Identifikationsperson im Team haben. Leider wurde dieses Modell später wieder aufgegeben.

Wie bist du dazu gekommen, im TV und im Radio zu predigen? Was hat dir dort Spass gemacht, was hast du als Herausforderung erfahren?

Beide Male wurde ich vom damaligen Radio- und Fernsehbeauftragten Willi Anderau angefragt. Das Wort zum Sonntag ist ein «Kommentar zur Zeit aus christlicher Sicht». Dieser soll ein möglichst aktuelles Thema aufgreifen, was für mich stets eine Herausforderung war. Was könnte die Zuschauerinnen und Zuschauer am Samstagabend zwischen Tagesschau und Abendprogramm interessieren? Die Predigten am Radio fielen mir leichter. Da konnte ich eine Verbindung zwischen einem Bibeltext und dem Leben herstellen, die beiden «Welten» miteinander ins Gespräch bringen, nach dem Verbindenden der Erfahrungen damals und heute suchen.

Du betonst die Umsetzung des Glaubens in den Alltag. Darüber sprechen lernen, zeitgemäss darüber reden. Warum ist dir das so wichtig?

Eine Schlüsselerfahrung im Theologiestudium hat dazu wohl den Anstoss gegeben. Als Kind und Jugendliche sah ich meine «Frömmigkeit» als etwas Besonderes neben dem «normalen» Leben. Ich wollte dies zwar auch nicht bloss auf den Sonntag begrenzen, aber ich schaffte es dann doch nicht wirklich. Im Studium entdeckte ich, dass Gott nicht «ausserhalb» dieser Welt, sondern in ihr lebt. Dass Gottes Kraft in der Beziehung zwischen Menschen wirksam ist und dass Jesus mir in den Geringsten, in den Menschen am Rand, begegnet. Wenn ich nun am Sonntag zum Gottesdienst gehe, kommt dort verdichtet zusammen was ich mit Gott im Alltag lebe oder auch verpasst habe. Lob und Dank, Bitte und Klage – sie wurzeln im Alltag und sind gleichzeitig Brot, Nahrung für den Alltag.

Seit Oktober 2015 erscheint nun das theologische Internet-Feuilleton feinschwarz.net. Du hast es mitbe-gründet. Wen wollt Ihr erreichen?

Das Anliegen dahinter passt gut zu einer Theologie, die in der Welt verwurzelt ist, denn es geht darum, Themen der Zeit aus theologischer Perspektive zu analysieren, der Umsetzung der Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils verpflichtet. Das Leitwort, mit dem die Pastoralkonstitution «Gaudium et spes» beginnt, begreifen wir als Grundlage allen kirchlichen Handelns: «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger/innen Christi.» Mit unseren Beiträgen richten wir uns an neugierige Männer und Frauen, die sich für pluralitätsfähige Positionen und theologische Diskussionen interessieren. Mit den Beiträgen erreicht feinschwarz.net um die 1000 bis 2000 Personen, über Facebook können es auch mal noch mehr sein.

Und nun zu Maria – du wirst am 19. August in Olsberg die Festpredigt halten. Wie hältst du es mit Maria?

Maria war lange für mich die ferne, thronende, unerreichbare Heilige – auch die Muttergottes von Mariastein, das wir von Allschwil aus ab und zu besuchten. Durch feministische und Befreiungstheologie sowie durch das bekannte Gedicht von Kurt Marti, stieg Maria für mich von den Altären und kam mir
näher. Ich sehe in Maria eine Frau wie du und ich, die mit ihrem Sohn ihre liebe Mühe hatte. Für die ersten Christengemeinden wurde sie aber auch zur Prophetin: Sie singt in der Begegnung mit ihrer Verwandten Elisabeth ein grossartiges prophetisches Lied, das Magnifikat und ist am Pfingsttag in der Mitte des Jüngerkreises. Beide Seiten Marias sind mir wichtig: das Alltägliche und das Besondere.

Du hast schon Erfahrung damit, über Maria zu predigen, nicht wahr?

Ich habe in der Franziskanerkirche in Luzern einmal zum Patrozinium «Maria Himmelfahrt» gepredigt, und auch einmal den «Maria-End-Altar» in der Luzerner Hofkirche von Luzern erklärt. Bildlich ist dort die Legende vom Hinübergang der Jungfrau Maria, Melito von Sardes († um 180) zugeschrieben, dargestellt, die sehr anschaulich und konkret vom Tod Mariens erzählt:

«Der einsam wohnenden Maria erscheint ein Engel mit leuchtendem Palmzweig und verkündet ihr den Tod. Sie bittet, dass die Apostel zugegen sein möchten. Von Wolken herbeigetragen, einem innerlichen Rufe gefolgt, umstehen sie das Lager der Sterbenden; Christus nimmt die kleine Seelengestalt der Entschlafenen in den Arm.» 

Spätere Darstellungen bereichern die Szene durch Raum und Tätigkeit der Apostel mit Sterbekerze und Weihrauch; aus aufgeschlagenem Buch werden die Sterbegebete gelesen. Der Tod Marias wird quasi in das eigene Sterbezimmer hereingeholt und mit ihm die Hoffnung, auch die oder der Sterbende hier werde von den Armen Christi umfangen.