«Den Weg zum geistlichen Amt öffnen»

Pfarrer Michael Bangert lehrt neu an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.

Im Gespräch mit «Christkatholisch» äussert sich Pfarrer Michael Bangert zu seiner Umhabilitierung an die Theologische Fakultät der Universität Basel und skizziert neue Modelle der Ausbildung von Seel­sorgenden beziehungsweise der Zulassung zum geistlichen Amt.

CKK: Herr Pfarrer Bangert, Sie sind neu an der Universität Basel habilitiert. Was hat Sie bewogen, den Wechsel vom Institut für Christkatholische Theologie in Bern an die Uni Basel zu vollziehen?

Michael Bangert: In den vergangenen Jahren hat sich mein Forschungsschwerpunkt zunehmend verlagert, unter anderem hin zu Studien über Sebastian Castellio, einem bedeutenden Theologen innerhalb der reformatorischen Bewegung in Basel. Castellio gilt als einer der Begründer der religiösen Toleranz. In der neugegründeten «Internationalen Castellio-Gesellschaft» kann ich als deren Präsident Akzente setzen. Das ist eine sehr interessante interdisziplinäre Arbeit. Zudem ist es möglich, an der Theologischen Fakultät in Basel nicht nur Kirchen-, sondern auch Theologiegeschichte zu lehren. Durch die räumliche Nähe und meine Vernetzung in Basel ergeben sich zudem thematische Synergien. Das hat sich jetzt im Umfeld des Jubiläums der Predigerkirche direkt bemerkbar gemacht. So bin ich sehr froh, dass mir die Uni Basel die «venia docendi» erteilt hat.

Das ist ein Motivationsstrang. Gibt es weitere Gründe?

Bei mir persönlich hat sich in Bezug auf die Theologische Fakultät in Bern ein gewisses Fremdheitsgefühl angemeldet. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob der christkatholische Beitrag zur theologischen Forschung durchgehend geschätzt wird und willkommen ist. Das ist sehr bedauerlich, gerade weil es eine ausserordentliche Chance wäre, unter einem Dach die Traditionen der reformierten und der katholischen Theologie kreativ zusammenzuführen. Wir können zudem seit Langem eine gewisse Verelendungstendenz in Bezug auf die Christkatholische Theologie an der Universität Bern beobachten. Es ist ja noch nicht so lange her, da bildete sie eine eigene Fakultät, dann wurde sie zum Departement abgestuft, um nun noch als ein Institut geführt zu werden. Mir scheint, dass in Bern die historische Herausforderung, eine katholische Fakultät im traditionell reformierten Kanton Bern zu erhalten, nur noch wenig Zustimmung findet. Es scheint, dass die Bedeutung und die Funktionen des Instituts für Christkatholische Theologie innerhalb der Fakultät nicht mehr durchgängig Akzeptanz findet. 

Gibt es dafür auch innere Gründe?

Man darf hier sicher auch fragen, ob die Christkatholische Theologie in den vergangenen Jahrzehnten ein ausreichend klares Profil entwickeln konnte, dass die Existenz einer eigenen Organisationseinheit an der Universität rechtfertigen würde. Ein solches Profil wird heute vorrangig an wichtigen Publikationen gemessen, die internationale Aufmerksamkeit finden. Da ist das Resultat überschaubar. Neue Fragestellungen – jenseits des dogmatischen Gerangels – könnten neue Erkenntnisse bringen. Aus meiner Sicht könnten Forschungen zur Sozialgeschichte der Christkatholischen Kirche sehr interessant sein. So besteht die Meinung, dass die christkatholische Kirche in ihrer Entstehung vorrangig vom freisinnigen Bürgertum getragen wurde. Ich halte dies zumindest für Basel für eine oberflächliche Einschätzung, denn ein Blick ins Sterberegister zeigt, dass sich die Kirchgemeinde anfangs mehrheitlich aus Arbeitern und geringbezahltem Dienstpersonal zusammensetzte. Einsichten von dieser Art verändern das Selbstverständnis.

Sie haben die Theologiegeschichte als neue Lehrbefähigung genannt. Wie würden Sie denn diese einschätzen? Die Theologie hat sich meines Erachtens zu einem hoch akademischen Gegenstand entwickelt, der die Bodenhaftung zu verlieren droht.

Ja, es ist sicher ein Problem, dass sich die Theologie immer mehr akademisiert hat. Sie muss sich fraglos innerhalb der Universität dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit stellen und ihm gerecht werden. Sonst ist sie dort falsch. Aber das ist ja nur die eine Seite. Der Knackpunkt liegt eher dort, wo die theologische Ausbildung der Geistlichen sich allein auf den akademischen Bereich konzentriert. Der Anspruch an ein Theologiestudium ist nicht allein wegen der alten Sprachen hoch. Man hat in der Vergangenheit stets so auf die wachsenden Anforderungen an Pfarrpersonen reagiert, dass die Ausbildung verlängert und erweitert wurde. Die Folge war, dass beständig neue Gebiete dem Ausbildungsgang angehängt wurden und sich die Ausbildungszeit verlängerte. Wenn man bedenkt, dass Ignatius von Antiochien, ein Bischof des
2. Jahrhunderts, als bedeutender Kirchenvater gilt, obwohl er vermutlich nur das Johannes-Evangelium kannte und nur eine der alten Sprachen beherrschte, dann zeigt das die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der theologischen Ausbildung auf. Ich bin gewiss, dass die geistliche Kompetenz ein grundlegendes Thema sein muss. Vielleicht könnte man von einer Entflechtung von rein akademischer, spiritueller und seelsorgerlicher Ausbildung sprechen.

Sie meinen eine Art Trennung in «theoretische» und «angewandte» Theologie, wie es das in anderen Fachgebieten gibt und die je einen eigenen Ausbildungsweg erfordern?

So kann man es andeuten, wobei die Trennung nicht absolut verstanden werden soll. Ich verweise hier auf das sogenannte «Ahlener Modell», das ich in meiner Zeit in der Leitung der Priesterausbildung in Münster betreut habe. Es lässt Männern, die keine Matura haben, den Weg offen, als Priester in einer Gemeinde tätig zu werden. Sie lebten während der Ausbildungszeit in kleinen Gemeinschaften in Kirchgemeinden, arbeiteten in der pastoralen Praxis mit und absolvierten einen grundständigen Theologiekurs. An der Universität konnten die Absolventen des Ahlener Modells später zudem als Gasthörer Veranstaltungen besuchen. Diejenigen, die diese Form der Ausbildung absolvierten, zeichneten sich als Pfarrer durch wirklichkeitsnahes Handeln und Menschlichkeit aus. Ich bin der Meinung, dass die christkatholische Kirche ebenfalls andere Zugangswege zum geistlichen Amt eröffnen kann.

An was denken Sie?

Eine gründliche Ausbildung ist für jede Person, die ein geistliches Amt anstrebt, entscheidend für die spätere berufliche Wirksamkeit. Dabei können andere Schwerpunkte als zum Beispiel Griechisch oder Dogmengeschichte hilfreich sein. Die geistlichen Kompetenzen sind für unsere Kirche – gerade wegen ihrer zahlenmässigen Kleinheit – überlebenswichtig. Kommunikationsfähigkeit und Persönlichkeitsbildung müssen Grundbestandteile der Ausbildung der Geistlichen sein. Aber gerade die von mir angesprochene geistliche Ausbildung fristet beispielsweise am Institut in Bern ein jammervolles Dasein. 

In der Christkatholischen Kirche der Schweiz sind derzeit Überlegungen im Gange, die Ausbildungsanforderungen neu auszurichten. Amt und Ausbildung hängen in unserer Kirche ja fast unzertrennlich am Kanton Bern und am Institut für Christkatholische Theologie. Wo sehen Sie Änderungs- bzw. Anpassungsbedarf?

Nun, eine Kopplung des geistlichen Amtes an die Kriterien des Instituts für Christkatholische Theologie schränkt die Auswahl der in Frage kommenden Personen zu stark ein. Ich bin der Meinung, dass diese Kompetenzen zur Zulassung zum geistlichen Amt zuallererst bei Bischof und Synodalrat liegen müssen. Im Sinne einer selbstbewussten Kirche könnte ich mir auch einen ganz neuen Weg vorstellen: Für Menschen, die ein Amt in unserer Kirche anstreben, gründen wir eine «Christkatholische Akademie» mit unserem Bischof als Präsidenten. Dort wird die menschliche Eignung festgestellt und dann mit der entsprechenden Person der Ausbildungsweg geplant. Ich stelle mir vor, dass an dieser Akademie auch eigene Aus- und Weiterbildungskurse angeboten werden können. Ebenfalls könnte dort eine Ausbildung im Sinne eines dritten Bildungsweges angesiedelt sein. Dabei muss für wichtige theologische Fragen in unserer Kirche das Institut für Christkatholische Theologie stets angehört werden. Und: Der akademische Weg an der Universität steht selbstverständlich nach wie vor für die Interessierten offen. Das eine tun und das andere nicht lassen. Ich selbst hätte in jedem Fall den universitären Weg gewählt. Doch wir dürfen die göttliche Geisteskraft, die Menschen zum Dienst an der Botschaft Jesu bewegt, nicht zwingen, sich allein im Umfeld der Universität zu bewegen. Die göttliche Gnade ist bunt und vielfältig – wie es im Neuen Testament heisst – und unsere Aufgabe ist es nicht, sie einzuschränken.

Das heisst konkret?

Eine Konkretion für eine vielfältige Ausbildungsordnung kann ich jeden Tag in der Arbeit der Diakonin der Basler Kirchgemeinde, Karin Schaub, beobachten. Obwohl sie über eine humanistische Matura mit alten Sprachen verfügt, hat sie sich frei für einen Ausbildungsweg mit theologischen Intensivkursen sowie Reflexion der Praxis- und Lebenserfahrung entschieden. Ein Weg, der ihr entsprach! Fraglos gehört sie – auch ohne einen universitären Abschluss – heute zu den gesuchten Seelsorgenden unserer Kirche. Ihre Lebensklugheit und ihre spirituelle Kompetenz tragen die ­Basler Kirchgemeinde nun schon seit bald 30 Jahren. Das heisst doch: Diese Form der Ausbildung hat sich im Leben unserer Kirche bewährt. Akademische Nostalgie hilft uns nicht weiter – die Lebenspraxis weist uns doch offensichtlich andere, buntere Wege!

Also Individualisierung der Ausbildung?

Nein. Sondern Personalisierung der Ausbildungswege. Das geht in einer komplexen Gesellschaft nicht anders.

Franz Osswald