Gisikon im Fokus der Schweizer Geschichte: Der Sonderbundkrieg

Das Erbe der Französischen Revolution

Vor 176 Jahren ging der Sonderbundkrieg zu Ende. Zwischen 1798 und 1848 war es in und zwischen den Kantonen am Brodeln, dauernde Konflikte und Waffengänge wollten nicht enden. Es ist nicht einfach, sich daraus einen Reim zu machen: Einmal war es die «Helvetische Republik», dann die «Meditation» oder die «Restauration» und die «Liberale Regeneration» mit ihrer Gegnerschaft, die sich in dem Separatbündnis, dem Siebenerkonkordat, trafen.

Die politischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen bezüglich der Richtung, die der zukünftige Kurs der Eidgenossenschaft einnehmen soll und die Ermordung von Ratsherr Joseph Leu von Unterebersol im Luzerner Seetal waren Signale in Richtung Krieg. Die Krise erreichte 1847 ihren Zenit als die Mehrheit der Liberalen die gewaltsame Auflösung des seit 1845 bestehenden Sonderbundes der katholischen Kantone erwirkte. Die Tagsatzung war nicht mehr in der Lage, das Feuer zu löschen.

Entscheidendes Gefecht in Gisikon

Am 23. November 1847 fand das entscheidende Gefecht im Oberfreiamt in Gisikon statt. Kommt das Gespräch auf den Sonderbundkrieg, hört man nicht selten, er sei ein konfessioneller Krieg gewesen, was aber die Ursache nicht wirklich trifft. Römisch-Katholische und Reformierte stritten sich auf beiden Seiten: Man kreuzte die Klingen nicht wegen Calvin, Zwingli, Papst oder Bischöfen. Missmut, Zurück-zum-Alten (Restauration), Stadt-Land-Gegensätze, Armut und Hunger, Industrialisierung, Angst vor der Zentralisation, neue Kantone, die verleugnete französische Revolution, dies alles waren die Puzzleteile in einer sich verändernden Welt.

«Im Hochland fiel der erste Schuss»

Die Lithographie von S. C. Hürlimann zeigt die entscheidende Kampfhandlung bei Gisikon. Nach dem Gefecht am 23. November 1847, das den ganzen Tag dauerte, kapitulierte Luzern, das zur Sonderbundstruppe zählte. Der eidgenössische Kommandant in diesem Gefecht war der Tägerwiler Brigadekommandant Johann Konrad Egloff, der 1848 Mitglied im Regierungsrat des Kantons Thurgau wurde. Bild: ZVg

Im Kern ging es um das Erbe der Französischen Revolution von 1789: «Liberté, Egalité, Fraternité» – Freiheit und Gleichheit aller Einwohner in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, egal ob aus der Hauptstadt oder aus einer Landgemeinde und ein solidarisches Miteinander. So standen sich liberale und konservative Vorstellungen, gegensätzliche Prinzipien, gegenüber. Welchen Status sollte man der Schweiz als Ganzes geben? Die neuen demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen fehlten und man wählte die Waffen. Das ausbalancierte Staatensystem des Wiener Kongresses von 1815 kam ins Wanken. Auch in anderen Ländern gab es Proteste und der Sonderbundkrieg wurde wie ein Wetterleuchten wahrgenommen. Ferdinand von Freilingrath schrieb 1848 aus seinem Londoner Exil für die Freisinnigen der Schweiz ein Gedicht:

«Im Hochland fiel der erste Schuss!
Was weiter wird – wir harren noch!
Doch wird’s die Freiheit werden!
Die Freiheit dort, die Freiheit hier,
Die Freiheit jetzt und für und für
Die Freiheit rings auf Erden!
Im Hochland fiel der erste Schuss,
Und die da niederdonnern muss,
die Lavine kam ins Rollen.»

Krieg zwischen den Prinzipien

In nur ein paar wenigen Stunden wurden die zahlenmässig deutlich unterlegenen Sonderbundtruppen besiegt. Es kämpften in diesem Bürgerkrieg Schweizer gegen Schweizer. 140 Verletzte und rund 20 Kämpfende mussten ihr Leben lassen. Am 24. November kapitulierte Luzern. Der konservative Sonderbund der Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Fribourg, Wallis sowie Luzern war besiegt. General Guillaume Henri Dufour, der von der Tagsatzung mit der Führung der eidgenössischen Truppen beauftragt wurde, um den Sonderbund aufzulösen, schrieb: «Der Sonderbundkrieg war sozusagen das Vorspiel zu den grossen Ereignissen, welche ein Jahr darauf kamen. Im Grunde war es ein Krieg zwischen den Prinzipien, die Europa seit lange in zwei Lager geteilt, und deshalb fand er einen so mächtigen Nachhall.»

Bürgerkrieg und neue Bundesverfassung

Der Gemeindepräsident von Gisikon, Alphons Muri, machte die Feststellung, dass nur wenige etwas mit dem Wort «Sonderbundskrieg» anfangen können und gar nicht wissen, was die Gründe zu diesem Schweizer Bürgerkrieg waren. Manche sind besser über die Steinzeit informiert als über unsere jüngste Geschichte. Wir feiern mit dem Ersten August auch einen Bund aus dem Jahr 1291, der nur einen kleinen Teil der heutigen Schweiz umfasste. Doch das für die heutige Schweiz viel wichtigere Datum 1848 fiel unter den Tisch. Die nationale Geschichte ist immer eine Konstruktion: Die offizielle Geschichtsschreibung war bemüht, der Schweiz als neuem Nationalstaat auch ein neues Gesicht zu geben. Für die Freiheit mit Waffen zu kämpfen wie Wilhelm Tell und sich für den Frieden einzusetzen wie Bruder Klaus von Flüe: Ja! Mord und ein Bürgerkrieg passten nicht in das Bild dieser Neuordnung. Doch auch 60 Jahre nach dem Sonderbundskrieg, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als es noch Augenzeugen der Geschehnisse dieser «sturmbewegten Zeit» gab, war man dabei, die Schweiz ohne Sonderbundkrieg zu erklären. Albert Heer und Gottlieb Binder wollten in ihrem Geschichtsbuch die Bedeutung des Sonderbundskrieges für die aktuelle Zeit hervorheben:

«Es mag vielleicht im Schweizerlande Stimmen geben, die sagen, man sollte eigentlich nichts mehr veröffentlichen über den Bruderkrieg vom Jahre 1847 und mit Stillschweigen hinweggehen über dieses zum Teil allerdings schmerzreiche Blatt in der eidgenössischen Vergangenheit. Wir teilen diese Auffassung nicht, weil wir der Ansicht sind, dass keine Zeit und kein Ereignis in der vaterländischen Geschichte für den Schweizerbürger lehrreicher und nutzbringender ist, als die Zeit des Sonderbundes, die in unserem Lande einen durchaus notwendigen und zeitgemässen Läuterungsprozess vollzog, und dem alten krankhaften Staatsgebilde durch die 48er Verfassung einen neuen Impuls zuführte, der den Staatenbund in einen lebensfrischen und in der Folgezeit mächtig aufblühenden Bundesstaat umgestaltete.»

Auch heute – über 100 Jahre später – hat dies noch seine Gültigkeit. Dem Gemeindepräsident Alfons Muri war dies Anlass genug, zusammen mit einer Arbeitsgruppe einen Erlebnis-Weg spannend und erlebbar zu gestalten. Zur Geschichte gehören die Spannungen, tragischen Schicksale, Kriege und Schiffbrüche genauso, wie die Erfolge, Wagnisse und neuen Ideen.

Erinnern bleibt menschlich

Der neue Themenweg will die Bedeutung des Sonderbundskrieges aufzeigen. Der Rückblick auf die Kriegsgeschichte will nicht beschönigen, sondern versucht, bis in die heutige Zeit hinein verständlich zu machen, warum es in der Schweiz ein kompliziertes, aber fein ausbalanciertes Miteinander der Kantone gibt und warum es den Kantonen in ihrer Solidarität nicht immer leicht fällt. Es soll dabei auch der Fortschritt, den die Eidgenossenschaft seither gemacht hat, thematisiert werden.

An jeder Infostelle werden via QR-Codes Bilder, Dokumente, Texte und ein Hörspiel abrufbar sein. Ergänzt werden die Tafeln durch eine kleine Sonderbundskrieg-Ausstellung im historischen Sagenmatt-Kulturhaus. Dort ist ein fiktives Interview mit Guillaume Henri Dufour, General der siegreichen eidgenössischen Truppen, zu hören.

Nächstes Ziel: Sonderbundweg

Das nächste Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist es, weitere Installationen an ehemaligen Kriegsschauplätzen aufzustellen und so einen Sonderbundweg zu schaffen, der von Sins über Hünenberg, Oberrüti, Dietwil, Risch-Rotkreuz, Meierskappel und Honau nach Gisikon führt. Die erste Station des Weges in Gisikon steht bereits. «Dieser Ort hat eine Türe geöffnet in Richtung Bern zum modernen demokratischen Bundesstaat», sagte der Historiker Jürg Stadelmann von der Arbeitsgemeinschaft Wege zur Schweiz. Nach der Niederlage des Sonderbunds war der Weg frei für die Ausarbeitung der modernen Bundesverfassung, die 1848 in Kraft trat. Damit wurde die Schweiz aufgrund seiner Verfassung zum modernsten Staat Europas. Uns wird gezeigt, dass die Schweiz kein vorgefertigter Staat ist, der schon immer da war – damit das Erinnern menschlich bleibt. Es ist ein Land, das immer wieder neu gebaut wird und offen ist für neue Visionen.

Niklas Raggenbass


Ausstellung im
Sagenmatt Kulturhaus

Von Sins nach Gisikon:
Sonderbundweg

Zusätzlich zur Ausstellung «Gisikon im Fokus der Schweizer Geschichte» kann das Kulturhaus Sagematt nach Voranmeldung auch von Gruppen und Schulklassen besucht werden.
Adresse: Kulturhaus Sagenmatt, Gisikon
Informationen und Anmeldungen:
041 455 42 00 (Gemeindeverwaltung).

Karten, die Geschichten erzählen
Historischer Atlas der Schweiz,
Marco Zanoli (Karten)
François Walter (Text)
Verlag hier und jetzt
2021

Nationale Geschichte ist immer eine Konstruktion. Dies gilt insbesondere für die Schweiz, die lange Zeit eine Allianz eigenständiger Orte beziehungsweise Kantone war und nun noch Puzzle ist – hinsichtlich der Sprachen, der kulturellen Identitäten, der Religionen. Gerade die Schweizer Geschichte im 19. Jahrhundert lässt sich anhand der Karten und kurzen historischen Beschreibungen gut nachverfolgen und vermittelt ein vertieftes Verständnis der Geschichte. Ist es nicht unser Erbe und Auftrag, sie immer wieder kritisch zu hinterfragen?

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Verlag: hier und jetzt
199 Seiten
ISBN 978-3-03919-542-8