Ohne Akten keine Fakten

Im Jahr 2017 hat Jürg Hagmann, Autor dieses Textes, zwei weitere gewichtige Kirchgemeindearchive erschlossen. Die Projekte konnten anfangs 2018 abgeschlossen werden. Es handelt sich um die historischen Bestände der Kirchgemeinden Allschwil-Schönenbuch, Birsigtal, der Landeskirche Basel-land sowie der Kirchgemeinde Basel-Stadt.

Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch

Das christkatholische Kirchgemeindearchiv Allschwil-Schönenbuch enthält nicht nur die Akten der eigenen Kirchgemeinde, sondern verwaltet auch die Dokumente der Kirchgemeinde Birsigtal sowie der Landeskirche Baselland, die erst 1952 gegründet wurde.

Die zwei vorhandenen Compactus-Anlagen in einem klimatisch gut kontrollierten Keller (Gesamtkapazität von rund 150 Laufmetern) bieten einen guten Archivstandard und genug Platz für einen grösseren Bestandeszuwachs über viele Jahre. Diese günstige Situation bietet einen angenehmen Arbeitsplatz für archivische Arbeiten und  führte auch zum Beschluss des Kirchgemeinderates,  die wertvollen historischen Bestände im eigenen Hause aufzubewahren und nicht ans Staatsarchiv in Liestal auszulagern. 

Die Menge des vorgefundenen Archivmaterials der drei Bestände betrug ca. 60 Laufmeter und schrumpfte nach der Erschliessung und Aussonderung erfahrungsgemäss auf ca. 20 Laufmeter archivwürdige Akten (ein Drittel wird überliefert); das heisst in der Regel werden die nicht aufbewahrungspflichtigen Finanzakten und anderes, nicht als archivwürdig taxiertes Material vernichtet (kassiert). 

Das Mengengerüst sieht nach der Erschliessung folgendermassen aus (Anzahl Objekte bzw. Behältnisse): Allschwil 130, Landeskirche 15, Birsigtal 23.

Der Autor fand bei Arbeitsbeginn dank der Vorsortierungen von Pfr. Viktor Jungo – er ist Mitautor des inzwischen zur Norm gewordenen christkatholischen Archivplans – schon eine gewisse rudimentäre Ordnung vor. Aufgrund der hervorragenden organisatorischen Voraussetzungen durch das Sekretariat – Danke an Barbara Blättler  – sowie der tatkräftigen Unterstützung durch ein kleines Team von Freiwilligen aus der Kirchgemeinde, konnte das Projekt mit wenig Verzögerung zum Abschluss gebracht werden. 

Interessante historische Quellen mit Lücken

Leider ist eine historische Überlieferung selten lückenlos. So auch bei den Protokollen des Kirchgemeinderates der Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch. Sie sind erst wieder ab 1955 vollständig vorhanden. Es existiert immerhin eine Kopie des Gründungsprotokolls vom 22. Dezember 1872 mit der Abstimmung über die Konversion zum Christkatholizismus. Dafür sind die Jahresrechnungen und Daten zur «Cultussteuer» seit 1874 alle erhalten geblieben.

Dies mag auch der Grund sein, dass es für Allschwil-Schönenbuch keine umfassende Darstellung der Geschichte der Kirchgemeinde gibt, im Gegensatz zur Kirchgemeinde Birsigtal, die 2006 zum 100-Jahre-Jubiläum eine entsprechende Schrift verfasst hat (1906–2006). Für Allschwil gibt es lediglich einen Entwurf einer Geschichte der Kirchgemeinde von Dr. Leo Zehnder aus dem Jahr 1981. Überliefert ist auch die «Geschichte der Kirchgemeinde im Spiegel des ‹Katholik› 1873–1894»; der «Katholik» ist Vorgänger des «Christkatholischen Kirchenblattes». Schliesslich gibt es auch noch die Jahresberichte der Kirchgemeinde an den Synodalrat, die ab 1891 nicht ganz lückenlos überliefert sind (lückenlos im Zen-
tralarchiv in Bern). 

Für die Kirchgemeinde Allschwil-Schönenbuch sind die Pfarr-Register (Taufe, Ehe, Todesfall) ab 1875/1876 noch vollständig erhalten, ebenso das erste Familienbuch der Kirchgemeinde Birsigtal. Die Vorgänger-Register (7 Bände, 1827–1875) befinden sich im Staatsarchiv des Kantons Baselland in Liestal.

Anstelle der Kirchgemeinde-Historik ist dafür die Geschichte der Dorfkirche St. Peter und Paul sehr gut dokumentiert (zwei Monografien im Zusammenhang mit der Innenrestaurierung 1985/1986). Die Restaurationsakten enthalten auch Fotos der Untersuchungen der Denkmalpflege.

  • Innenrestaurierung 1985/1986, Dr. Heyer (Denkmalpflege BL), Dr. Loertscher (Bundesamt für Kulturpflege), Stauffer (Architekten)
  • Allschwil, Alte Dorfkirche St. Peter und Paul, Allschwiler Schriften 1986 (Herausgeber Leo Zehnder und Autoren C. Heydrich, Eugen Herzog, R. Manger sowie M. Stauffer)

Ein sehr interessanter Fund hat der Autor gemacht, als in einem nichtssagenden Bündel von Altakten und Belegen eine handschriftliche Quelle von Bischof Eduard Herzog zum Vorschein kam (Bild unten). Es handelt sich nach Bestätigung der Echtheit der Quelle durch Prof. Urs von Arx, um eine Skizze für einen Weiheritus anlässlich der Einweihung des neuen Friedhofs (Gottesacker) von Allschwil im Jahr 1898, Überschrift: 

«Vorschlag eines Ritus zur Einweihung des Gottesackers.»

Das entsprechende Dokument (elf Seiten) wurde inzwischen digitalisiert und dem bischöflichen Archiv (Bern) übergeben. Neben diesem Dokument, das nicht in der Korrespondenzsammlung von Eduard Herzog enthalten ist, gibt es noch ein paar andere Herzog-Briefe.

Es wäre für die Lokalgeschichte gegebenenfalls interessant, gewisse Dokumentationen zu editieren und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Max Werdenberg hat dies auf dem Gebiet der lokalen Genealogie vorgemacht. 

Kirchgemeinde Basel-Stadt

Im Gegensatz zur günstigen Archivsituation in Allschwil, bot sich in Basel-Stadt ein gegensätzliches Bild. Der grössere Teil des Altbestandes lagerte wohl seit vielen Jahrzehnten im klimatisch unkontrollierten (zu hohe Luftfeuchtigkeit aufgrund der Nähe zum Rhein führte bei einem Teil der Archivalien zu Schimmelbildung) und nicht leicht zugänglichen Keller des Formonterhofs in der St. Johann-Vorstadt. Der Formonterhof beherbergt seit 1942 das Kirchgemeindehaus. 

Schliesslich musste der Autor in Abweichung zur ursprünglichen Schätzung des Ausgangsmaterials einen Erschliessungszuwachs von weiteren 20 Laufmetern bewältigen, die im Sekretariat in der Predigerkirche entdeckt worden waren. Die Erschliessung (ordnen, bewerten, verzeichnen) musste aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse sorgfältig geplant und in einem Zeitfenster von zwei Wochen rasch zum Abschluss gebracht werden, weil die Räumlichkeit wieder der Gemeinde zur Verfügung stehen musste. Insgesamt eine sportliche Leistung, die nur dank Unterstützung von Michael Bangert und Team (der Dank geht an Christian Roth) gelang.

Aufgrund der denkbar schlechten räumlichen und klimatischen Verhältnisse für archivische Zwecke im Keller des Kirchgemeindehauses, stellte sich die Frage einer Auslagerung des historischen Bestandes an das Staatsarchiv. Der Entscheid war aufgrund der geschilderten Situation leicht zu fällen und der Kirchenrat stimmte einer Ablieferung ans Staatsarchiv Basel-Stadt sofort zu, dabei wurde der Schenkungsvertrag einem Depositalvertrag vorgezogen. Die Ablieferung ins Aussenlager des Staatsarchivs (Dreispitz, Münchenstein) erfolgte kürzlich im Juni. Gleichzeitig wurden auch die Akten mit Sonderformaten, gefertigt vom grafischen Zentrum des Bürgerspitals Basel, überführt.

Aktenlücken – Predigerkirche als Errungenschaft

Wie in Allschwil, gibt es auch in Basel-Stadt eine gewichtige Aktenlücke; die Protokolle des Kirchenrates und Kirchenvorstandes – das Vorstandsgremium wurde erst 1997 aufgehoben – fehlen zwischen 1882 und 1931. Zwar existiert das Gründungsprotokoll des Vereins freisinniger Katholiken Basel (1873–1881), aber dazwischen klafft eine Überlieferungslücke. Es ist anzunehmen, dass durch mehrere Umzüge die entsprechenden Akten verloren gegangen sind (die Gemeinde war vor 1942 am Leonhardsgraben, an der Friedensgasse, an der Florastrasse 20 sowie an der Rührbergstrasse zu Hause). Insgesamt zeigt sich in Basel-Stadt ein ähnliches Mengengerüst wie in Allschwil: es existieren rund 150 Objekte (Behältnisse) inklusive Planrollen der Predigerkirche (Totentanz). Dies entspricht rund 20 Laufmetern.

Die Anfänge der Gemeinde sind durch die Aufzeichnungen von Pfarrer Weckerle (1874–1896), durch Pressematerial (1872–1875) sowie durch die Schrift des ersten Präsidenten der Kirchgemeinde, Franz August Stocker, der allerdings bereits 1873 wieder von seinem Amt zurücktrat und künftig als Vizepräsident waltete, gut dokumentiert.

«Die christkatholische Gemeinde Basel» (1881)

Diese kurze Entstehungsgeschichte über die christkatholische Kirchgemeinde Basel enthält herrliche Passagen im damals typisch kulturkämpferischen Ton. Es wird in Erinnerung gerufen, dass die Proklamierung des Unfehlbarkeitsdogmas 1870 die Basler Bevölkerung ziemlich kalt gelassen habe. Es sei bloss um «eine Geschäftsvergrösserung jener römischen Fabrik» gegangen, «in der die Bannstrahlen fabriziert werden und eine Succursale für neue Dogmen gegründet worden war».

Ausserdem nahmen die Staaten gegenüber dem neuen Artikel eine so flaue Haltung ein, dass man annehmen durfte, die neue Marke werde bald wieder als Ladenhüter in die «mittelalterliche Rumpelkammer des Papstthums geworfen werden […] ». Man tat sich also in Basel zusammen, «um dem neuen Importartikel eine geistige Sperre anzulegen» und gründete die christkatholische Kirchgemeinde Basel (formell an der Generalversammlung vom 18. Oktober 1873). 

Ein grosser Teil der Akten bezieht sich auf die Geschichte der Predigerkirche (1969 wurde das 700-Jahre-Jubiläum gefeiert) und deren Restaurierung, die sehr umfangreich dokumentiert ist (1968–1982), da logischerweise auch die Denkmalpflege und die Kantonsarchäologie involviert waren. Dadurch sind auch viele entsprechende Fotodokumentationen von Details der Predigerkirche (ursprünglich die Kirche des Dominikanerordens in Basel) erhalten geblieben. Die Gemeinde bezog im Winter 1877 die Predigerkirche, die zuvor wieder geschmackvoll ohne Beichtstühle hergerichtet worden war. Sie wurde am 23. Dezember im Beisein von Bischof Eduard Herzog sowie Vertretern des Basler Regierung und des Grossen Rates feierlich eingeweiht und markierte «den Beginn einer neuen Epoche in der Existenz der Gemeinde» (Stocker). 

Zum Abschluss sei hier noch eine kleine Anekdote angefügt. 1874 gab es im Grossen Rat eine Eingabe Sarasin, man möge doch die heruntergekommene Predigerkirche «gänzlich demolieren» bzw. abschaffen. Es kam zum Glück anders. Die christkatholische Kirchgemeinde Basel hatte schon früh politisch  darauf gedrängt, man solle die Predigerkirche renovieren, um ein eigenständiges Gotteshaus zu besitzen. Diese Kirche besitzt heute einen unvergleichlichen symbolischen und kulturhistorischen Wert – für unsere Kirche sowie für Stadt und Kanton.

Die Nutzung des Archivbestands richtet sich in Zukunft nach der Benutzungsordnung  des Staatsarchivs Basel-Stadt (Öffnungszeiten beachten). Der Archivträger (die Kirchgemeinde) hat jederzeit auch Zugriff auf Akten innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist.

Ausblick

Die besprochenen Kirchgemeindearchive sind nun verzeichnet und für die historische Forschung über ein Findmittel (Excel-Verzeichnis) zugänglich. Gleichzeitig wurden die Sekretariate instruiert, wie der Zuwachs des Archivs verwaltet wird. Die Kirchgemeinderäte sind sich bewusst, dass es für diese Aufgaben eine klare Verantwortlichkeit in der Gemeinde braucht.

Schliesslich werden die Archivbestände in das Online-Verzeichnis schweizerischer Kirchenarchive eingetragen. Dort sind bereits der Bestand der Christkatholischen Landeskirche des Kantons Aargau sowie die Bestände der Kirchgemeinden Aarau, Magden-Olsberg (und andere mehr) zu finden. Weitere werden folgen, insbesondere noch der grösste erschlossene Bestand unserer Landeskirche, derjenige der Kirchgemeinde Olten.

Als weitere Option steht eine Digitalisierung von Altakten für die historische Forschung im Raum gemäss dem Konzept «Open Data», wo unsere Kirche mit dem Beispiel der Kirchgemeinde Aarau vorangegangen ist (Protokolle aus der Zeit des Kulturkampfes). Vorgesehen ist die digitale Bereitstellung des Gründungsprotokolls von Basel-Stadt von 1873–1881 (Verein freisinniger Katholiken). Man vergleiche die neue Website.

Jürg Hagmann