«Von Ägypten nach Vanuatu…»

50 Jahre Engagement für den Weltgebetstag – Interview mit Heidi Wettstein

Nach 50 Jahren ehrenamtlichem Engagement bei der Feier des alljährlichen Weltgebetstages geht Heidi Wettstein aus Winterthur nun «in Pension». Melanie Handschuh hat mit ihr gesprochen und blickt mit ihr auf diese Zeit zurück.

Melanie Handschuh: Liebe Heidi, der diesjährige Weltgebetstag am 5. März war der fünfzigste, den du gefeiert hast. Wie bist du überhaupt 1971 dazu gekommen?

Heidi Wettstein: Damals sagte eine Kollegin zu mir: «Du bist doch so viel gereist, du musst unbedingt zum Weltgebetstag kommen, es geht um Ägypten.» Und da hat es «mir den Ärmel inegnoh», ich bin dem Weltgebetstag verfallen und war schon im Herbst 1971 das erste Mal bei der kantonalen Vorbereitung mit dabei. Diese Arbeit auf Kantonsebene habe ich auch bis jetzt beibehalten. 2005 kam ich ins nationale Komitee und die letzten 12 Jahre war ich dessen Präsidentin.

Was hat Dich so fasziniert am Weltgebetstag?

Zuerst einmal die verschiedenen Länder, aus denen die Liturgie kommt. Bei manchen Ländern, wie Ägypten, hat man ja ein gewisses Vorwissen aus der Schule, aber darüber hinaus, weiss man nicht viel. Sobald der Weltgebetstag jeweils im März vorbei war, habe ich mich das ganze Jahr für das Land des nächsten Jahres interessiert, ich habe Fernsehsendungen geschaut, habe Artikel und Bücher gelesen. So konnte ich sozusagen indirekt reisen und diese Länder besser kennenlernen, das hat mir sehr gefallen. Zudem arbeite ich sehr gern mit Frauen zusammen, und es war mir immer ein Anliegen, Frauenprojekte auf der ganzen Welt zu unterstützen. Auch die Ökumene, das Zusammenwachsen in der gemeinsamen Arbeit in den 1970er und 1980er Jahren zu erleben, war sehr schön.

Wie läuft der Weltgebetstag ab?

Allgemein ist es so, dass immer am ersten Freitag im März ein Land im Mittelpunkt steht, aus dem die Liturgie kommt. Am 5. März wurde dieses Jahr also in 170 Ländern mit der von christlichen Frauen aus Vanuatu geschriebenen Liturgie innerhalb von 24 Stunden rund um den Erdball gefeiert. Über die WGT-Geschäftsstelle in New York wird jeweils die Liturgie an über 170 nationale WGT-Organisationen verteilt, die sie in ihre Landessprachen übersetzen und den Gemeinden weitergeben. Durch die Feiern entsteht eine Verbundenheit in Gedanken und im Gebet, ein Funke der Hoffnung für Frieden und Toleranz, eine gegenseitige Unterstützung in Worten und Taten. Beten und Handeln lautet das Motto unserer internationalen ökumenischen Organisation von christlichen Basisfrauen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einigen mutigen Frauen in den USA entstand und sich bald weiterverbreitete. Bei uns fand die erste Feier 1936 in der französischen Schweiz statt, initiiert von evangelisch-methodistischen Frauen. 1956 waren wir Christkatholikinnen das erste Mal dabei. Ende der 1960er Jahre kamen dann die römisch-katholischen Frauen hinzu.

Heute gestalten gegen 700 Gemeinden eine ökumenische Feier. Der Verein WGT Schweiz bietet die Unterlagen in all unseren Landessprachen an. Die Mitglieder, inklusive Präsidium und Vorstand, erarbeiten dieses Material in Freiwilligenarbeit. Einzig die beiden Teilzeitangestellten im Sekretariat werden entlöhnt. Unsere Einnahmen sind einzig die Kollekten an den WGT-Feiern im März sowie Spenden und Vergabungen über das Jahr. Unser Ziel ist es, möglichst nach-haltige Projekte zu unterstützen. Ein Teil der Einnahmen geht daher an einjährige Projekte in das Land, in dem die Liturgie geschrieben wurde; der grössere Teil fliesst in mehrjährige Projekte auf allen Kontinenten. Unser Hauptanliegen ist die soziale, wirtschaftliche, schulische und medizinische Unterstützung durch nachhaltige Projekte für Frauen und Kinder, damit ihnen eine Grundlage für die Zukunft ermöglicht wird. Also Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben vor allem in den 1990er Jahren auch viele Frauenprojekte in der AIDS-Hilfe und AIDS-Prävention unterstützt sowie auch in Alphabetisierungsprojekte von Frauen und Kindern investiert. Denn Bildung schützt vor Ausbeutung und Manipulation. Meistens sind die ausgebildeten Frauen dann auch Multiplikatorinnen, sie gehen aufs Land, in die Dörfer und geben ihr Wissen über Verhütung, Hygiene, usw. weiter. Dieses Jahr wird in Vanuatu ein Projekt unterstützt, das eine Radiostation betreibt, die über Frauenrechte, über den Umgang mit Gewalt und über die Rechte der Selbstbestimmung von Frauen berichtet und die Bevölkerung berät.

Wenn du zurückdenkst an die Arbeit als Präsidentin des nationalen Komitees, was ist Dir wichtig?

Das Prägendste war sicher, dass es uns gelungen ist, den Weltgebetstag Schweiz in einen rechtlich geordneten Verein zu überführen. Das hat mich einerseits am meisten Nerven gekostet, mir aber auch am meisten Freude bereitet. So denke ich, dass die Frauen, die nachfolgen, gut aufgestellt sind und der Weltgebetstag Schweiz zukunftsfähig ist.

Dein persönliches Fazit?

Die indirekten Reisen in andere Länder habe ich immer sehr genossen, sie haben in mir grosses Verständnis für andere Kulturen geweckt, ihre Lebensarten, ihre Kunst, ihre Lieder und Musik, ihre Bedürfnisse und Nöte, ihre einzigartigen Gaben. Vor allem aber lernte ich Demut und Toleranz. Persönlich ist der WGT für mich eine Lebenshaltung, darum gilt: «Eine Weltgebetstagsfrau bleibt eine Weltgebetstagsfrau.»

Vielen Dank, liebe Heidi, für das Interview und die vielen Jahre des Engagements!

Melanie Handschuh

Das Komitee in Vanuatu