Ein Kulturweg in Stichworten

Ein thematischer Überblick zum Jüdischen Kulturweg im Surbtal

Zeitzeugen jüdischer Baukultur –
Zwei Synagogen im Surbtal

Synagoge in Endingen

Endingen: Um 1850 zählte die jüdische Gemeinde Endingen rund 1000 Personen und war damit leicht grösser als der christliche Bevölkerungsteil. Trotzdem steht die Synagoge, das grösste Gebäude im alten Dorf, an einer Hinterhofgasse, dem «Hinterstieg» – dies ganz im Gegensatz zum Schwesterbau in Lengnau. Der Grund ist einfach: Hier befand sich bereits die erste Synagoge von 1764. Der Badener Architekt Caspar Joseph Jeuch entwarf eine strenge, klassizistische Fassade und schmückte die Fenster mit maurisch anmutenden Hufeisenbogen. Die Synagoge ist das einzige Gotteshaus im Dorf und trägt daher nicht nur eine Uhr, sondern schlägt auch die Stunden.

Lengnau: Mit ihrer eindrücklichen Schaufront dominiert die Synagoge den Dorfplatz. Sie markiert das Selbstbewusstsein der erstarkten jüdischen Gemeinde, die im Eröffnungsjahr 1847 auf 500 Personen angewachsen war. Die Pläne zeichnete der junge Zürcher Ferdinand Stadler. Den Rundbogenstil leitete er von der Romanik ab. Sie ist mit einer Uhr besetzt, was für eine Synagoge unüblich ist. Die Wandmalereien, ausgeführt von drei Norddeutschen, sind ausschliesslich ornamental, weil das Judentum keine Darstellung von Menschen zulässt.

Doppeltürhäuser

Da die jüdische Bevölkerung schnell anwuchs, benötigte sie im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr Wohnraum. Nur durften Jüdinnen und Juden damals weder Häuser noch Land besitzen. Sie behalfen sich, indem sie sich bauwilligen Christen als Geldgeber anboten und danach einen Hausteil mieteten. Die zwei Eingänge gehen auf eine Bestimmung zurück, wonach Juden und Christen «nicht beieinander wohnen» sollten. So entstanden die charakteristischen «Doppeltürhäuser».

Mikwe – jüdisches Tauchbad

In Endingen und Lengnau befinden sich noch rituelle Tauchbäder. Die Bäder bestanden aus einem Umkleideraum und einem engen, tiefen Becken, zu dem Stufen hinunterführten. Die Becken sind bis heute erhalten geblieben. Sie ermöglichen das vom Ritus verlangte vollständige Untertauchen. Es wird reinstes fliessendes Wasser benötigt. Zur Endinger Mikwe gehörte eine eigene Quelle. Viele Fromme nehmen vor Fest- und Fasttagen ein rituelles Tauchbad. Personen, welche zum jüdischen Glauben übertreten, sind zum Untertauchen in der Mikwe verpflichtet, ebenso Frauen nach der Menstruation und nach einer Geburt. Auch aus nichtjüdischer Hand erworbenes oder rituell unrein gewordenes Geschirr muss der Zeremonie des Untertauchens unterzogen werden.

Schlachthaus

Im Vorgängerbau des heutigen Gemeindeschlachthauses erfolgte das rituelle Schlachten durch jüdische Metzger (hebräisch Schochet). Mit einem einzigen Schnitt wird die Kehle des unbetäubten Tieres durchschnitten. Das Tier muss möglichst vollständig ausbluten, da der Verzehr von Blut in der jüdischen Kultur verboten ist. In der Schweiz ist das Schächten von Säugetieren seit der Annahme einer Volksinitiative 1893 verboten. Seither muss koscheres, also reines Fleisch aus dem Ausland eingeführt werden.
Matzenbäckerei

Haus mit Doppeltüren in Endingen

Mit diesem einfach gestalteten Gebäude deckte die jüdische Gemeinde 1813 viele Bedürfnisse ab: Hier tagten Vorsteherschaft und stimmfähige Männer. Tagsüber wurde Schule gehalten, während sich im Keller das rituelle Bad befand. Nach dem Bau eigener Gebäude für Bad und Schule wurde es als Wohnhaus weitergenutzt. Zwischen 1875 und 1910 betrieb Samuel Daniel Guggenheim darin eine Matzenbäckerei. Matzen sind ungesäuerte Fladenbrote. Sie werden in der Pessach-Woche verspeist und erinnern an die Befreiung aus Ägypten. Denn beim Aufbruch blieb keine Zeit, den Teig für die Brote gehen zu lassen.

Friedhof

1750 erhielten die Surbtaler Jüdinnen und Juden die Erlaubnis, an der Landstrasse zwischen Endingen und Lengnau Land für einen Friedhof zu kaufen. Dies bedeutete, dass sie mit einer dauernden Ansiedlung rechnen konnten. Vorher mussten sie ihre Toten auf einer Rheininsel bei Koblenz bestatten – im Niemandsland zwischen der Eidgenossenschaft und Vorderösterreich. In der Schweiz existiert kein älterer jüdischer Friedhof. Er zählt rund 2700 Gräber, und nach wie vor werden Verstorbene hier bestattet; jeder kann auf die Steine seinen Stein legen als Zeichen der Verbundenheit – oder um damit symbolisch am gemeinsamen Haus zu bauen. Gemäss der jüdischen Begräbniskultur ruhen die Verstorbenen bis zum Tag der Auferstehung.

Zur Beschreibung zur Baukultur siehe weitergehende Ausführungen in der Broschüre zum Jüdischen Kulturweg und im neu erschienenen Buch: Jüdischer Kulturraum Aargau, Jacques Picard und Angela Bhend (Hg.), Hier und Jetzt, Baden und Zürich 2020.

Niklas Raggenbass
Bild und Text


Wiegenlied aus Endingen im Surbtaler jiddisch

Ajele bobajele,
Wie geht’s e sau zu?
Wenn mer will esse,
So het mer ka Ruh’;
Wenn mer will trinke,
So hot mer ka Wai;
Wenn mer will schlaufe,
Fallt s’Bettstättle-n-ai!

Surbtaler Hutzelweggen zu Chanukka

Zutaten: 1, 5 kg gedörrte Birnen. 500 g gedörrte Zwetschgen. 500 g gedörrte Feigen. 500 g dunkles Mehl. 250 g Baumnüsse, grob gehackt. 250 g Rosinen. 250 g Rohr- oder Kandiszucker. 1 Tasse Zitronat oder Orangeat gemischt. 1 Glas Kirsch. 1 1/1 Päckchen Backpulver. 1 TL Salz. 1 TL Nelkenpulver.

Zubereitung: Birnen und Zwetschgen über Nacht einweichen. Das Einweichwasser aufbewahren. Die Früchte entsteinen und schneiden. Alle Zutaten mit einem Teil des Einweichwassers in einer grossen Teigschüssel vermengen, gut mischen, bis eine noch feuchte Masse entsteht. Hutzelweggen formen, auf ein Blech geben und ungefähr 30 Minuten bei mittlerer Hitze backen. Die fertigen Brote noch heiss mit dem restlichen warmen, gesüssten Einweichwasser bestreichen.
(Käthi Frenkel-Bloch, Back und Kochrezepte aus dem Surbtal)


Informationen zum Jüdischen Kulturweg

Selbständig den Weg zurücklegen:
15 gut sichtbare und informativ gestaltete Tafeln geben Orientierungshilfen und Erklärungen. Der ganze Weg lässt sich das ganze Jahr zu Fuss oder teilweise mit dem öffentlichen Verkehr gut zurücklegen: Ganze Strecke: 4, 5 Kilometer – reine Wanderzeit ungefähr 1 1/2 Stunde.
Broschüren sind abrufbar unter www.juedischerkulturweg.com, oder sie lassen sich bestellen.

Synagogen und Friedhof sind geschlossen:
Die Schlüssel können beim jüdischen Altersheim Margoa (Grabenstrasse 9 in Lengnau) abgeholt werden. Führungen sind sehr zu empfehlen. Es wird sehr Berührendes und Wissenswertes von den Jüdinnen und Juden, den Christinnen und Christen in Geschichte und Gegenwart berichtet – eine lebendige Tradition.

Informationen und Reservationen für Gruppen:
Geschäftsstelle Jüdischer Kulturweg Endingen Lengnau
Zürichstrasse 34, CH-5426 Lengnau, T +41 (0)56 266 50 10
info@juedischerkulturweg.com
www.juedischerkulturweg.com
www.doppeltuer.ch