Gold der Bäume – Wohlgeruch und Nähe Gottes

Weihrauch

Weihrauchbaum am natürlichen Standort im Süden von Oman. Weihrauch ist das Harz von Bäumen der Gattung Boswelia. Sie wachsen in Ländern wie Somalia, Sudan, Eritrea, Oman und Jemen.
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Als ich unseren MinistrantInnen in Hellikon beim Vorbereiten des Weihrauchfasses vor dem Gottesdienst sagte, dass die Körner im «Schiffli» – Behälter, in dem der Weihrauch liegt – in früheren Zeiten einmal wertvoller als Gold waren, schauten sie noch etwas ungläubig genau hin, um nachher fast mit Ehrfurcht den Weihrauch auf die glühende Kohle zu legen.

Diese gelbweissen Brocken gehörten in der Antike zu den kostbarsten Dingen überhaupt. Bis heute ist es recht aufwendig und zeitraubend, Weihrauch zu gewinnen. Neben dem teuren Herstellen war es auch seine symbolische Bedeutung, die ihn so kostbar machte. Der Harz verweist auf etwas Göttliches, wie sein aromatisch duftender Rauch, der sich beim Verglühen von Weihrauch bildet und in den Himmel steigt. «Im göttlichen Wohlgeruch» sah man eine Form der Offenbarung, ein Zeichen göttlicher Nähe.

Weihrauch steigt auf wie ein Gebet

Weihrauch steht für eine ganze Reihe von Dingen. Vor allem steht er für Reinigung, Verehrung, Heilung und Gebet. Das wertvolle Harz zählte zu den Schätzen des Jerusalemer Tempels (Nehemia 13, 5) und das Beweihräuchern, Inzensieren, galt als Gottesverehrung schlechthin: «Das Räucherwerk, das du bereiten wirst, soll dir ein Heiligtum sein, Gott zu ehren» (Buch Exodus 30, 37). Und es sind «goldene Schalen voll Räucherwerk», die als «Gebete der Heiligen» gedeutet werden (Offenbarung 5, 8). Auch unsere Gebete werden mit Weihrauch verbunden: «Wie Weihrauch steige mein Gebet auf zu dir» (Psalm 141, 2) – so bei der Weihrauchdarbringung als Abendpsalm (Gebet und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche Nr. 72). In der Bibel wirken manche Engel oft als Boten, die eine Nachricht bringen oder denen eine Nachricht mit auf den Weg gegeben werden kann. Wie einem Briefträger können wir den Engeln unser Gebete anvertrauen: «Aus der Hand der Engel stieg der Weihrauch mit den Gebeten der Heiligen – Christinnen und Christen aus Jerusalem – zu Gott empor» (Offenbarung 8, 4).

«Guter Gott: Wir bitten dich, nimm unsere Bitten an, lass unser Gebet wie Weihrauch vor dir aufsteigen und sende uns herab deine göttliche Gnade und die Gabe des Heiligen Geistes.»
Aus dem koptischen Stundengebet

Atem der Göttlichkeit

Kein anderer Duft hat eine solch grosse Verehrung erfahren wie der Weihrauch, den man als göttlich empfand und in dem man Gott wahrnahm. Nach der Deutung des Kirchenvaters Origenes (gestorben 254) verweist der Weihrauch im besonderen auf die Göttlichkeit von Jesus, als sei er der Nimbus des Sohnes Gottes. So ist es kein Zufall, dass die drei Sterndeuter unter ihren Geschenken den Weihrauch hatten. Was in der Bibel nur der Evangelist Matthäus überliefert, hat die Fantasie vieler Christinnen und Christen immer wieder herausgefordert. Kaum eine biblische Geschichte ist von Künstlerinnen und Künstlern so oft dargestellt worden. Ein Mosaik aus dem 6. Jahrhundert in der Basilka Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna zeigt die drei Weisen aus dem Morgenland mit phrygischen Mützen – nach einer anderen Tradition waren sie Könige. Die Reisenden tragen in den Händen die kostbaren Geschenke, die sie dem Kind bringen wollen: «Die drei Sterndeuter sahen das Kind, sahen Maria, seine Mutter, und fielen vor ihm nieder. Dann holten sie ihr Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben» (Matthäus­evangelium 2, 11). Das in der Geschichte mit «Sterndeuter» übersetzte griechische Wort (màgoi) war der Name einer persischen Priesterkaste, die sich mit Sternkunde und Astrologie befasste. Wer sich mit dem Lauf der Gestirne auskannte, war in der Antike, als es noch keine Navigationsgeräte und moderne Wetterstationen gab, jemand mit immensem Einfluss. Die Sterndeuter kannten sich im Himmelszelt aus, hatten fast königliche Macht. Jeder, der das Matthäusevangelium las, wusste, dass die Sterndeuter einflussreiche Persönlichkeiten waren und sie führten Geschenke mit, die nur eines Königs würdig waren. Mit ihnen sollte ein neues königliches Programm zum Ausdruck kommen – dargelegt im Evangelium, wo Matthäus mit der Bergpredigt sehr schnell zur Sache kommt. Das Weihrauchharz unterstrich die göttliche Herkunft des Beschenkten und damit die Bedeutung von allem, was durch das Christkind einst geschehen wird.

Das Mass aller Dinge

Allerdings gäbe es keinen Weihrauch in der jüdischen und christlichen Religion ohne die Duftkultur der Ägypter, die übernommen und verändert ins Eigene, ins Jüdische und Christliche, eingebaut wurde. Wir erkennen darin unsere Bräuche, wenn wir wissen, dass für die Ägypter der Weihrauch purer Inbegriff der Göttlichkeit und sein Duft identisch mit den Göttern selbst war: Über dem aufsteigenden Rauch trat man mit den Göttern direkt in Verbindung. Auch in der griechischen Duftkultur galt der Weihrauch als Mass aller Dinge und dies hatte grossen Einfluss auf die anderen Religionen. Plutarch (um 45 bis um 125 v. Chr.) berichtet von Alexander dem Grossen (356 bis 323 v. Chr.), dass ihn sein Erzieh-er, der Philosoph Leonides, tadelte, denn er sei bei einer Opferfeier zu grosszügig mit dem Weihrauch umgegangen. Dies sollte Alexander erst tun, wenn er die Weihrauch produzierenden Länder unterworfen habe. Nach der Einnahme von Gaza schickte Alexander dem Philosophen augenzwinkernd 500 Talente Weihrauch – ein Talent entsprach 37 Kilogramm. Die Duftkultur der Römer als dritte im Bunde der Leitkulturen stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten und auch der römische Gebrauch des Weihrauchs wirkte sich sehr stark auf die Bedeutung des Weihrauchs für die Christinnen und Christen aus.

Die Weihrauchstrasse – eine jahrtausend alte Handelsroute

Weihrauch war schon lange vor Christi Geburt eine gesuchte und hochbezahlte Handelsware, deren Ursprung man geheimhielt. So wurden etwa komplette Ernten aus Afrika und Arabien nach Ägypten und Rom geliefert. Entlang der Stationen Oman-Jemen-Hedschas-Gaza-Damaskus führte die «Weihrauchstrasse», die als eine der ältesten Handelswege der Menschheit gilt. Auf der Weihrauchroute, die 3000 Kilometer lang war und sich mit der 10 000 Kilometer messenden Seidenstrasse aus China verband, brachte man das «Gold der Bäume» in die Gegenden der Alten Welt, wo es in den Kulturen und Religionen eine wichtige Rolle spielte. Bedeutsam etwa als kultisches Räucherwerk oder als Heilmittel gegen Schmerzen und Entzündungen. In den Zentren der antiken Welt war die geographische Herkunft ein Geheimnis. Man erzählte sich Geschichten vom mythischen Vogel Phönix, der die Weihrauchbäume in seinen Klauen von Ort zu Ort trug oder von geflügelten Schlangen, die alle Weihrauchbäume bewachten. Hinter diesen Märchen wie aus 1001 Nacht versteckte sich eine Vernebelungstaktik der Araber. Aus der Mischung von Geheimnis, Monopol, angsteinflössenden Geschichten, Handelsinteressen und Bedrohungen wollte man unberechtigte Neugierige fernhalten.

Weihrauchharz
des omanischen Weihrauchbaumes. Hauptsächlich wird das Harz von Boswellia sacra, Boswellia papyrifera, Boswellia serrata, oder Boswellia frereana gewonnen, die jeweils einen leicht unterschiedlichen Harztyp erzeugen.
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Der luftgetrocknete Wundsaft

Es gib verschiedene Weihrauchsorten. Zu den wichtigsten zählt die Boswellia sacra aus Arabien, die Boswellia serrata aus Indien und die Boswellia carteri aus Afrika. Insgesamt finden 25 Boswellia-Arten für die Gewinnung des Olibanumharzes Verwendung. Der mittelgrosse, baumförmige bis zu 5 Meter hohe Strauch mit seinen beerenartigen Steinfrüchten ist wild wachsend. Meist steht er in Flussläufen, in denen nur nach Regenfällen Wasser fliesst. Es gelang bisher nicht, den Weihrauchbaum oder Olibanum in Plantagen zu kultivieren – allen Versuchen zum Trotz. Je nach Herkunftsland oder Erntezeitpunkt gibt es grosse olfaktische Unterschiede, weil die Ernte in verschiedene Perioden unterteilt wird. Man gewinnt den Saft, indem man den Baum provoziert. In der heissesten Jahreszeit im März und April ritzt man die Rinde vom Stamm und den Ästen der kleinwüchsigeren Bäume an, wodurch die klebrigmilchige Flüssigkeit herausfliesst. Ein Baum kann je nach Grösse 3 bis 10 Kilogramm Harz geben. Geerntet wird in einem Zeitraum von drei bis vier Monaten. Neben kleinen Weihrauchklümpchen werden auch Harz­stücke von 100 Gramm Gewicht gesammelt. Bald entsteht dann nach der Trocknung in der Luft das Weihrauchharz, in dem ein ätherisches Öl enthalten ist, das beim Verglühen den bekannten Duft verbreitet. Die Sammelwirtschaft und der Handel mit Weihrauch haben in Asien und Afrika noch heute eine grosse wirtschaftliche Bedeutung. Die reformierte Pfarrerin vom Wegenstettertal Irina van Bürck, war im Frühling 2022 in Oman auf einem grossen Markt und staunte über die sehr grosse Anzahl und die vielen unterschiedlichen Weihrauchsorten. Es waren eklatante preisliche, optische und geschmackliche Unterschiede.

Hippokrates und Apothekerkunst des Moses

In der Medizin Indiens und des Vorderen Orients ist Weihrauch fast gegen alles wirksam. Es hat betäubende und berauschende Wirkung und hilft besonders gegen Infektionen, Magen-Darm-­Erkrankungen, Atemwegsbeschwerden, Leberentzündungen, Hauterkrankungen, Warzen, Krebs, Schmerzen, um nur einiges zu nennen. Sein Rauch besitzt auch desinfizierende Wirkung. Das rührt daher, dass sich die Terpene im Weihrauchharz durch den Vorgang des Verräucherns in Phenole umwandeln. Phenole sind eine Inhaltsstoffgruppe, die in starken aromatischen Pflanzen wie Zimt, Thymian oder Nelken vorkommt. Der griechische Arzt Hippokrates (um 460 v. Chr.) zählt in seinen Schriften den Weihrauch zu den am häufigsten empfohlenen Heilmitteln. Heutige Untersuchungen von Weihrauchöl haben über 30 Inhaltsstoffe mit antibakterieller Wirkung nachgewiesen. So wundert es nicht, wenn auch die Bibel den Weihrauch als Heilmittel aufführt und eine Heilung mit der göttlichen Kraft verschränkt. Durch die Anweisung Gottes an Moses zu einer Räuchermischung wurde auch das duftende Harz beigemischt, wovon eine heilende Wirkung ausging: «Gott sprach zu Mose: Lass dir Spezereien bringen, nämlich Balsam, Onyx und Galban und reinen Weihrauch, von jedem gleich viel. Mache davon ein Räucherwerk, eine Zubereitung nach Apothekerkunst, wohlvermischt, rein ein Heiligtum. Zerstosse etwas davon zu einem feinen Pulver und lege dies vor das Zeugnis im Stiftszelt» (Buch Exodus 30, 34–36).

Bestandteil der Liturgie

Im Alten und im Neuen Testament spielt der Weihrauch eine grosse Rolle. Trotz-­ dem fand er in der frühen Kirche zu­ nächst keine Verwendung. Man wollte die «heidnischen» Bräuche nicht über-­ nehmen. Doch wie den Weihrauch ab-­ lehnen, wenn die «Heiden» dem Chris-­ tuskind mit Weihrauch huldigten und er bei den anderen Religionen so beliebt war? Es brauchte noch etwas Zeit bis unter dem römischen Kaiser Konstantin (zwischen 270 und 288 bis 337) das Christentum salonfähig und der Weih­rauch eingeführt wurde, ganz auf die christliche Kernbotschaft konzentriert. Seither ist die Verwendung von Weihrauch fester Bestandteil in den Gottesdiensten der Kirche. Heute ist er neben anderen Kirchen in der orthodoxen, alt-orientalischen, römisch­katholischen, anglikanischen und christkatholischen Kirche in Gebrauch. Die Schulung in der Kunst des fachgerechten Schwingens eines Weih­rauchfass­es gehört auch heute noch zu jeder Ministrantinnen- und Ministran­tenausbildung.

Niklas Raggenbass


Gabriela Stark
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«Nichts kann den magischen Zauber des Augenblicks so einfangen und in unserem Gedächtnis unauslöschbar einprägen wie ein Duft.» Gabriela Stark, Aromakologin

D. Martínez, K. Lohn, K. Janzen
Weihrauch und Myrrhe: Kultur­geschichte und wirtschaftliche Bedeutung , Botanik, Chemie, Medizin.

Das Buch beschreibt den geschichtlichen Teil der beiden Harze, geht auf die chemischen Inhaltsstoffe ein, erklärt die botanischen unterschiedlichen Spezies, die Anbaugebiete und ihre medizinische und kulturhistorische Verwendung.

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Dieses Buch widmet sich der Kulturgeschichte der Wohlgerüche. Das biblische Israel, der Orient, Indien, China, die griechische und römische Antike, das Mittelalter und die Neuzeit sind Stationen auf der Reise durch die Welt der Düfte.

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