«Ich seh sie tatsächlich hin- und hersegeln auf ihren Küchenmeeren.»

«Eine starke Frau, wer findet sie?» – Gedanken zum Muttertag

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Es reicht für mich nicht, all die Mütter und Frauen zu loben, solange die Haus- und Familienarbeit immer noch weitgehend als ein und alles für Frauen, und als nichts für Männer gesehen wird.

Liebe Frauen und Männer

In Bella Chagalls liebevoller Schilderung ihrer Kindheit beschreibt sie, wie ihre Mutter den Sabbatsegen über die Kerzen spricht: «Mamas Hände leuchten im Kerzenschein wie die Gesetzestafeln in der Bundeslade. Es ist, als ob göttlicher Schein den Raum erfüllte.» Immer wenn orthodoxe Juden und Jüdinnen den Sabbat feiern, wird das Lob der starken Frau vorgelesen, um die Frau des Hauses und ihre Arbeit zu würdigen. Dann ist es für die gläubigen Menschen vielleicht auch ein bisschen so, als ob göttlicher Schein den Raum erfüllte. Denn die Dinge, die sonst nur Gott selber erhellen und von ihm sagen, sagen und singen im Buch der Sprichwörter von der Frau: die Perlen, das Kleid aus Kraft und Hoheit, das Leinen und der Purpur, das Brot, der Weinberg.

Im ersten Testament werden nur die Moabiterin Rut, und die tüchtige Frau stark genannt, und weiss Gott, das ist sie! Sie steht Haus und Hof vor, Mägden und Knechten. Sie verschafft ihrem Mann Reichtum und Ehre. Sie tätigt Rechtsgeschäfte, kauft Äcker und Weinberge. Sie stellt her und verkauft, ohne dabei je ihren Haushalt zu vernachlässigen. Ich stelle mir all die Kammern, Truhen und Schachteln vor, gefüllt mit Schönem und Gutem, mit Wärmendem und Nährendem. Tag und Nacht überlegt sie, die Frau, gibt sie, macht sie, ist sie besorgt und gottesfürchtig und optimistisch, stark und unermüdlich. Sie gleiche den Schiffen des Kaufmanns, sagt ihr Lob, und ich seh sie tatsächlich hin- und hersegeln auf ihren Küchen- und Feld- und Geschäftsmeeren, und ich frage mich, was steuert eigentlich ihr Mann zum Lebensunterhalt bei?

«Im ersten Testament werden nur die Moa­bi­terin Rut und die tüchtige Frau stark genannt, und weiss Gott, das ist sie!»

Er, von dem es heisst, dass er in den Torhallen geachtet sei, wenn er zu Rate sitzt mit den Ältesten des Landes? Und auch ihn seh ich, wie er da sitzt, den ganzen Tag, an den öffentlichen Sitzungen des Stadtrates. Wer es sich leisten kann, verbringt seine Tage so, und entscheidet über das Wohl der Stadt. Und wahrlich, unser Mann kann es sich leisten!

Was im Bibeltext an Frauenstärke beschrieben ist, das wurde von Männern beschrieben, als ihre Vorstellung. Die starke Frau scheint Morgen für Morgen taufrisch aus dem Bett zu springen, wenn sie denn überhaupt drin war. Wenn ich morgens aufstehe, fühle ich mich oft noch müde und meine Beine und Arme, und auch der Schlaf auf mir sind noch schwer. Ich weiss schon heute, dass ich nie mit meinen beiden Händen einen ganzen Weinberg werde pflanzen können, höchstens auf dem Balkon eine Gurke ziehen oder eine richtig schöne Tomate, und das würd’ mich dann schon sehr freuen! Ich lese auch lieber, nur für mich, als dass ich etwa andere bestrickte, und das ist auch besser so bei meinen Strickkünsten, und in der Nacht erlöscht meine Lampe immer. Die Frau, die die Männer geschaffen haben, spottet der drohenden Zukunft, mir macht sie oft Angst, und Kraft und Würde sind nicht mein alltägliches Kleid, höchstens mal ein, zwei Stunden lang.

Eine starke Frau, wer findet sie?

Ich, ich hab sie gefunden! Sie wohnt an der Weinberglistrasse und im Matthofgarten. Auch am Imfangring ist sie zuhause und am Grimselweg. Im Hirtenhof lebt sie und am Alpenquai. Sie ist da für ihren kranken Mann und ihre alte Mutter und ihre betagte Nachbarin, die sich nicht mehr so zurechtfindet. Sie zieht ihre Kinder alleine gross und schafft es, dass sie im Sommer gar das Meer sehen. Sie sitzt – gut vorbereitet – im Grossrat und wägt ab und ergreift das Wort. Sie hat eine Engelsgeduld und manchmal einfach genug. Sie organisiert den Haushalt neben ihrer Erwerbsarbeit und hat abends Pfarreirat oder Vorstandssitzung.

«Die starke Frau scheint Morgen für Morgen taufrisch aus dem Bett zu springen, wenn sie denn überhaupt drin war.»

Sie schleppt tonnenweise Lebensmittel nach hause, sie kontrolliert Hausaufgaben, sie steht nachts auf, wenn ihr Kind hustet und entwirft – wo sie doch schon grad wach ist – in ihrem Kopf den Leserbrief. Sie geht am Muttertag zur Kirche und hört davon, wie der Mann der starken Frau sich in seiner Torhalle erhebt und seine Gattin rühmt, und sie denkt: also mir, mir käm’ der gerade recht!

Nein, mit Rühmen allein, ist’s nicht getan, und mit dem Muttertag auch nicht. Und es reicht für mich auch nicht, die Familie unablässig als wichtigste Zelle des Staates und der Kirche und überhaupt zu besingen, und dann im Juni die Mutterschaftsversicherung wieder bachab zu schicken. Es reicht für mich nicht, all die Mütter und Frauen zu loben, solange die Haus- und Familienarbeit immer noch weitgehend als ein und alles für Frauen, und als nichts für Männer geschehen wird.

«Sie zieht ihre Kinder alleine gross und schafft es, dass sie im Sommer gar das Meer sehen. Sie sitzt – gut vorbereitet – im Grossrat und wägt ab und ergreift das Wort.»

Wenn wir uns dann eines Tages miteinander sorgen um das, was unsere Kinder kümmert und was sie brauchen, und wenn wir dabei noch spüren, dass die Sorge Sinn macht, und wenn wir dann miteinander die Hausarbeit tun und sehen, dass sie auf Ordnung und auf eine alltägliche Schönheit ausgerichtet ist, dann wird das sein, grad als ob ein wenig göttlicher Schein die Räume zu erfüllen begänne, die Küchen und Badezimmer, die Treppenhäuser und Stuben, und ich seh die Hände der Mütter und Väter leuchten in diesem Schein, fast wie die Gesetzestafeln in der Bundeslade!

Jacqueline Keune


Foto: Jutta Vogel

Zur Person
Geboren 1961 in den Niederlanden, aufgewachsen im Sensebezirk.
Religionspädagogische Ausbildung, Theologiestudium (3. BW), Weiterbildung in Themenzentrierter Interaktion und Literarischem Schreiben, langjährige Pfarrei- und Redaktionsarbeit, heute freischaffende Theologin.