Von Widerstand zu Akzeptanz

Kirchenschliessungen als Glaubensherausforderung

Wenn eine Kirche geschlossen werden muss, wirft das auch Sinnfragen auf. Vier Pfarrerinnen, die ihre Kirchgemeinden auflösen mussten, versuchen Antworten darauf zu finden. Und liefern damit auch Impulse für die Christkatholische Kirche.

Der neue Probe- und Konzertsaal in der ehemaligen Kirche Don Bosco, Basel. Bild: Regula Vogt / Kirche heute.

Es ist eine bekannte Tatsache: In den westeuropäischen Ländern sind die Mitgliederzahlen vieler Kirchen seit den 1970er Jahren markant zurückgegangen. Das hat sichtbare und spürbare Folgen: Es sitzen weniger Gläubige in den Gottesdiensten, weniger Kinder besuchen den Religionsunterricht, es fehlt an Pfarr-Nachwuchs und die Finanzen schrumpfen. Immer häufiger kommt es auch dazu, dass Kirchengebäude geschlossen, Kirchgemeinden fusioniert und Klöster aufgelöst werden müssen. So wurden zum Beispiel in Deutschland zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2017 über 500 römisch-katholische Kirchengebäude aufgegeben, neben Umnutzungen kam es dabei auch zu vielen Abrissen. Einige dieser Trends sind – wenn auch auf zahlenmässig niedrigerem Niveau – auch in der Christkatholischen Kirche der Schweiz zu beobachten.

Diese Entwicklung ist schmerzhaft. Was gilt es also zu tun? Sollen wir diese Entwicklung ignorieren und versuchen, uns auf die positiven Momente im Kirchenleben zu konzentrieren? Sollen wir sie bekämpfen, und wenn ja, wie? Oder sollen wir sie wir sie akzeptieren und lernen, einen Umgang damit zu finden – und vielleicht sogar einen Sinn?

Scheu vor dem Tabuthema

Ein Blick in die aktuelle wissenschaftliche und Ratgeber-Literatur zeigt: Die Möglichkeit, dass eine Kirche „sterben“ könnte, wird selten thematisiert, sie ist eine Art Tabu. Die kürzlich verstorbene Schriftstellerin Joan Didion schildert in ihrem Buch „Das Jahr des magischen Denkens“ ein bemerkenswertes Muster von trauernden Menschen. Didion beschreibt, wie sie nach dem Tod ihres Mannes in ein kindliches magisches Denken verfiel und sich verhielt, als könne sie mit ihrem Verhalten diesen Tod im Nachhinein ungeschehen machen. Sie fand es jeweils erschütternd, wenn Nachrufe in Zeitungen erschienen, es beschlich sie eine Art Schuldgefühl. Indem sie zugelassen hatte, dass die Nachrufe erschienen, hatte sie – in der Logik dieses magischen Denkens – zugelassen, dass nun auch andere Menschen dachten, dass ihr Mann tot war. Und damit hatte sie zugelassen, dass er bei lebendigem Leibe beerdigt wurde. Mir scheint, dass ein solches Denken auch im Umgang mit der Möglichkeit des „Sterbens“ einer Kirche eine Rolle spielt. Vielleicht will man nicht hinschauen, weil man Angst hat, die Kirchenschliessung geradezu zu provozieren, wenn man sie als Möglichkeit akzeptiert.

Vier Erfahrungsberichte

Tabus können lähmen, und hinschauen kann befreien – das ist eine Grundüberzeugung von mir. Ich entschloss mich deshalb, mich in meiner Masterarbeit mit Texten von Personen auseinanderzusetzen, die eine Kirchenschliessung erlebt hatten und machte mich auf die Suche nach entsprechenden Erfahrungsberichten. Dabei stiess ich auf die Texte von vier Pfarrerinnen aus verschiedenen amerikanischen Kirchen, die in den letzten 10 Jahren eine Kirchenschliessung erlebt hatten und diese Erfahrung theologisch reflektierten: Janet B. Thomas, die eine afroamerikanische Pfingstkirche geleitet hatte, L. Gail Irwin, eine ordinierte Pfarrerin der United Church of Christ und der Presbyterian Church und die beiden Priesterinnen Anna B. Olson und Gail Cafferata, die beide der Episcopal Church angehörten.

Widerstand und Tabuisierungen

Die Autorinnen setzen in ihren Werken unterschiedliche Schwerpunkte, sie stammen aus verschiedenen Teilen der USA und aus unterschiedlichen Kirchen. Dennoch finden sich in ihren Texten viele Gemeinsamkeiten.

Alle vier Pfarrerinnen schildern, dass sie sich lange Zeit vehement gegen eine Kirchenschliessung gewehrt haben. Diese Zeit des Widerstandes erlebten sie als auslaugend und schmerzhaft. Es war eine Zeit im Schatten eines Tabus – nämlich der Vorstellung, dass eine Kirche auf keinen Fall geschlossen werden darf. Dieses Tabu belastete sie stark. Die Pfarrerinnen schildern, dass sie sich isoliert fühlten und ein mögliches Ende ihrer Kirchgemeinde als persönliches Scheitern erlebten, das auf jeden Fall verhindert werden musste. Schliesslich zwang eine ausweglose Situation – hoffnungslos marode Kirchengebäude, unüberwindbare finanzielle Probleme, eskalierende Konflikte oder definitive Entscheide der Kirchenleitung – sie dazu, die Kirchenschliessung zu akzeptieren.

Kirche St. Lambertus Immerath, Deutschland. © Superbass / CC-BYSA- 4.0.

Kein Unfall, sondern notwendige Aufgabe

In dem Moment, als sie dies taten, begannen sie umzudenken und die Situation neu zu deuten. Sie merkten, dass sie ihre Kirchgemeinde mit der unsichtbaren, unsterblichen Kirche Christi identifiziert hatten. Kirchgemeinden als soziale Gefüge sind aber nicht für die Ewigkeit geschaffen, sondern können, wie alles vom Menschen Geschaffene, aufhören zu existieren. Veränderungen gehören zum langen Weg Gottes mit ihrem/seinem Volk. Kirchenschliessungen können daher eine notwendige Etappe auf diesem Weg sein, sie müssen nicht als Unfälle verstanden werden, die auf jeden Fall verhindert werden müssen. Es wird etwas auf die Kirche, wie sie die Pfarrerinnen bisher kannten, folgen – was es aber sein wird, wissen diese jedoch noch nicht. Die Pfarrerinnen finden so zu einem neuen Verständnis ihrer Rolle und zu einem neuen Sinn in ihrem Tun: Sie sind nicht mehr Retterinnen der Kirche, sondern übernehmen die wichtige und notwendige Aufgabe, die Kirche gut zu Ende zu führen. Und diese Aufgabe kann Sinn machen.

Impulse für die christkatholische Kirche

Können die Erkenntnisse der vier Pfarrerinnen auch für die christkatholische Kirche fruchtbar sein? Hier seien vier mögliche Impulse diskutiert – in der Hoffnung, dass die Diskussionen noch weitergehen:

  • Konkrete Kirchgemeinden und Konfessionen sind, wie Menschen, verletzlich und vergänglich. So wie der irdische Leib Christi ein verwundbarer Leib war, ist auch die erlebbare Kirche eine verwundbare Kirche. Es ist deshalb möglich, dass Kirchgemeinden und andere kirchliche Strukturen aufhören zu existieren. Als Kirchenmitglieder kommen wir nicht umhin, diese Vergänglichkeit zu akzeptieren und den möglichen Schmerz in Kauf zu nehmen.
  • Tabuisierung isoliert, Akzeptanz verbindet: Kirchen können eine Schliessung gut bewältigen. Indem die Mitglieder ihre Ängste, ihre Sorgen und ihre Trauer ansprechen, können sie miteinander verbunden und dadurch eine Gemeinschaft bleiben, auch in einer Schliessung.
  • Verwundbare Kirchen – wie die kleine christkatholische Kirche – können Vorbild sein und so eine sinnvolle Aufgabe erfüllen. Sie machen etwas sichtbar, was im Skript des gesellschaftlichen Mainstreams, in dem Aufgeben und Misserfolg Tabus sind, nicht vorgesehen ist. Dabei führt der rasante gesellschaftliche Wandel heute vermehrt dazu, dass Menschen etwas beenden müssen: Familienbetriebe schliessen nach mehreren Generationen, Vereine hören auf zu existieren. Eine Kirche, die ihre „Sterblichkeit“ als Möglichkeit akzeptiert und sich nicht von Angst davor lähmen lässt, kann diesen Menschen aufzeigen, wie diese Erfahrung gut und versöhnlich bewältigt werden kann.

Stefanie Arnold