Fasnachtsgottesdienst „Narri, Narro“ – zur Freude ist der Mensch gemacht

(cg) Samstag, 4. Februar 2023 – Nacht vor Vollmond – etwas Besonderes?

Oh ja, was sich abends an diesem 4. Februar in der christkatholischen Kirche in Möhlin zugetragen hat, das will ich berichten.

17:40 – Ich dränge mich in die Kirche rein. Unglaublich, ich muss anstehen, um reinzukommen. «Was passiert hier?», frage ich mich. Um mich herum viele kostümierte und auch unverkleidete Närrinnen und Narren.

17:45 – Die Gugger der Meler Galgevögel marschieren als Einheit den Kirchengang entlang und positionieren sich im Chor der Kirche.

17:48 – Es werden Stühle reingetragen, damit alle einen Platz finden können, es wird voller und voller. Ich vernehme ein Stimmenwirrwarr, wie es nur selten in einer Kirche zu hören ist.

«Was ist hier los?», will ich wissen.

17:51 – Ein Prediger positioniert seine Notizen auf der Kanzel hoch oben – geht wieder runter und begrüsst einige Gäste.

17:53 – Ich entdecke den christkatholischen Pfarrer Christian Edringer, alias Don Cristiano im Chor der Kirche. Zügig schreitet er den Gang entlang in Richtung Ausgang. Ui, es scheint zu pressieren. Und immer noch wollen Leute in die Kirche rein!

Draussen, die Tambouren der Fasnachtszunft Ryburg sind parat.

Don Cristiano rennt nochmals durch die Kirche und verschwindet irgendwo hinter der Guggenmusik.

Wo rennt der hin? Will er flüchten?

Da kommt er wieder und stellt sich neben seinen Kollegen, den Prediger Stephan Feldhaus, alias Don Stefano. Die beiden wechseln noch ein paar Worte – letzte Absprache vielleicht? Und schon sind sie wieder im Chor verschwunden.

17:57 – Ich höre Gelächter, die Spannung steigt – was erwartet uns hier? Oha, ein Mönch setzt sich in die erste Reihe. Es muss einer aus dem «Amnesischen Orden» sein. Der Prediger taucht wieder auf, er zückt sein Mobiltelefon und macht Fotos. Er ist wohl auch überwältigt von der mehr als vollbesetzten Kirche.

18:01 – Endlich, mit fröhlichen Klängen eröffnet die Guggenmusik der Meler Galgevögel den Gottesdienst, der ein großartiges Erlebnis wird!

Die Kirchentüre steht offen, so dass die fetzigen Töne bis ins Dorf runter klingen. Vor mir beginnen einige Närrinnen im Takt zu wippen.

Ich schaue nach hinten zur offenen Türe. Die Tambouren der Fasnachtszunft Ryburg warten geduldig auf ihren Einsatz, während ich von der Guggenmusik die Melodie ‘Seele Bambele La’ höre. Ein herrliches Gefühl durchströmt mich – so muss ein Fasnachtsgottesdienst beginnen.

Und jetzt geht es Schlag auf Schlag – der erste tosende Applaus für die Gugger, dann ein Pfiff und die Tambouren schreiten den Kirchengang entlang. Laut, imposant und genial, wie sie auf ihren Trommeln mit den Schlägern herumwirbeln!

Hinter den Tambouren taucht nun auch eine ganze Schar von Mönchen der «Amnesischen Brüder» auf, gefolgt von Don Stefano und Don Cristiano. Letzterer mit einem breiten Grinsen im Gesicht und der das Bad in der Menge sichtlich geniesst.

Zum zweiten Male tosender Applaus, und es sollte nicht der letzte bleiben an diesem Abend.

Zur Begrüssung gibt es ein dreifaches «Narri, Narro». Das Wechselspiel zwischen Don Cristiano und den Besuchern lässt die Kirche zum Beben bringen!

18:10 – In seiner Begrüssung berichtet Don Cristiano von der närrischen Ökumene im Dorf zwischen den Meler Galgevögel und der Fasnachtszunft Ryburg. Zum 100-jährigen Jubiläum der Fasnachtszunft stimmt er mit seiner Gitarre das Lied ‘Happy Birthday’ an – Alle Singen mit. Es kribbelt in mir – «schuurig schön isch das».

Weiter erklärt Don Cristiano, dass Don Stefano, der Praktikant vom letzten Jahr, seine Sache so gut gemacht hat, dass er auch in diesem Jahr – nun als fertiger Diakon – die Predigt halten darf.

18:15 – Lesung von einer Närrin vorgetragen.

18:17 – Die Guggenmusik kommt wieder zum Einsatz – ihre fetzigen Töne werden begleitet vom rhythmischen Klatschen der Besucher.

18:20 – Der Prediger, der kein Praktikant mehr ist, will Bewegung in die Kirche bringen – alle sollen zur frohen Botschaft aufstehen.

18:24 – Die Predigt beginnt, hoch oben auf der Kanzel. Aber was ist das? Don Stefano stärkt sich zuerst aus einem Flachmann. Gelächter wird ihm entgegengebracht und nach seiner närrischen Predigt wussten alle Anwesenden warum das notwendig war. Zum einen, weil er als Deutscher versuchte ein paar Sätze in reinem ‘Meli-Schwizerdütsch’ zu sprechen und zum anderen, weil er in seiner überzeugenden Predigt den Männer-Narzissmus stark hinterfragte. Seine Gründe, warum er sich mehr Gleichberechtigung für Mann und Frau wünschte, waren einleuchtend, und auch wenn es eine Fasnachtspredigt war, sie hatte Tiefsinn und die Besucher hörten genau hin und dankten seinen Worten am Schluss mit grossem Applaus. Es sei ihm verziehen, dass er den Flachmann zwischendurch nochmals ansetzen musste.

Ich habe während der Predigt einen Blick zu Don Cristiano geworfen. Ehrfürchtig und stolz hat er zur Kanzel hochgeschaut, als wollte er sagen «Ja, diesen Praktikanten habe ich gut ausgebildet, der kann was».

Am Schluss der Predigt verkündet Don Stefano «Zur Freude ist der Mensch gemacht – feiert und geniesst die Fasnacht!»

18:39 – Die «Amnesischen Brüder» prosten Don Stefano zu. Wir sind sicher, sie geloben und feiern! Gleichzeitig stellen sich die Tambouren auf und legen wieder los mit ihrem dynamischem Trommelspiel.

18:42 – Ich sehe es genau, Don Cristiano und Don Stefano flüstern sich etwas zu. Ich lese es von ihren Lippen ab – «Wow» ist das Wort, großartiges Trommelspiel!

18:45 – Es geht weiter mit den Meler Galgevögel. ‘S’Vogellisi’ wird von den Schlaginstrumenten vorgetragen – cool!

18:55 – Kommunion: Zur Ehrung des 100-jährigen Bestehens der Fasnachtszunft Ryburg gibt es für jeden der möchte neben der Hostie auch ein kleines Gläschen Wein, so wie es in der Meler Dorfkirche an jedem Sonntag Usus ist.

Und passender kann die Musik nicht sein – die Gugger schmettern ‘I will follow him’ in die Kirche und werden dabei sogar noch von Nonnen mit einer Choreografie begleitet.

Ich verstehe die Welt nicht mehr – was passiert hier alles innerhalb von einer Stunde!

Und jetzt das noch, die Tambouren – nur zu dritt – es ist beeindruckend was musikalisch dargeboten wird!

19:12 – Don Cristiano setzt langsam zum Schluss an und zum wiederholten Male gibt es tosenden Applaus von den Besuchern.

Der Christkatholische Pfarrer von Möhlin sprachlos?

Das gibt es eigentlich nicht, aber Pfarrer Edringer ist wirklich beindruckt – waren es heute doch 386 gezählte Besucher in der Kirche, neben all den Mitwirkenden.

So etwas hat er in seiner 10-jährigen Zeit hier in Möhlin noch nicht erlebt.

19:19 – Der grosse Auszug aus der Kirche – hinein in die 5. Jahreszeit! Don Cristiano ruft nochmals ein dreifaches «Narri, Narro» in die Kirche.

Wir freuen uns auf eine fröhliche und bunter Fasnacht 2023!