Ein Bischof mit Herzblut für seine Kirche

Nachruf auf Bischof Hans Gerny

Am 19. Januar ist Bischof Dr. theol. h.c. Hans Gerny im Alters- und Pflegeheim «Elfenau Park» in Bern gestorben – im selben Zimmer, wo rund 22 Wochen zuvor seine Frau Marianne ihrer unheilbaren Krankheit erlegen ist. Dieser Verlust hat ihm physisch und geistig so zugesetzt, dass gelegentlich angedeutete Erwartungen, noch eine Zeitlang zu leben, allmählich verstummten und der lebensfrohe und impulsive Mensch von früher nicht mehr zu erkennen war – ungeachtet all der liebevollen Zuwendung, die er von seinen drei Kindern, die ihn in diesen Wochen in einem festen Rhythmus begleiteten, erfahren durfte.

Jugend und Studium

Hans Gerny ist am 26. Juni 1937 in Olten – nach drei immer noch lebenden Schwestern – zur Welt gekommen. Im Rückblick erweist sich der familiäre Hintergrund als Wurzelgrund für ein später wiederkehrendes Bekenntnis: Ich liebe meine Kirche, selbst wenn ich mich als Bischof über sie ab und zu ärgere und dann auch immer wieder anecke. Sein Grossvater mütterlicherseits Adolf Küry war bis 1955 Bischof, sein Onkel Urs Küry war sein Pfarrer während der Schulzeit in Olten und folgte dann seinem Vater als Bischof nach. Sie und die Berner Theologieprofessoren Ernst Gaugler und Kurt Stalder hat Gerny dankbar als prägende Figuren erwähnt. Olten war zur Zeit seiner Schulzeit noch eine freisinnige Hochburg, die Römisch-Katholiken gegenüber den Christkatholiken in der Minderheit, und der Vorwurf der einen an die andern, sie hätten ihnen (in den 1870er Jahren) die Stadtkirche gestohlen, konnte auf dem Pausenplatz zu Raufereien führen.

Nach dem städtischen Progymnasium ging Hans Gerny an die Kantonsschule in Solothurn, wohnte an den Wochentagen in der «Kosthütte» gleich neben der christkatholischen Franziskanerkirche und schloss sich der gymnasialen Studentenverbindung «Wengia» an. Sein Cerevis, d.h. sein ihm von den Farbenbrüdern verliehener Spitzname, der ein Leben lang gilt, lautet «Garrulus», auf Deutsch «Schwätzer». Wie immer dies gemeint war – keine schlechte Ausgangslage für jemand, der später in erster Linie durch sein Wort zu überzeugen hat …

Nach der Matur im Herbst 1956 und einem nicht befriedigenden zweisemestrigen Medizinstudium in Basel, bezog er ein Jahr später die Christkatholisch-theologische Fakultät in Bern, wo sein Onkel nunmehr als Bischof vollamtlich systematische Theologie lehrte. In Bern war er Mitglied der Hochschulverbindung «Zofingia». Auf das erste Staatsexamen und die Weihe zum Diakon im Herbst 1961 folgte ein Studienaufenthalt in Paris, danach trat er um Ostern 1962 das Lernvikariat beim langjährigen Möhlemer Pfarrer Hugo Flury an. Unvergessen ist ihm geblieben, wie er als unerfahrener Anfänger in eine eminent seelsorgliche Situation eingeführt wurde: «Herr Vikar, dr Fridolin Müller i dr Brunngass isch gschtorbe. Göht emau ga luege». Die Witwe erzählte später dem Pfarrer, wie froh sie über des Vikars Besuch gewesen sei …

Pfarrer im Wegenstettertal und in Basel

Nach der Priesterweihe in Olten und dem zweiten Staatexamen im Herbst 1962 blieb Hans Gerny im Fricktal. Die ländliche Kirchgemeinde Wegenstetten-Hellikon-Zuzgen – von wo er bis 1965 auch noch die Pastoration von Baden-Brugg übernehmen musste – wurde der Ort, wo er den Pfarrerberuf von der Pike auf erlernte, und dies im Umgang mit einer Bevölkerung von Bauern, Handwerkern und Arbeitern. Das war für ihn etwas ganz Neues und zugleich Beglückendes. Im Frühling 1963 heiratete er Marguerite Wyler aus der Berner Gemeinde, die er als Student in einem christkatholischen Skilager kennengelernt hatte. Mit den Jahren bewohnte auch eine Kinderschar – Daniel, Michael und Alexandra – das neue, mit Hilfe des Bistums gebaute Pfarrhaus. Dies war das erste kirchliche Bauprojekt, in das Hans Gerny involviert war. Das alte Pfarrhaus, in dem im Kältewinter 1962/63 das Wasser in den Leitungen gefror, konnte nicht mehr repariert werden. Dass es im Herbst 1964 bezogen werden konnte, war auch der zielgerichteten Energie des jungen Pfarrers zu verdanken. Ein anderes Projekt, mit dem er zu tun hatte, war die Gesamtrestauration der spätbarocken Kirche Sankt Georg in Zuzgen; dort war es das Wasser im Messkännchen, das im Winter gefrieren konnte. Schliesslich sorgte er für den Einbau einer Orgel – freilich nur mit der Hälfte der geplanten 16 Register – in der 1948 errichteten Christuskirche in Hellikon.

Auf den Herbst 1971 folgte er mit seiner Familie einem Ruf der Kirchgemeinde Basel, wo in den ersten Jahren noch Otto Strub sein älterer Kollege war. Die Industrie-, Handels- und Universitätsstadt stellte ganz anders geartete pastorale Herausforderungen, bot aber auch, nicht zuletzt für die heranwachsenden Kinder, neue Chancen. Die Predigerkirche wurde bald ein weiteres, allerdings ganz andere Dimensionen annehmendes Restaurationsprojekt. Dabei entstand aus jener (1978 abgeschlossen) Arbeit eine enge Verbindung zum Architekten Martin Stauffer, den der spätere Bischof wiederholt zu ähnlichen Aufgaben, etwa beim Bischofshaus oder dem Studentenheim in Bern, heranzog.

Hans Gerny übernahm in seiner Zeit als Pfarrer auch bistumsweite Verpflichtungen, so etwa als Präsident des Bistumsopfers, als für die Leitartikel zuständiger Mitredaktor beim Kirchenblatt (wo er zu bestimmten Themenkreisen auf ein Team von Kollegen zählen konnte), als Beauftragter für Radio und Fernsehen, als «Wort zum Sonntag»-Sprecher, zuletzt noch als Präsident der Pastoralkonferenz.

Abgründe und neue Wege

Als Siegelspruch hat der fünfte christkatholische Bischof ein Paulus-Wort gewählt: «Wir sind Gehilfen Eurer Freude» (2Kor 1,24). Dem Thema «Freude» ist auch der erste Hirtenbrief von 1987 gewidmet, und es taucht auch später immer wieder auf. Der biblische Kontext des Siegelworts redet von der festen Verwurzelung im Glauben, in dem die Adressaten in Korinth stehen und der sich auch in der Treue zu Christus zeigt (vom Thema «Treue» handelt der Hirtenbrief von 1992). Denn Christus ist Grund, Anfang und Ziel des Glaubens und des Lebens in und mit der Kirche. Immer wieder kommt der Bischof in den Hirtenbriefen mit eindringlichen Worten darauf zu sprechen, dass die Glieder der Kirche nicht einfach zu einer (konfessionellen) Institution gehören, wie es in der Gesellschaft viele mit je unterschiedlichen Wertvorstellungen gibt. Nein, sie sind vielmehr Glieder des Leibes Christi und haben aus dieser (in Taufe und Eucharistie gründenden) Verbindung immer wieder Anlass zur Freude – sei es im Gottesdienst, beim Beginn und der glücklichen Vollendung von Projekten bis hin zu einem heiteren Zusammensein ohne Druck von Aufgaben und Pflichten.

Aber Hans Gerny kann natürlich nicht übersehen, dass Freude an und in Christus sich oft nicht einstellt, die Kirche vielmehr als freudlos und langweilig oder nur auf sich bezogen erfahren wird, wenn sie nicht schon von vornherein im Abseits steht, wie ja die zunehmende Distanzierung und Verabschiedung vom Christentum in der Gesellschaft zeige. Umso mehr, so mahnt er durch all die Jahre unablässig, gelte es, genau hinzuschauen und gemeinsam den Gründen dafür ohne Scheuklappen nachzugehen. Man kann fast jeden der 14 Hirtenbriefe als ein eindringlich aufrüttelndes Zeugnis verstehen sowohl seiner gefestigten Ausrichtung auf die Botschaft Christi als auch seiner Wachheit für Stimmen aus dem gesellschaftlich-kulturellen Leben der Gegenwart, die Menschen zu bewegen vermögen. Zugleich aber wird eine Ratlosigkeit spürbar, wie den Kirchgemeinden, dem Klerus, der Synode und den bistumsweiten Verbänden für ihr jeweiliges Wirken konkrete Wege oder gar Rezepte für ein vom Geist Gottes angestossenes Aufblühen zu vermitteln wären. Er hat darunter sehr gelitten.

Anders verhält es sich freilich mit dem von ihm 1999 angestossenen Prozess der Erneuerung der Kirche (der teilweise in der Linie der in den 1970er-Jahren entstandenen und einige Jahre sehr aktiven «Arbeitsgruppe für christkatholische Erneuerung», der CAKE, lag). Der Impuls wurde breit aufgenommen. Von den beiden damit befassten Projekt- bzw. Begleitgruppen ist wohl die aus dem Kreis der Pastoralkonferenz hervorgegangene Arbeitsgruppe SPER (Spurgruppe Spirituelle Erneuerung) bekannter geworden. Sie hat mit mehrheitlich zeitgenössischen Meditations- und Gebetstexten neue Formen von Gottesdiensten entwickelt. An die dabei durch alle Gemeinden des Bistums ziehende Kreuztafel mit zwei Bildern von Felix Droese werden sich noch viele erinnern.

Frauenordination

Der ganze Episkopat Gernys war begleitet von einer dominierenden Thematik, die auch zwei zusätzliche ausserordentliche Synodesessionen (1995 und 1997) erforderte: die «Frauenordination». Dass während seiner Amtszeit die Weihe von Frauen zum priesterlichen und bischöflichen Dienst eingeführt wurde, lässt auf seine Unterstützung des Anliegens schliessen, umso mehr, als er schon als Pfarrer mit Vehemenz die volle Einbeziehung von Frauen in kirchliche Ämter gefordert hatte.

Mit den Aufgaben und Erfahrungen eines Bischofs kamen nun freilich noch andere Perspektiven ins Spiel. Als Bischof war er für die Gemeinschaft und Einheit nicht nur seines Bistums, sondern der ganzen, in Bistümer gegliederten einen altkatholischen Kirche verantwortlich, wie das jeder andere Bischof der Utrechter Union auch sein musste, freilich immer in Rückbindung an seine Kirche. Der Schnittpunkt beider synodal strukturierten Verantwortlichkeiten liegt in der Internationalen Altkatholischen Bischofskonferenz (IBK). Diese Ordnung ist der anstrengende und Geduld erfordernde Preis für den Verzicht auf eine zentralistische katholische Kirchenstruktur. Sie gehört – zusammen mit der Berufung auf die gemeinsame Tradition der alten Kirche, die noch nicht von den später vor allem im Westen entstandenen konfessionellen Sonderentwicklungen und gegenseitigen Abgrenzungen geprägt war – zum besonderen Profil des Altkatholizismus. Dies war mit ein Grund, dass in der ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts die Altkatholiken mit Orthodoxen und Anglikanern zum katholischen Flügel gezählt wurden und zwischen ihnen auch Beziehungen in unterschiedlicher Dichte bestanden. Von dieser Konstellation, zu der in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils auch die römisch-katholische Kirche zählte, konnte und wollte Hans Gerny sich nicht lösen.

Der Bischof war sich voll bewusst, dass er in Bezug auf die Frauenordinationsdebatte von vielen als Bremser angesehen wurde. Eine Art Treuebindung an ein im Kern verbindliches und theologisch weithin geteiltes (alt)katholisches Kirche-Sein war der Boden für seine Überzeugung: Fragen der Ethik und der Erkenntnis der Wahrheit und der Einsicht in den Willen Gottes, die mit diesem Kirche-Sein in Spannung stehen, sind nicht schnell und einfach mit Abstimmungen und Mehrheitsentscheiden im Horizont von ein paar unverbindlichen christlichen Werten zu lösen. Dies führte ihn dazu, den in die Entstehungszeit des Bistums zurückreichenden Parlamentarismus bei synodalen Wegfindungen und den eingängigen Schlachtruf «Wir sind eine demokratische Kirche» zu hinterfragen. So war ihm vielleicht die zweite gesundheitsbedingte Auszeit während seines bischöflichen Wirkens, in welche die Weihe der ersten Priesterin fiel, eine innere Erleichterung in einem Gewissenskonflikt, umso mehr als der ihm freundschaftlich so nahestehende Erzbischof von Utrecht bereit war einzuspringen.

Bischof-Sein im Spannungsfeld einer (alt)katholischen Kirche

Dieser Gewissenskonflikt hatte, wie angedeutet, damit zu tun, dass er befürchtete, dass die Altkatholische Kirche mit der Einbeziehung von Frauen in das sog. apostolische Amt sich ökumenisch von denjenigen Kirchen entferne, die ihr im ökumenischen Aufbruch der vergangenen Jahrzehnte am nächsten standen.

Prof. Dr. theol. Silvia Schroer und Bischof em. Hans Gerny anlässlich der Berner «Spurensuche». Bild: Werner Brechbühl

Dazu gehört für Hans Gerny die orthodoxe Kirche: Hatte er in einem scharfzüngigen Referat 1981 den «unerhörten Aufwand für die Beziehung zu den Orthodoxen» als aussichtlos und für die Gemeinden irrelevant kritisiert, so änderte sich dies auf Grund persönlicher Beziehungen. Als der erste serbische orthodoxe Pfarrer in der Schweiz, Draško Todorović, mit Hilfe der drei Landeskirchen eine auf schweizerisches Finanzgebaren ausgerichtete Gemeindeorganisation für die serbischen Gastarbeiter aufbauen wollte, kam es in der Basler Gemeinde wiederholt zu Begegnungen zwischen Gliedern beider Kirchen, die Hans Gerny entschieden mittrug. Er förderte die seit Bischof Eduard Herzogs Zeiten engen Beziehungen mit der serbischen orthodoxen Kirche, die immer wieder Theologiestudenten nach Bern an die damalige christkatholisch-theologische Fakultät schickte, durch gezielte humanitäre Unterstützung der in den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre in mancher Hinsicht moralisch geschwächten Kirche. Dass er eine ihm 2001 von der serbischen Bischofssynode verliehene hohe Auszeichnung – wegen des inakzeptablen Verhaltens des damals für die Schweiz zuständigen Bischofs – nicht annahm, hat ihm von Drittseite Respekt eingetragen.

Zu erwähnen ist ferner seine enge Freundschaft mit Metropolit Damaskinos (Papandreou) in Chambésy GE, dem Co-Präsidenten der orthodox-altkatholischen Dialogkommission jener Jahre. Einer der Höhepunkte seiner Amtszeit war 1995 der Besuch des Ökumenischen Patriarchen (Konstantinopel) in Bern. Auf eine an diesen gerichtete Bitte Gernys hin kam 1996 eine bilaterale orthodox-altkatholische Konsultation «zur Stellung der Frau und zur Frauenordination als ökumenischem Problem» zustande – mit dem Ergebnis, dass es keine theologischen Gründe gegen die Frauenordination gebe, deren Einführung aber ein erhebliches kirchliches Entfremdungs- und Spaltungspotenzial in sich schliesse. Auf römisch-katholischer Seite war ihm der frühere Bischof von Basel, Kurt Koch, ein wichtiger Gesprächspartner, von dem das Nachwort zum kleinen Buch über das Vaterunser (2010) stammt.

Zum engeren Spannungsfeld gehört auch die Beziehung Bischof Gernys zur Polnisch-Katholischen Kirche (der Utrechter Union) und zu Bischof Wiktor Wysoczański, den er seit dessen Studien in Bern kannte. Das sichtbarste äussere Zeichen zahlreicher weiterer Kontakte zwischen Christ- und Polnisch-Katholiken ist das in der Nähe von Warschau liegende «Eduard- Herzog-Haus», das mit christkatholischer Unterstützung als Konferenzzentrum eingerichtet wurde. Bischof Gerny erreichte beim damaligen römisch-katholischen Primas Polens, Kardinal Glemp, dass die seit Jahrzehnten feindselig verhärtete Situation einem bilateralen theologischen Dialog wich, wie das auch in den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz bereits der Fall war. Die Christliche Theologische Akademie Warschau, eine staatliche ökumenische Hochschule für pädagogische und (evangelische, orthodoxe und altkatholische) theologische Studien, hat Bischof Gerny 2001 die theologische Doktorwürde ehrenhalber verliehen.

Das Gesicht der Kirche

Bischof Hans Gerny wurde dank seiner jahrelangen Präsenz in Radio und Fernsehen und in ökumenischen Gremien für die schweizerische Öffentlichkeit so etwas wie das Gesicht der Christkatholischen Kirche. Er gehörte z.B. zum Vorstand der 1971 gegründeten Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (AGCK), den er 1996/97 präsidierte. Als Sekretär der IBK – seit 1924 immer eine Aufgabe des schweizerischen Bischofs – bewegte er sich auch in einem internationalen ökumenischen Kontext: So war er 1991-2006 Mitglied des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirche (ÖRK) und hat so viel von der Welt aber auch von unsäglichem Elend gesehen. Dank seiner kirchlichen Herkunft war er auch Mitglied der 1998 eingesetzten Sonderkommission des ÖRK zur Mitarbeit der Orthodoxen im Weltkirchenrat: Diese waren zahlenmässig die grösste Gruppe im ÖKR, fühlten sich aber wegen der Abstimmungsmodalitäten angesichts der gegen 300 – oft recht kleinen – Mitgliedskirchen zunehmend unwohl. Hans Gerny gab – was bisher ungewöhnlich war – an einer Synodesession (am 8. Juni 2001 in Genf) seinen Rücktritt auf den 1. November bekannt.

Die verlässliche Stütze an seiner Seite

Die Vorbereitungskommission, zu der auch der seit viereinhalb Monaten verwitwete, von der Synode gewählte Bischof Gerny gehörte, hatte Marianne Büchler-Schild (ihre Ehe war schon lange Zeit zuvor geschieden worden) dazu ausgewählt, dem neuen Bischof am Weihetag den Bischofsring anzustecken. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt wissen, auch die beiden noch nicht, dass sie am 8. Juli 1988 in Olten heiraten würden (was in der IBK voraussehbar zu langen Diskussionen führte).

Bischof Hans Gerny

Ohne Marianne Schild, die in Grenchen in eine bedeutende christkatholische Familie geboren wurde, hätte Bischof Hans, wie er wiederholt sagte, sein Amt nicht ausüben können. Sie wurde gewissermassen zur Türe, durch welche die Freude, die in Christus gründet und in seiner Kirche wartet, entdeckt zu werden, ihn berühren konnte. Sie hat, wie er schreibt: «Liebe, Glück, Wärme in mein Leben gebracht, wie ich sie vorher nie gekannt habe». Dies geschah ungeachtet mancher Kritik an Kirche und christlicher Religion, die er von ihr durchaus offen zur Kenntnis nahm. Als promovierte Kunsthistorikerin mit vielen Verbindungen zur Kunstszene in der Schweiz konnte sie ihrem seit je diesbezüglich interessierten Mann neue Wege zur zeitgenössischen Kunst erschliessen. Im Bischofshaus am Willadingweg in Bern erfuhren viele Menschen eine herzliche Gastfreundschaft, von der auch – weit über das Jahr 2001 hinaus – die damaligen Studierenden ein Lied singen könnten. Sie hat ihn auf seinen Besuchen in den Gemeinden oder auf seinen Reisen ins Ausland begleitet, sie besorgte das Archiv, und ohne sie wären auch die zwei Bücher mit den Hirtenbriefen (2001) und mit Predigten und anderen Schriften (2017) nicht zustande gekommen. So viel sie miteinander unternahmen, sie liessen einander auch den nötigen Freiraum. So ist Hans Gerny seit der ersten Einladung durch den Abt im Jahr 2000 wiederholt in das Benediktiner Stift Melk gefahren, von wo es auch nicht weit war zum Burgtheater, Opernhaus und Musikverein in Wien …

Die glücklichen Jahre setzten sich nach dem Rücktritt vom Bischofsamt in der Wohnung an der Bolligenstrasse in Bern fort, auch wenn das Älterwerden mit der Zeit seine Spuren hinterliess. Der Ausbruch der Krankheit im Frühling 2020, der Marianne am 7. August erlag, hat Hans Gerny in seinem Lebensnerv getroffen. Mehr als einmal kam bei den letzten Begegnungen das Wort Hiobs, das seine Kinder auf die Todesanzeige setzten, mit einem müden Seufzer über seine Lippen: «Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gepriesen» (1,21). R.I.P.

Urs von Arx