Kirche und Seelsorge im #MeToo-Zeitalter

46. Internationale Altkatholische Theologenkonferenz 2019

Nach vielen Jahren fand die Theologenkonferenz wieder einmal in der Schweiz statt – in Wislikofen. Die Propstei Wislikofen ist ein nicht unbekannter Ort für Altkatholiken –ich erinnere an «Wislikofen I und II», die altkatholischen Bischofskonferenzen über die Frauenordination in den Jahren 1991 und 1997. Die etwa dreissig Theologinnen und Theologen aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Polen und der Schweiz versammelten sich als erstes zu einer Eucharistiefeier, anschliessend gab Joris Vercammen, Erzbischof von Utrecht, seinen traditionellen Bericht über die Lage in der Utrechter Union. Frauen seien bei uns ja gleichgestellt– deshalb gebe es in unserer Kirche keinen Missbrauch. Solche und ähnliche Auffassungen sind bei uns ab und zu zu hören. Die spielerische Einführung ins Thema von Adrian Suter und die Response der anglikanischen Theologin Edda Wolf leiteten jedoch schnell zu einer subtileren Wahrnehmung über. Wolfs Darstellung des «Safeguarding» in der anglikanischen Kirche zeigte deren umfassenden Anspruch, Gesundheit, Wohlbefinden und Rechte der Menschen systematisch zu schützen. In drei Beiträgen wurde sodann über den praktischen Umgang mit Missbrauch in altkatholischen Kirchen referiert.

Das «Richtigtun» stärken

Viele Institutionen machen schon intuitiv sehr viel richtig, hiess es etwa. Es gehe darum, neben Prävention, dieses Richtig tun zu stärken und auszubauen. Die Wahrheitsfindung in Missbrauchsfällen sei sehr ernst zunehmen, und es brauche klare und verlässlich umsetzbare Leitlinien. Dabei wurde auch der Leitfaden der christkatholischen Kirche, «Bei uns sollen Menschen sicher sein», vorgestellt. Archdeacon Adele Kelham zeigte uns den praktischen Umgang mit der Prävention von Missbrauch in der Kirche von England anhand von Grund-Verpflichtungen auf. Dazu gehören: ein sicheres Umfeld, vorsichtiges Personalmanagement, «nie nichts tun» in Reaktion auf eine missbrauchte Person und der Sorge um sie, pastorale Betreuung Betroffener sowie Sorgfalt im Umgang mit gegenwärtigen Risiko-Situationen. Am Dienstag gab die Baselbieter Grossrätin Michela Seggiani uns einen lebendigen Einblick ins Thema «Sexuelle Revolution – sozialer Wandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts». Anhand von biblischen Beispielen einiger «texts of terror» schärfte Prof. Peter-Ben Smit unseren Blick für die Entwicklung des Problembewusstseins im Bereich «Göttliche Gewalt – Macht und Machtmissbrauch in Bibel und Bibelrezeption», wozu feministische Theologie viel beigetragen hat.

Schweigen und verschweigen

Am nächsten Tag ging es mit dem Beitrag von Prof. Angela Berlis um «Amt, Macht, Gender». Neben Blicken in die Zeit des 19. Jahrhunderts, wo kulturell Macht mit männlich und Schwäche und Machtlosigkeit mit weiblich gleichgesetzt wurden, ging es auch um Fragen der Handlungsmacht und Autorität als Verantwortung. Auch Schweigen und Verschweigen bedeuten Machtausübung und können missbräuchlich sein. Die Macht des Liturgen wurde befragt mit Blick auf die Rolle der Priester. Dies alles auch bei uns brisante Themen. Unreflektierte und unterschwellige Machtmechanismen können viel Raum einnehmen in kirchlichen Gemeinschaften. Dies fordert uns auf zu weiterer Reflexion und Aufmerksamkeit im Umgang miteinander. Um Strukturen ging es beim nächsten Themenblock «Macht gestalten». Dabei wurde deutlich, wie wichtig Information als Machtfaktor wirkt. Wichtige Stichworte wie Wertschätzung und Vertrauen fielen in diesem Zusammenhang. Packend war am Donnerstag die Arbeit mit Prof. Christoph Morgenthaler zum Thema «Macht, Ermächtigung und Missbrauch in der Seelsorge». Erliess uns eigene Grenzen von Nähe und Distanz testen und führte uns mit einem Fallbeispiel mitten in das weite Feld zwischen «good practice» und möglichen missbräuchlichen Beziehungssituationen in der Seelsorge. Drei Workshops stiessen am Nachmittag auf reges Interesse: «Traumata in der Seelsorge» von Ralph Kirscht, «Nähe und Distanz in der Jugendseelsorge» von Antje Kirchhofer und «Café Strichpunkt» von Joachim Pfüzner.

Vergebung und Versöhnung

Am letzten Morgen beschäftigte sich die Konferenz anhand der Ausführungen von Marie Couturier mit Fragen zur Möglichkeit von Vergebung und Versöhnung, besonders schwierig bei traumatisierten Betroffenen. Im Bewusstsein, die Arbeit muss weitergehen, nahmen wir zahlreiche Anregungen mit, die nicht zuletzt aus den täglichen Gottesdiensten, den Gesprächen beim Essen, abends im Bierkeller und aus dem gemeinsamen Ausflug nach Rheinfelden resultierten. Dank gebührt den Organisierenden und ReferentInnen für eine gelungene und inspirierende Tagung.

Anna Maria Kaufmann