Kleine biblische Zoologie – Folge I

Das goldene Kalb

Jede Generation definiert ihre Beziehung zu den Tieren neu. Damit verbunden sind immer auch Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn der Welt, nach Plan, Zufall und Notwendigkeit. Fragen, auf die Religion und Naturwissenschaften Antworten suchen. Unser Umgang mit Tieren ist auch geprägt vom Einfluss, den wir auf die Umwelt ausüben. Die biblischen Geschichten im Alten Testament zeugen von Zeiten, in denen die Tiere den Menschen beherrschten. Sofern es sich nicht um Haustiere handelte, musste der Mensch die Begegnung mit den «wilden» Tieren fürchten.

Konnte man in jenen Zeiten von einer Herrschaft des Tieres über den Menschen sprechen, so hat sich die Situation heute radikal geändert – seine Herrschaft über das Tier ist absolut. Kein Wunder, wurden in den alten Kulturen Tiere als Götter angebetet. Kein Wunder auch, dass die Israeliten mit der Anbetung des goldenen Kalbes in genau diesen Götzendienst zurück fiel – ein Verhalten, das Gott zutiefst missfiel (siehe 2. Mose 32).

Adam erhielt den Auftrag, den Tieren einen Namen zu geben: «Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; und der Mensch ab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen…» (1. Mose 2,20a). Diesen Auftrag erfüllte Adam. Allerdings geht die heutige zoologische Nomenklatur auf ein Konzept des schwedischen Naturforschers Karl von Linné (1707-1787) zurück. Das ist zu beachten, wenn wir über Tiere nachdenken, von denen wir in biblischen Texten lesen.

Bereits in den beiden Schöpfungsberichten finden wir Ansätze zu einer zoologischen Systematik. So werden im älteren Schöpfungsbericht des Jahwisten (1. Mose 2, 4b-25) Haustiere, Vögel und Tiere des Feldes unterschieden. Die jüngere priesterschriftliche Schöpfungsgeschichte (1. Mose 1,1-2,4a) unterscheidet Wassertiere, geflügelte Tiere, Tiere des Landes und Gewürm (Kriech- und Kleintiere).

Jürg Meier


Jürg Meier ist Titularprofessor für Zoologie an der Universität Basel und ehrenamtlicher Seelsorger in der Neuapostolischen Kirche. Er erforschte während Jahrzehnten Giftschlangen und Schlangengifte. Er beschäftigt sich zudem mit Grenzfragen zwischen Biologie und Theologie.