Romulus und Jesus

Göttliche Himmelfahrt – Römisch und biblisch

Weder Weihnachten noch Ostern geben so viele Rätsel auf, wie die Himmelfahrt Jesu. Was ist der Hintergrund der Geschichte, in der Jesus auf einer Wolke in den Himmel fährt?

Foto: Andrealison Leao de Souza auf pixabay

Wenn wir heute zum Thema «Auffahrt» eine Umfrage machten, käme wohl heraus, dass die Menschen unserer Zeit mit dem Fest ihre Mühe haben. Es fragt sich, wie dies wohl vor 2000 Jahren war. Haben die Menschen damals die Episode mit der dahinterstehenden Botschaft besser verstanden? Für die Himmelfahrt Jesus gab es in der römisch-hellenistischen Antike Vorbilder. Durch eine Himmelfahrt konnte man zu göttlicher Identität gelangen. Am bekanntesten ist die griechische Erzählung des Herakles. Der sagenumwobene Held wird am Ende seines Lebens wegen seiner Leistungen in den göttlichen Olymp aufgenommen und damit zu Gott. Herakles ist auf einer Wolke vom Scheiterhaufen auf dem Berg Oita zum Olymp emporgehoben worden. In dieser Erzählkette steht auch der Stadtgründer Romulus. Er wird nach seinem Tod von einer Wolke eingehüllt in den Himmel entrückt und fortan an als Gott verehrt. Diese Geschichte diente als Legitimation der römischen Herrschaft durch die Götter. Doch dabei blieb es nicht.

Vergötterung von Kaisern als politisches Machtinstrument

In der römischen Kaiserzeit waren die Apotheosen ein politisches Machtinstrument – das griechische Wort Apotheosis kann als «Vergötterung» übersetzt werden. Die Kaiser wurden nach ihrem Tod in einem staatlich geregelten Ablauf zu Göttern erklärt. Dabei wurde die Leiche des Kaisers öffentlich auf einem Holzstoss verbrannt und ein Augenzeuge musste bekunden, wie die Seele des Verstorbenen von einem Adler getragen vom Scheiterhaufen gen Himmel aufstieg. Mit einem Dekret beschloss dann der Senat, ob der Kaiser als Gott anzuerkennen war. Im ersten Jahrhundert nach Christus wurden die Kaiser Augustus, Claudius, Vespasian und Titus mit solch einer Liturgie vergöttlicht. Kaiser Nero hingegen sollte wegen seines politischen Fehlverhaltens vergessen werden.

Jesus, und nicht der Kaiser, ist der universale Herrscher

Vor diesem Hintergrund übernimmt Lukas, der Evangelist und Autor der Apostelgeschichte, die Himmelfahrtgeschichte von Romulus, wie sie der römische Schriftsteller Livius überlieferte und ändert sie leicht ab. Er konnte voraussetzen, dass die Geschichte von Romulus im römischen Weltreich bekannt war. So erzählt er sie zweimal auf unterschiedliche Weise – einmal am Ende des Evangeliums (Lk 24, 50-53) und dann zu Beginn seiner Fortsetzung, in der Apostelgeschichte (Apg 1, 1-14). Bei Lukas sind es nicht Senatoren, sondern die zwölf Jünger, die das Ereignis bezeugen. In der Apostelgeschichte (1, 10-11) finden sich dann auch sechs verschiedene Ausdrücke für Sehen. Er hätte kaum deutlicher auf das für die Kaiserapotheose zentrale Motiv der Augenzeugenschaft anspielen können. Bei Lukas wird jedoch nicht der Kaiser, sondern Jesus verherrlicht. Die politische Provokation könnte nicht deutlicher sein. Sie lautet: Schaut her, hier wird der wahre universale Herrscher dieser Welt zum Himmel emporgehoben!

Himmelfahrt: Bruch mit imperialen Machtstrukturen

Lukas vertauscht aber nicht einfach die Götter, ersetzt nicht Romulus durch Jesus. Es geht nicht um einen Staatsputsch, der den einen Imperator an die Stelle des anderen setzt. Lukas lässt Paulus in der Apostelgeschichte ein Programm verkünden und spielt damit auf die Apologie des Sokrates an (Apg 5, 29): „Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen“. Wir Menschen sollten nicht unsere eigenen Systeme verabsolutieren, denn eine wirkliche Apotheose kann nur von Gott selbst ausgehen und nicht per Senatsbeschluss bestimmt werden. In den Himmelfahrtsgeschichten von Lukas können wir einen kritischen Unterton nicht überhören, der die politische Instrumentalisierung von Religionen und Utopien als falsch bewertet. Jesus Christus stellt den Antiherrscher dar, der nie auf sich selbst verweist, sondern auf Gott. Das von Jesus verkündete Reich Gottes ist kein weltliches Regierungssystem. Es geht nicht um die Stabilisierung von Macht und Ehre. Alle Machtstrukturen werden zugunsten einer neuen universalen Gerechtigkeit gebrochen und jegliche sozialen Barrieren und Ungerechtigkeiten werden gesprengt. Damit ist die Himmelfahrtsgeschichte sowohl ein Appell an jede Form von staatlicher und wirtschaftlicher Vermessenheit als auch eine Warnung an religiöse Institutionen oder andere ideologische Organisationsformen, sich nicht selbst absolut zu setzen, das Mass aller Dinge nicht allein bei sich selbst zu suchen.

Niklas Raggenbass


Himmelfahrt des Romulus

„Als er nach diesen unsterblichen Taten zur Musterung des Heeres auf dem Marsfeld beim Ziegensumpf eine Heeresversammlung durchführte, brach plötzlich mit lautem Tosen und Donnern ein Unwetter los und hüllte den König in einen so dichten Sturzregen, dass die Versammelten ihn nicht mehr sehen konnten; und danach war Romulus nicht mehr auf Erden. Der Schrecken legte sich schliesslich, als nach diesem Gewittersturm das Tageslicht heiter und ruhig zurückkehrte. Da sahen die Männer von Rom den Platz leer; sie glaubten zwar den Senatoren, die direkt dabeigestanden hatten, voll und ganz, dass der Sturm ihn empor gerissen habe, waren aber doch eine Zeit lang sprachlos vor Kummer, als hätte die Angst, nunmehr verwaist zu sein, sie gelähmt. Als einige wenigstens den Anfang machten, grüssten sie alle Romulus als Gott, von einem Gott gezeugt, als König und Vater der Stadt Rom; und sie flehten um seinen Beistand, dass er huldvoll und gnädig sein Volk immer behüten möge.“

Livius (59 v. Chr. – 17. n. Chr.),
Ab urbe condita (Von der Gründung der Stadt an)